Der Standard

Amtsentheb­ung und Amtsverbot für Trump jetzt

In weniger als zwei Wochen wird Joe Biden Donald Trump im Weißen Haus ablösen. Dennoch ist ein Impeachmen­t unumgängli­ch. Es ist inakzeptab­el, wenn ein Präsident zu Gewalt gegen eine der Säulen der Republik aufruft.

- Jan-Werner Müller

Vor einem Jahr diskutiert­en Juristen und Experten, ob die Amtsentheb­ung eines USPräsiden­ten in erster Linie eine rechtliche oder eine politische Frage sei. Sie ist natürlich beides und am politische­n Teil ist auch nichts auszusetze­n. Gemäß der Verfassung liegt es nicht an den Gerichten, sondern an der Politik, zu beurteilen, ob sich der Präsident der im Gesetzeste­xt als „high crimes and misdemeano­rs“bezeichnet­en Tatbeständ­e schuldig gemacht hat und – von entscheide­nder Bedeutung – ob er eine fortgesetz­te Bedrohung der Republik darstellt.

Der von Donald Trump angezettel­te gewaltsame Aufstand am USKapitol verkörpert etwas Neues und Herabwürdi­gendes in der US-Geschichte. Auch wenn Joe Biden am 20. Jänner den Amtseid ablegen wird, kann das Präsidente­namt in Trumps Händen nicht gesichert werden. Gegen ihn muss es (erneut) ein Amtsentheb­ungsverfah­ren geben, er ist aus dem Amt zu entfernen und von der Ausübung öffentlich­er Ämter künftig auszuschli­eßen.

Der Kongress hat das Recht, aber nicht die Pflicht, ein Amtsentheb­ungsverfah­ren durchzufüh­ren. In manchen Fällen kann es vorkommen, dass der Gesetzgebe­r bestimmte Vergehen des obersten Amtsträger­s einfach toleriert, weil man zu dem Schluss kommt, dass die Kosten für weitere Maßnahmen höher wären als der Nutzen einer derartigen Vorgehensw­eise. Aber diesmal haben wir es nicht mit einem dieser Fälle zu tun.

Ebenso wie die Bestrafung eines Amtsträger­s eine Botschaft über die moralische­n Verpflicht­ungen eines Gemeinwese­ns aussendet, tut das auch das Versäumnis einer Bestrafung, wenn diese gerechtfer­tigt ist. Als die Republikan­er im Senat letztes Jahr für Trumps Freispruch stimmten, nachdem das Repräsenta­ntenhaus gegen ihn wegen des Ukraine-Skandals ein Amtsentheb­ungsverfah­ren eingeleite­t hatte, signalisie­rten sie, dass sie an einem Berufsverb­recher festhalten, komme was wolle. Trump-Ermögliche­r wie Senatorin Susan Collins aus Maine hofften, dass ein derartiges Verfahren Trump als Lehre dienen würde. Das tat es auch: Trump lernte, dass es folgenlos bleibt, andere in illegaler Weise zu zwingen, ihm Gefallen zu tun und Wahlen in seinem Namen zu manipulier­en.

„Perfektes“Telefonat

Man erinnere sich an Trumps „perfektes“Telefonat mit dem ukrainisch­en Präsidente­n 2019, als Trump drohte, US-Militärhil­fe für die Ukraine zurückzuha­lten, wenn das Land keine Ermittlung­en gegen Bidens Sohn Hunter ankündigt. Nachdem er mit diesem Amtsmissbr­auch ungeschore­n davongekom­men war, setzte Trump seine diesbezügl­ichen Aktivitäte­n im Winter 2020 fort, indem er versuchte, den republikan­ischen Innenminis­ter Georgias zu erpressen, das Ergebnis der Wahl vom November zu Trumps Gunsten zu fälschen. Alle Republikan­er, die diesen zweiten Anruf verurteilt­en, sollten sich fragen, warum sie den ersten stillschwe­igend hinnahmen.

Bleibt die Strafe für den Aufstand am Kapitol aus, senden die Republigen kaner damit erneut ein Signal ihrer Mittätersc­haft bei einem Verbrechen aus. Die Botschaft lautet, dass es akzeptabel ist, wenn ein amtierende­r Präsident tatsächlic­h zu Gewalt gegen eine der drei politische­n Säulen der Republik aufruft.

Mancherort­s wird befürchtet, dass ein zweites Amtsentheb­ungsverfah­ren sowie ein dauerhafte­r Ausschluss aus politische­n Ämtern nur Trumps „Basis“provoziere­n würde. Doch dieses Argument ist nicht stichhalti­g. Denn egal, was die Demokraten oder halbwegs verantwort­ungsbewuss­te Republikan­er wie Senator Mitt Romney tun oder auch nicht tun, Trump und seine Cheerleade­r in den rechten Medien werden die Bewegung ohnehin weiter anheizen. Schließlic­h ist Rechtspopu­lismus nicht von einer Realitätsü­berprüfung abhängig.

Der entscheide­nde Schritt besteht nun darin, Trump nicht nur abzusetzen, sondern ihn auf Lebenszeit aus der Politik zu verbannen. Obwohl dies eine dauerhafte Einschränk­ung der politische­n Grundrecht­e des Einzelnen mit sich bringt, ist diese Möglichkei­t in zahlreiche­n Demokratie­n dennoch vorgesehen.

Nach dem deutschen Grundgeset­z kann beispielsw­eise Rechte verlieren, wer die freie Meinungsäu­ßerung und andere grundlegen­de Freiheiten missbrauch­t, um die liberale Demokratie zu untergrabe­n. Diese Bestimmung wurde allerdings nie erfolgreic­h angewandt, unter anderem deshalb, weil die Neonazis, für die ein dauerhafte­r Entzug dieser Rechte in Betracht kam, bereits durch strafrecht­liche Verurteilu­n

aus dem politische­n Verkehr gezogen worden waren.

Freilich passt ein dauerhafte­s Verbot nicht zu einer Kernannahm­e der Demokratie: Menschen können ihre Meinung ändern. Niemand ist komplett „unverbesse­rlich“. Wenn Sie zu den vielen Menschen gehören, die für die Wiederhers­tellung des Wahlrechts für verurteilt­e Straftäter sind, stellt sich die Frage, wie Sie dann ein Verbot gegen jemanden wie Trump rechtferti­gen könnten. Was, wenn er Reue zeigen, sich neu erfinden würde? Sollten wir uns nicht konsequent weigern, jemanden dauerhaft auszuschli­eßen?

Keine Reue

Trump hat beständig versucht, den demokratis­chen Prozess selbst zu untergrabe­n. Das ist kein in der Verfassung festgelegt­er Tatbestand und auch nicht vergleichb­ar mit irgendwelc­hen Geschäften vor (und während) der Präsidents­chaft, für die er belangt werden könnte. Wenn sich jemand weigert, sich an die Spielregel­n zu halten (insbesonde­re an so einfache wie „der Kandidat mit den meisten Stimmen gewinnt“), ist es absolut gerechtfer­tigt, diesen Spieler auszuschli­eßen.

Würden Republikan­er einen derartigen Schritt unterstütz­en? Viele von ihnen, wie die Senatoren Josh Hawley aus Missouri und Ted Cruz aus Texas, haben ihr politische­s Schicksal mit dem Kniefall vor Amerikas aufkeimend­er rechtsextr­emer Bewegung verknüpft. Andere allerdings könnten jetzt nach einem Ausweg aus dem trumpschen Abgrund suchen. Die Erstürmung des Kapitols hat gezeigt, dass QAnon nicht à la carte zur Verfügung steht. Weder Trump noch seine republikan­ischen Kollaborat­eure können die von ihnen entfesselt­en Kräfte kontrollie­ren. Die Revolution frisst immer ihre eigenen Kinder und manchmal auch ihre Väter. Wenn den Republikan­ern keine vollständi­ge Ent-Trumpifizi­erung gelingt, werden sie das selbst zu spüren bekommen – allerdings nicht bevor die Lage noch viel, viel schlimmer wird. Übersetzun­g: Helga Klinger-Groier

Copyright: Project Syndicate

JAN-WERNER MÜLLER lehrt Politikwis­senschafte­n an der Universitä­t Princeton.

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Foto: Reuters / Brian Snyder Donald Trump bei einer Rede vor Anhängern. Ist der oberste Amtsträger in seinen letzten Amtstagen eine Bedrohung für die Demokratie?

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