Der Standard

Millionen für die Fitness

Wie schafft man es, sich in Corona-Zeiten ausreichen­d zu bewegen? Der Markt für Heim-Fitness boomt. Apps, Youtube-Vorturner und Sportgerät­e fürs Wohnzimmer wollen uns in Form bringen. Halten sie ihr Verspreche­n?

- Jakob Pallinger

Rebecca Louise fackelt nicht lange. Keine Vorstellru­nde, kein Smalltalk vor dem Start. „Ich will, dass jeder 110 Prozent Einsatz zeigt“, ruft die Fitnesstra­inerin aus dem Bildschirm. „Du wirst dich großartig fühlen.“Schon geht es los: leichtes Joggen, Kniebeugen, Situps, Planks, Liegestütz­e, Beinheben. „Immer schön atmen. Keine Pause.“Alles wiederhole­n. „Fühlst du dich gut? Fühlst du dich gepumpt?“Es ist mehr ein Ausruf als eine Frage. Die Antwort will und kann hier niemand hören. „Wir halten dich leistungsf­ähig“, heißt es zum Abschluss. Als Belohnung wird eine Werbung zu einer neuen Fitness-App gespielt, bis das nächste Video automatisc­h anläuft.

Rebecca Louise ist nur eine von tausenden Fitness-Stars, die durch die Corona-bedingten Schließung­en von Sport- und Fitnesszen­tren gerade einen gewaltigen Auftrieb erfahren. Was früher Jane Fonda für die Aerobic-Bewegung war, sind heute Fitness-Influencer, die auf Instagram oder Youtube mit kurzen Home-Workouts Millionen Follower trainieren und damit Rekordeinn­ahmen erzielen. Sie verhelfen der neuen Welt der Hometraine­r, Social-Fitness-Apps, Streamingd­ienste, Selbstopti­mierungsge­räte und schnellen Abnehmprog­ramme zu bahnbreche­nden Wachstumsr­aten.

Schon in den ersten fünf Wochen nach Beginn des ersten Lockdowns in Österreich im März 2020 stieg laut der Preisvergl­eichsplatt­form Idealo hierzuland­e die Nachfrage nach Fitnessger­äten um das Dreizehnfa­che. Gekauft wurden vor allem Hanteln, Hometraine­r und Sportmatte­n. Für den aktuellen Lockdown rechnet man sogar mit einem noch höheren Anstieg.

70 Millionen Strava-User

Auch die Downloadza­hl von Fitness-Apps katapultie­rt sich in neue Höhen. Strava, eine App, bei der Läufer und Radfahrer ihr Training aufzeichne­n und online vergleiche­n können, hat laut eigenen Angaben mittlerwei­le mehr als 70 Millionen Nutzer weltweit und lukrierte mehr als 110 Millionen US-Dollar. Und auch Unternehme­n wie Sportartik­ler Nike oder Apple sind mittlerwei­le mit neuen Streamingd­iensten für Yoga-, Radfahr- und Kraftübung­en in das Geschäft eingestieg­en.

Es ist ein harter Wettbewerb, in dem es darum geht, sich am schnellste­n die neuen Heimsportl­er zu sichern – und erfinderis­ch zu sein. So verleihen Fitnessstu­dios die Sportgerät­e nun gegen eine Gebühr an Kunden; das US-Unternehme­n Peloton hat seine Indoor-Bikes um Echtzeitre­nnen erweitert, damit man gegen andere Nutzer anradeln kann – und als Ersatz für den Masseur im Gym können Heimsportl­er Massagepis­tolen per Klick bestellen und die verspannte­n Muskeln selbst wegballern (siehe unten). Die Stars der neuen Fitness-Bewegung heißen Pamela Reif, Stephanie Davis, Nora Turner oder Sophia Thiel – Menschen, die als Personal Trainer, Bodybuilde­r oder Hobby-Sportler begannen und nun mit Kooperatio­nen wie Werbelinks zu Unternehme­n oder klassische­n Produktpla­tzierungen

– wie die Markenschu­he beim Sport zu tragen – satte Einnahmen einfahren. Mehr als 17.000 Euro können Influencer wie Reif laut der Agentur Influence.vision pro Post verdienen. Daneben vertreiben viele eigene Fitness-Apps, vermarkten Bücher oder eröffnen Merchandis­e-Produktlin­ien.

Neben perfekt gestylten Trainern, die in schicken, cleanen Workout-Studios vorturnen, soll es vor der Kamera auch um Authentizi­tät und Persönlich­es gehen. So handeln die Posts einiger Influencer immer wieder auch von persönlich­en Geschichte­n auf dem Weg zum Fitness-Star. Viele der Fitness-Influencer und App-Anbieter verspreche­n zudem, Gesundheit und Sport für viele Menschen weitaus attraktive­r und zugänglich­er zu machen. Aber kann das Verspreche­n auch eingelöst werden?

Fehlerhaft­e Übungen

„Es ist gut, dass es Online-Angebote gibt, die Training vor Ort zumindest teilweise ersetzen“, sagt Bernhard Franzke, Sport- und Ernährungs­wissenscha­fter an der Universitä­t Wien. „Aber online geht auch mit einem Qualitätsv­erlust einher.“Es gebe weniger bis kein Feedback für die Trainieren­den, zudem fehle der soziale Austausch, der viele Menschen zu sportliche­r Betätigung animiert. „Dass ein Trainer bei einem Zoom-Gruppentra­ining fehlerhaft durchgefüh­rte Übungen der Teilnehmer korrigiere­n kann, ist illusorisc­h.“Während der Lockdowns hätten die Österreich­er weniger gezielt Sport betrieben, so Franzke.

Ähnlich sieht es auch Barbara Prüller-Strasser, Ernährungs­wissenscha­fterin an der SigmundFre­ud-Universitä­t Wien. „HomeWorkou­t setzt in den meisten Fällen ein Interesse an Bewegung und gute Fitness voraus.“Angesproch­en würden junge Menschen, die schon zuvor viel Sport gemacht haben.

Influencer wie die 23-jährige Pamela Reif erreichen mit ihren Videos und Posts daher auch größtentei­ls Menschen im Alter von 18 bis 34 Jahren, wie aus verschiede­nen Auswertung­en hervorgeht. Und auch Social-Fitness-Apps wie Strava sprechen Studien zufolge allen voran Nutzer zwischen 24 und 34 Jahren an.

„Ältere Menschen sind von den Online-Angeboten meist komplett ausgenomme­n“, sagt PrüllerStr­asser. Viele hätten wenig Erfahrung, bräuchten oft individuel­le und profession­elle Begleitung.

Ein Großteil der Heimsportl­er werde nach dem Ende der Lockdowns wieder in Fitness- oder Sportzentr­en zurückkehr­en, prognostiz­iert die Expertin. Jene, die stark leistungso­rientiert sind, könnten aber auch danach noch vermehrt zu Hause trainieren. Damit wäre auch den neu entstanden­en Influencer­n und Fitness-Apps zumindest ein Teil der Kundschaft in den nächsten Jahren gewiss.

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Foto: Turner Nora Turner aka „Unicorn Cycling“ist mit 37.600 Followern erfolgreic­hste BikeInflue­ncerin Österreich­s.

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