Noch zwölf Tage
Solange Donald Trump im Amt ist, bleibt er für sein Land eine Gefahr
Wer Wind sät, wird Sturm ernten. Dieser alttestamentarische Spruch (Hosea 8, Vers 7) hat sich vergangene Nacht für den selbsternannten Messias Donald Trump erfüllt. Den Sturm hat er selbst in den letzten Wochen angefacht und mit der letzten Rede vor der Kongresssitzung losgelassen. Er forderte seine Anhänger auf, sich an diesem Tag in Washington zu versammeln, er ermutigte sie, zum Kapitol zu marschieren. Niemals dürfe man aufgeben. Eine direkte Aufforderung zum Sturm und somit definitiv ein Fall für die Gerichte.
Die „Bilder des Zorns“, die die Welt aus den USA erreichten, werden noch lange im kollektiven Gedächtnis haften bleiben. Sie zeigen, welchen Schaden ein einzelner, narzisstischer und von rechtspopulistischen Strömungen einer Partei verklärter Machtmensch anrichten kann. Und es ist auch ein Präzedenzfall in den USA und anderen Demokratien, der als Art Blankoscheck für ähnliche Aktionen gewertet werden könnte. Auch deshalb, weil danach immer noch mehr als 130 Republikaner im Kongress gegen die Anerkennung des Wahlergebnisses gestimmt und dabei ganz eindeutig auf das Wählerpotenzial geschielt haben, das Trump ihnen hinterlassen wird.
Dass die Sitzung im Kongress trotz der schockierenden Erlebnisse weitergeführt wurde und Abgeordnete und Senatoren das Wahlergebnis vom November bestätigten, zeichnet wiederum eine Demokratie aus – so angeschlagen sie nach dieser Horrornacht auch wirken mag.
In den verbleibenden maximal zwei Wochen seiner Amtszeit wird Trump nach allem, was man bisher von ihm gesehen hat, aber nicht plötzlich aufgeben. Zeitweise ausgesperrt von den sozialen Medien, behaftet mit dem Stigma des Verlierers, konfrontiert mit Rufen nach einer blamablen Amtsenthebung so kurz vor der Amtsübergabe, ist von seiner Seite nur noch mehr Echo von seiner mentalen Müllhalde zu erwarten.
Der Ruf nach der Anwendung des 25. Verfassungszusatzes ist mehr als angebracht. Dieser ist für Situationen gedacht, in denen der Präsident etwa aus Krankheitsgründen sein Amt nicht mehr ausüben kann, also „amtsunfähig“ist. Wer die vergangenen Wochen verfolgt hat, kann nicht anders, als eine ernste Geisteskrankheit des amtierenden Präsidenten zumindest für möglich zu halten.
Der republikanischen Partei zeigt die aktuelle Eskalation jedenfalls, dass sie endlich klären muss, wie sie mit ihrem rechten Zweig umgehen will, der seine Wurzeln in der Tea-Party-Bewegung hat und nun unter Donald Trump voll erblüht ist.
Joe Biden jedenfalls muss sich genau überlegen, wie er ab 20. Jänner mit seinem Vorgänger umgeht. Trump wird die Bühne nicht so schnell und nicht freiwillig verlassen wollen. Ein großer Startvorteil
des angehenden Präsidenten ist, dass die Demokraten seit den Nachwahlen von Mittwoch neben dem Abgeordnetenhaus auch den Senat kontrollieren. Biden und seine Regierung können also getrost den Fokus auf konkrete und in Corona-Zeiten so wichtige Sacharbeit legen, die Gerichte arbeiten und Trump links liegenlassen.
Bis zur Amtsübergabe bleibt dem Katholiken Biden nur frommes Flehen an höhere Ebenen: „Möge Gott Amerika schützen“, gab er sich salbungsvoll. Trump wird bis 20. Jänner und darüber hinaus noch viel Wind säen.