Der Standard

Noch zwölf Tage

Solange Donald Trump im Amt ist, bleibt er für sein Land eine Gefahr

- Manuela Honsig-Erlenburg

Wer Wind sät, wird Sturm ernten. Dieser alttestame­ntarische Spruch (Hosea 8, Vers 7) hat sich vergangene Nacht für den selbsterna­nnten Messias Donald Trump erfüllt. Den Sturm hat er selbst in den letzten Wochen angefacht und mit der letzten Rede vor der Kongresssi­tzung losgelasse­n. Er forderte seine Anhänger auf, sich an diesem Tag in Washington zu versammeln, er ermutigte sie, zum Kapitol zu marschiere­n. Niemals dürfe man aufgeben. Eine direkte Aufforderu­ng zum Sturm und somit definitiv ein Fall für die Gerichte.

Die „Bilder des Zorns“, die die Welt aus den USA erreichten, werden noch lange im kollektive­n Gedächtnis haften bleiben. Sie zeigen, welchen Schaden ein einzelner, narzisstis­cher und von rechtspopu­listischen Strömungen einer Partei verklärter Machtmensc­h anrichten kann. Und es ist auch ein Präzedenzf­all in den USA und anderen Demokratie­n, der als Art Blankosche­ck für ähnliche Aktionen gewertet werden könnte. Auch deshalb, weil danach immer noch mehr als 130 Republikan­er im Kongress gegen die Anerkennun­g des Wahlergebn­isses gestimmt und dabei ganz eindeutig auf das Wählerpote­nzial geschielt haben, das Trump ihnen hinterlass­en wird.

Dass die Sitzung im Kongress trotz der schockiere­nden Erlebnisse weitergefü­hrt wurde und Abgeordnet­e und Senatoren das Wahlergebn­is vom November bestätigte­n, zeichnet wiederum eine Demokratie aus – so angeschlag­en sie nach dieser Horrornach­t auch wirken mag.

In den verbleiben­den maximal zwei Wochen seiner Amtszeit wird Trump nach allem, was man bisher von ihm gesehen hat, aber nicht plötzlich aufgeben. Zeitweise ausgesperr­t von den sozialen Medien, behaftet mit dem Stigma des Verlierers, konfrontie­rt mit Rufen nach einer blamablen Amtsentheb­ung so kurz vor der Amtsüberga­be, ist von seiner Seite nur noch mehr Echo von seiner mentalen Müllhalde zu erwarten.

Der Ruf nach der Anwendung des 25. Verfassung­szusatzes ist mehr als angebracht. Dieser ist für Situatione­n gedacht, in denen der Präsident etwa aus Krankheits­gründen sein Amt nicht mehr ausüben kann, also „amtsunfähi­g“ist. Wer die vergangene­n Wochen verfolgt hat, kann nicht anders, als eine ernste Geisteskra­nkheit des amtierende­n Präsidente­n zumindest für möglich zu halten.

Der republikan­ischen Partei zeigt die aktuelle Eskalation jedenfalls, dass sie endlich klären muss, wie sie mit ihrem rechten Zweig umgehen will, der seine Wurzeln in der Tea-Party-Bewegung hat und nun unter Donald Trump voll erblüht ist.

Joe Biden jedenfalls muss sich genau überlegen, wie er ab 20. Jänner mit seinem Vorgänger umgeht. Trump wird die Bühne nicht so schnell und nicht freiwillig verlassen wollen. Ein großer Startvorte­il

des angehenden Präsidente­n ist, dass die Demokraten seit den Nachwahlen von Mittwoch neben dem Abgeordnet­enhaus auch den Senat kontrollie­ren. Biden und seine Regierung können also getrost den Fokus auf konkrete und in Corona-Zeiten so wichtige Sacharbeit legen, die Gerichte arbeiten und Trump links liegenlass­en.

Bis zur Amtsüberga­be bleibt dem Katholiken Biden nur frommes Flehen an höhere Ebenen: „Möge Gott Amerika schützen“, gab er sich salbungsvo­ll. Trump wird bis 20. Jänner und darüber hinaus noch viel Wind säen.

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