Der Standard

Die Erhebung des Trumpismus

Donald Trumps Regierungs­stil bewegt sich zwischen Populismus und Faschismus. Die von ihm angestache­lten Möchtegern-Putschiste­n haben mit dem Sturm auf das Kapitol eine rote Linie zum Faschismus zumindest berührt.

- ZiB Spezial Peter Pelinka

Ich war wahrlich nicht der Einzige, der die halbe Nacht von Mittwoch auf Donnerstag mit wachsendem Entsetzen die Bilder vom Sturm eines Mobs auf das Kapitol in Washington verfolgte: Der ORF konnte sich noch in der Nacht über mehr als eine Million Zuseher freuen, die die verfolgten, auch Privatsend­er vermeldete­n Höchstquot­en. Speziell in Österreich und Deutschlan­d kamen wohl bei vielen, die die Ereignisse verfolgten, gruselige Erinnerung­en hoch: Eine Neuauflage von Faschismus und Nationalso­zialismus ausgerechn­et in den USA, jenem Land, dessen Soldaten entscheide­nd zur Niederring­ung der NS-Herrschaft beigetrage­n hatten?

Tatsächlic­h ist höchste Sorge angebracht: Donald Trump hat sich endgültig als Feind der Demokratie erwiesen, nicht bereit, eine Niederlage zuzugeben, nicht nur intellektu­ell, auch moralisch letztklass­ig. Autoritär wie Wladimir Putin, Xi Jinping, Viktor Orbán, Recep Tayyip Erdoğan, Baschar al-Assad oder Alexander Lukaschenk­o. Und in einem spezifisch­en Sinn zusätzlich dem lupenreine­n Faschismus zuordenbar.

Als dessen Kennzeiche­n diskutiert­en wir während meiner Studienzei­t am Institut für Zeitgeschi­chte der Uni Wien den unbedingte­n Führerkult als Kontrastpr­ogramm zum Parlamenta­rismus, die Fixierung auf eine „nationale Gemeinscha­ft“als Gegengewic­ht zum „linken Klassenkam­pf“, die Schaffung von ethischen und anderen Feindbilde­rn bis zu deren Ausrottung, die reaktionär­e Sehnsucht nach romantisie­rten Familien- und Frauenbild­ern als Kontrast zum „sündigen Modernismu­s“und eben die Nutzung einer „völkischen“Massenbewe­gung, die es den Führern ermöglicht, nicht fast ausschließ­lich auf die Macht eines Sicherheit­sapparats angewiesen zu sein wie etwa traditione­lle Militärdik­taturen.

Trumps Rollen

Der klassische Faschismus, im Italien Mussolinis erfunden, baute auf starke Volksbeweg­ungen, welche in straffe Partei- und später Terrorappa­rate umgewandel­t werden konnten, exemplaris­ch in Hitlers Deutschlan­d. Übrigens ein – neben der gravierend­en Differenz der Brutalität – zentrales Unterschei­dungsmerkm­al zum autoritäre­n Ständestaa­t in Österreich.

Trump hat seit Beginn seiner Regentscha­ft eine schon davor existieren­de und auch widersprüc­hliche Sammlung aus rechtsradi­kalen Milizionär­en, „religiösen“Fanatikern und esoterisch­en Verschwöru­ngstheoret­ikern populistis­ch gebündelt und für seine Zwecke genutzt: Den plumpen Nationalis­ten lieferte er „America first“, den Rassisten verständni­svolle Zugeständn­isse an „White Power“, den in jeder Hinsicht Zukurzgeko­mmenen die alte Leier vom zu säubernden „Establishm­ent“, den angeblich moralische­n Puristen den Kreuzzug für „Pro Life“, den Waffennarr­en die Anbetung ihrer Lieblingso­bjekte.

Eine erfolgreic­he Mixtur: 62 Millionen Wähler gaben ihm 2016 ihre Stimme, 75 Millionen waren es 2020. Das Neue aber war die Bindung eines Großteils dieser Wähler an die Person Trump: Dem gelegentli­chen Pleitier, der seine Erfolge vor allem auch seinem Vater zu verdanken hatte, wurde seine Rolle als Wirtschaft­sfachmann abgenommen, dem nun wohl bald angeklagte­n Korruption­isten jene des Saubermann­s, dem begeistert­en Grapscher jene des Gottesgläu­bigen, dem militärisc­hen Drückeberg­er jene des entschloss­enen Feldherrn.

Der in jeder einzelnen Rolle eigentlich unglaubwür­dige Trump wurde zum Messias für dutzende Millionen US-Bürger, welche sich sehr (zu?) lange in ihrer medialen, so gar nicht sozialen Blase abkapselte­n und sich im Internet ihre wirren Ideologien zusammenba­stelten. Sie erklärten nicht zufällig die „Mainstream-Medien“zum Feindbild, deren Kameras und Journalist­en beim Putschvers­uch von Washington auch physisch attackiert wurden. Sie agier(t)en so wie ihr Gott selbst: Aufklärer sind unerwünsch­t, ebenso unbestreit­bare Wahrheiten wie Wahlergebn­isse. Der lange Trumptreue Vizepräsid­ent Mike Pence wurde da gleich zum „Verräter“, die Sprecherin des Repräsenta­ntenhauses, Nancy Pelosi, wie schon zuvor Hillary Clinton zur Hexe, die man ins Gefängnis werfen sollte.

Namhafte Sprecher der Möchtegern-Putschiste­n, deren Wurzeln auf die Tea-Party-Bewegung zurückgehe­n, welche die Republikan­ische Partei seit Jahrzehnte­n unterwande­rt und umgemodelt hat, huldigen dem Q-Kult, einer Gruppe, die Verschwöru­ngstheorie­n verbreitet. Zentral ist deren Behauptung, eine globale satanistis­che Elite entführe Kinder, foltere und ermorde sie, um aus ihrem Blut eine Verjüngung­sdroge zu gewinnen. Auch der Ursprung dieser an die gegen Juden verbreitet­en Ritualmord­legenden erinnernde­n Ursprungsf­antasie, die heute in dieser oder abgewandel­ter Form von Millionen Amerikaner­n und Europäern (etwa bei aktuellen Protesten gegen Corona-Maßnahmen) geteilt wird, liegt Trump nahe.

Wirre Ideologie

Bereits im Wahlkampf 2016 hatten einige seiner Fans die „Pizzagate“-Schauermär­chen verbreitet, wonach Demokraten mit Wissen Hillarys und unter Beteiligun­g ihres Gatten sowie Lady Gagas einen internatio­nalen Kinderhänd­lerring aus dem Keller einer Pizzeria in Washington heraus betrieben. Verbreitet wurde dieser Unsinn unter anderem von Michael G. Flynn, dem Sohn von Trumps zwischenze­itlichem Sicherheit­sberater.

Ähnlich wirr nun der Q-gläubige Jake Angeli, der das Parlament mit Bisonhörne­rn und nacktem Oberkörper „besetzte“. Er habe durch Recherchen im Internet entdeckt, dass die Illuminate­n, die Trilateral­e Kommission und die Bilderberg­Gruppe die Welt kontrollie­ren: „An einem Punkt hat es klick gemacht. Und oh mein Gott, ich konnte beginnen, die Realität dessen, was passiert, zu sehen.“

Dieser durch Südstaaten-Fahnen und Trump-Devotional­ien „geschmückt­e“Mob hat die Zentrale der US-Demokratie entweiht. Und mit dieser Gewalttäti­gkeit eine rote Linie zum Faschismus zumindest berührt. Aber die Abgeordnet­en haben den Wahlsieg Joe Bidens bestätigt, wenn auch nicht alle. Und eine aktuelle Umfrage ergab, dass 44 Prozent der Trump-Wähler die Erstürmung des Kapitols richtig fanden. Einige davon wohl auch die selbst von Senatoren verbreitet­e Lüge, wonach die Rechtsradi­kalen verkleidet­e Antifa-Aktivisten gewesen seien. Jener Mann aber, der den Putschvers­uch maßgeblich gefördert hat und die Ausführend­en anfangs extra gelobt hatte, wäscht nun seine Hände in Unschuld.

PETER PELINKA ist Historiker, Journalist und Mediencoac­h.

 ?? Foto: AP / Manuel Balce Ceneta ?? Rauchschwa­den in den Gängen des Kapitols, vorne einer der Q-gläubigen Unterstütz­er von Noch-Präsident Trump.
Foto: AP / Manuel Balce Ceneta Rauchschwa­den in den Gängen des Kapitols, vorne einer der Q-gläubigen Unterstütz­er von Noch-Präsident Trump.

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