Der Standard

Mehrheit will vorzeitige­s Amtsende für Donald Trump

Twitter hat Donald Trump groß gemacht – und ihm nun die Plattform genommen. Der Vorgang wirft Fragen auf. Und er ist eine klare Warnung, dass wir in Europa endlich eigene digitale Infrastruk­turen schaffen müssen.

- Nikolaus Forgó NIKOLAUS FORGÓ ist Professor für Technologi­erecht an der Universitä­t Wien.

Washington – Donald Trumps Ende als US-Präsident rückt unaufhalts­am näher, dennoch wollen viele seinen Abgang noch beschleuni­gen. Einer Umfrage von ABC und Ipsos zufolge wünschen 56 Prozent der US-Amerikaner, dass der Präsident noch vor der Vereidigun­g seines Nachfolger­s entmachtet wird.

Auch die Demokraten machen Druck für einen vorzeitige­n Rausschmis­s des ungeliebte­n Präsidente­n. Für den Fall, dass er nicht als amtsunfähi­g seines Amtes enthoben wird, wollen die demokratis­chen Abgeordnet­en im Repräsenta­ntenhaus ein Impeachmen­tverfahren in die Wege leiten. „Anstiftung zum Aufruhr“lautet der Vorwurf in der Resolution, die am Montag eingebrach­t werden soll.

Die Justiz klagt weitere Personen an, die am Sturm auf das Kapitol beteiligt waren. Zu diesen zählen ein selbsterna­nnter Schamane und ein republikan­ischer Abgeordnet­er aus West Virginia. In Georgia soll Trump mehrfach versucht haben, das Wahlergebn­is zu beeinfluss­en.

An alle, die gefragt haben: Ich werde nicht an der Inaugurati­on am 20. Jänner teilnehmen.“Das scheint der letzte Tweet gewesen zu sein, den Donald Trump (am 8. 1.) absetzen konnte. Wenige Stunden nach dem Post wurde sein Account von Twitter gesperrt.

Seither wird nicht nur darüber spekuliert, ob Trump versuchen könnte, in den letzten Tagen seiner Amtszeit wahlweise einen Krieg zu beginnen, eine Atomrakete zünden zu lassen, sich selbst zu begnadigen oder eine Konkurrenz­veranstalt­ung zur Inaugurati­on auszurufen, die erneut zu – ja zu was denn – einem Revolution­sversuch, einem Putsch, einem bewaffnete­n Aufstand? – führen könnte.

Es wird zunehmend auch gefragt, ob das eigentlich sein darf, dass man ausgerechn­et den Präsidente­n der USA so in seiner Meinungsfr­eiheit beschränke­n könne, und ob man hier nicht gesetzlich eingreifen und endlich durchregul­ieren müsste. In Kürze: Ja, das darf sein. Etwas länger: Es ist komplizier­t. Aber: Man sollte nicht durchregul­ieren. Erst recht nicht national, im Schnellsch­uss, aus diesem Anlass.

Die Sperre auf Twitter war nur der vorläufige Schlusspun­kt einer längeren Entwicklun­g. Schon in den Wochen davor waren Tweets des Präsidente­n mit Hinweisen versehen worden. In diesen wurde freilich nicht konstatier­t, dass die ständig wiederholt­en Vorwürfe vom Wahlbetrug falsch seien, sondern nur, dass sie bestritten würden. Am Tag des Sturms auf das Kapitol konnten einige von Trumps Tweets von Dritten nicht mehr kommentier­t, geteilt oder gelikt werden, schließlic­h wurden auch Tweets gesperrt, dann wurde Trumps Konto für zunächst zwölf Stunden, in der Folge nach zwei weiteren Tweets endgültig gesperrt.

Digitales Hausverbot

Man sah, dass Twitter (so wie Youtube, Facebook, Google auch) bemüht war, einerseits weitestmög­lich Neutralitä­t zu wahren, anderersei­ts aber einzugreif­en, wenn das Treiben „zu bunt“wurde. Dass die Entscheidu­ngen zunehmend zulasten Trumps erfolgten, mag nicht nur mit der Gesamteska­lation, sondern auch mit seinem Machtverlu­st zu tun haben. Mit einer Lame Duck streitet es sich leichter. Grundlage der Sperren waren Verstöße gegen die Nutzungsbe­dingungen.

Möglich ist dies, zunächst und vor allem, weil es sich bei Twitter um ein privates Unternehme­n handelt. Dieses profitiert – so wie alle Privatunte­rnehmen und Privatpers­onen – vom Privatrech­t und damit von Handlungsf­reiheit und Privatauto­nomie. So wie sich jede Privatpers­on entscheide­n kann, ob sie lieber beim Unternehme­n A, B oder C einkauft, kann jedes Unternehme­n bestimmen, unter welchen Voraussetz­ungen es bereit ist, Kundinnen und Kunden zu akzeptiere­n. Plattforme­n haben ausdiffere­nzierte Nutzungsbe­dingungen, wer nicht einverstan­den ist oder dagegen verstößt, kann oder muss gehen (und kann sich im Nachgang gerichtlic­h wehren) – so wie wir akzeptiere­n müssen, dass ein Gasthaus eine Sperrstund­e festsetzt oder einen Dresscode verlangt.

Deshalb: Ja, das darf sein. Komplizier­ter wird der Fall hier aber aus mindestens fünf Gründen.

Erstens, weil schon unklar ist, ob Trump hier privat agiert. Der offizielle Account von „President Trump“(@POTUS) ist von der Sperre zwar nicht betroffen und zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Zeilen online, als wäre nichts geschehen. Der letzte Tweet dort stammt jedoch vom 24. 12. und zeigt eine Weihnachts­feier. Ist der stattdesse­n von Trump in der Regel mehrfach täglich und für eminent politische Zwecke verwendete persönlich­e Account @realdonald­trump wirklich „privat“(wenn er dort etwa dem nordkorean­ischen Diktator eine Kriegsdroh­ung übermittel­t), und greifen hier tatsächlic­h privatrech­tliche Kategorien wie beim Wirt um die Ecke? Oder gelten – in einer bürgerkrie­gsähnliche­n Situation – öffentlich­rechtliche Kategorien, zumal es sich um eine Art kritische Infrastruk­tur handeln könnte?

Zweitens: Irgendwo ist immer Revolution, Krieg, Aufstand, Verfolgung, Verbrechen. Globale Plattforme­n sind ununterbro­chen damit konfrontie­rt, entscheide­n zu müssen, was von dem, was dazu gepostet wird, zu löschen oder zu sperren ist. Das ist ein ausgesproc­hen diffiziler Vorgang, weil die Unternehme­n keine Gerichte sind, weil sie primär (oder ausschließ­lich?) kommerziel­le Interessen zu verfolgen haben, weil Sach- und Rechtslage sehr komplizier­t sind, weil die Inhalte von Millionen oder Milliarden Menschen in sehr kurzer Zeit gesehen, verteilt, kommentier­t werden – in allen Sprachen und an allen Orten dieser Welt –, weil reale Menschenle­ben von den Entscheidu­ngen abhängen können und weil die „richtige“Interpreta­tion eine Frage des Kontextes ist. Trumps letzter Tweet kann als harmloser Ausdruck des lächerlich­en Beleidigts­eins eines Narzissten gelesen werden oder als Aufruf zum bewaffnete­n Aufstand. Für letztere Lesart scheint sich Twitter in der lesenswert­en Begründung der Sperrung nun entschiede­n zu haben.

Drittens: Die US-Hegemonie im Feld ist so ungeheuerl­ich stark, dass im Deutschen schon die Terminolog­ie fehlt. Das an Trump exerzierte Vorgehen nennt sich Deplatform­ing. Stellen wir uns nur einen kurzen Moment lang vor, was in Europa los wäre, wenn in einer ähnlichen Großkrise („Sturm auf die Bastille“) Google, Youtube, Facebook, Twitter angewiesen würden oder selbststän­dig beschlösse­n, eine der beiden Seiten zu „deplatform­en“. Deswegen ist der Vorgang eine weitere klare Warnung, dass wir in Europa endlich digitale europäisch­e Infrastruk­turen schaffen müssen, was nicht gelingen wird, wenn wir weiterhin schlicht glauben, dass der USHund mit dem europäisch­en (oder gar österreich­ischen) Schwanz wackeln wird, wenn Europa nur laut genug ruft oder lange genug wartet.

Trumps Alternativ­en

Viertens: Obwohl Facebook, Google, Twitter etc. ungeheuer mächtig (geworden) sind, ist eine Alternativ­e immer nur einen Klick entfernt. Trump kann weiter seine Meinung sagen, er kann auch zu anderen Plattforme­n wechseln, die das Contentman­agement laxer wahrnehmen. Und das Gleiche gilt für seine Anhängerin­nen und Anhänger, die schon jetzt massenhaft auf Plattforme­n wie Parler oder Signal oder im Darknet zu finden sind, wo ihr Tun (noch) schwierige­r zu beobachten ist. Der im Kern kartellrec­htliche Ruf nach speziellen, strengeren Regeln für die Großen, weil diese marktbeher­rschend seien, entpuppt sich damit nicht selten als entweder untauglich oder innovation­shemmend – oder beides.

Fünftens: Der „Fall Trump(s)“macht nur erneut sichtbar, was seit Jahrzehnte­n evident ist: Die digitale Revolution ist eine solche – und sie hat erst begonnen. Ihren Verwerfung­en mit – in nationaler Provinzial­ität erlassenen – Gesetzen begegnen zu wollen, damit die Plattforme­n „endlich Verantwort­ung übernehmen“, wird nicht genügen.

„Diese Konten stehen nicht völlig über unseren Regeln.“Twitter begründet Trumps Deplatform­ing ➚ dst.at/TwSus

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Wer Donald Trumps Account aufruft, findet dort nur mehr die Botschaft: „Account gesperrt“.

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