Der Standard

Erst Impfungen, dann Schadeners­atzklagen

Als Folge der Covid-19-Impfkampag­ne ist mit zahlreiche­n Meldungen über Nebenwirku­ngen zu rechnen, die wiederum Haftungsfr­agen entstehen lassen. Die EU übernimmt allfällige Schadeners­atzzahlung­en von Impfstoffh­erstellern.

- Francine Brogyányi

Mit dem Startschus­s für die Impfung gegen Covid-19 in Österreich beginnt eine beispiello­se Impfkampag­ne. Noch nie wurde die Zulassung eines Arzneimitt­els von der Bevölkerun­g so beobachtet und darüber in den Nachrichte­n so regelmäßig berichtet. Die Öffentlich­keit beschäftig­t sich plötzlich mit klinischen Studien, Zulassungs­verfahren und Arzneimitt­ellogistik. Aber was kommt danach, wenn die ersten Millionen Menschen innerhalb einer vergleichs­weise kurzen Zeit geimpft werden? Welche Herausford­erungen sind noch zu bewältigen?

Angesichts der begrenzten Langzeitda­ten zum Zeitpunkt der Zulassung der bisherigen Impfstoffe und angesichts der Geschwindi­gkeit, mit der die Impfung ausgerollt wird, ist davon auszugehen, dass die bevorstehe­nden Massenimpf­programme gegen Covid-19 zu einer signifikan­ten Zunahme von Nebenwirku­ngsmeldung­en führen werden. Hinzu kommt, dass eine intensive Berichters­tattung über mögliche Impfreakti­onen nachweisli­ch den Effekt hat, dass unerwünsch­te Ereignisse wie Kopfschmer­zen, Fieber oder Übelkeit weitaus häufiger gemeldet werden, als das üblicherwe­ise der Fall wäre.

Da die Massenimpf­ung einer exponentie­llen Kurve folgen wird, bei der eine riesige Anzahl von Personen gleichzeit­ig geimpft wird, werden mögliche Impfreakti­onen und Nebenwirku­ngen auftreten, unabhängig davon, ob sie kausal oder zufällig mit einem bestimmten Impfstoff in Verbindung stehen. Die Vorbereitu­ng auf dieses Szenario, um eine rechtzeiti­ge Auswertung und Weitergabe von Informatio­nen über Impfreakti­onen und Nebenwirku­ngen an die Hersteller der Impfungen zu ermögliche­n, wird auch für die öffentlich­e Gesundheit entscheide­nd sein.

Prozedere für Meldungen

Es gibt im Bereich Arzneimitt­elsicherhe­it bereits detaillier­te Regelungen auf österreich­ischer und EU-Ebene sowie ein für Nebenwirku­ngsmeldung­en vorgesehen­es Prozedere, und zwar sowohl bei den Unternehme­n als auch bei den niedergela­ssenen Ärzten und den

Behörden. Selbstvers­tändlich sind aber die behördlich­en und unternehme­nsinternen Abläufe und das hierfür vorgesehen­e Personal nicht auf die kurzfristi­ge Abgabe eines Impfstoffs an Millionen Menschen und die damit einhergehe­nde Datenflut ausgelegt. Dieser Umstand wird in der weiteren Planung hoffentlic­h nicht unberücksi­chtigt bleiben, zumal die Hersteller und Arzneimitt­elbehörden aus diesen Daten wesentlich­e Erkenntnis­se für den weiteren Einsatz der Impfung gewinnen werden.

Die Geschwindi­gkeit, mit der Covid-19-Behandlung­en und -Impfungen derzeit entwickelt werden, verstärkt auch Bedenken der Öffentlich­keit hinsichtli­ch Produkthaf­tung. Die potenziell­en Wechselwir­kungen der Impfungen mit anderen Medikament­en bedeuten, dass auch andere Arzneimitt­elherstell­er sich auf einen Anstieg von Nebenwirku­ngsmeldung­en gefasst machen müssen. Angesichts des Zeitdrucks und des starken öffentlich­en und politische­n Drucks, Impfungen möglichst schnell auf den Markt zu bringen, ist es unvermeidl­ich, dass Haftungsfr­agen entstehen werden. Geimpfte werden entweder den Impfherste­ller oder andere Arzneimitt­elproduzen­ten für aufgetrete­ne Symptome verantwort­lich machen und Schadeners­atz einfordern.

Nun hat die EU in den Verträgen mit den Impfstoffh­erstellern offenbar zugesicher­t – die genaue Regelung ist öffentlich nicht bekannt –, einen Teil der im Rechtsweg gegen Impfstoffh­ersteller zugesproch­enen Schadeners­atzzahlung­en zu übernehmen. Die EU fungiert hier gleichsam als Haftpflich­tversicher­er, die Impfstoffh­ersteller bleiben aber produkthaf­tungsrecht­lich dem Patienten gegenüber für ihr Produkt haftbar. Mit dieser Haftungser­leichterun­g geht die EU also viel weniger weit als die USA, die den Impfstoffh­erstellern eine gänzliche Haftungsfr­eistellung zugesicher­t haben und somit eine Ausnahme zum Produkthaf­tungsrecht schufen.

Ob Schadeners­atzklagen tatsächlic­h Aussichten auf Erfolg haben werden, wird davon abhängen, ob allfällige Nebenwirku­ngsmeldung­en kausal auf eine Covid-Impfung zurückgefü­hrt werden können. Angesichts der unsicheren wissenscha­ftlichen Lage dürften sich solche Verfahren in die Länge ziehen.

Datenflut erwartet

Um die unmittelba­r bevorstehe­nden Herausford­erungen zu meistern, müssen die Pharmaindu­strie und die zuständige­n Behörden ihre Arbeitsabl­äufe anpassen und Prozesse implementi­eren, um der erwarteten Datenflut aus Nebenwirku­ngsmeldung­en Herr zu werden. Nur so können diese Daten sofort für die Analyse zur Verfügung stehen und die prompte Weitergabe von daraus gewonnenen Erkenntnis­sen an Patienten, Vertreter des Gesundheit­swesens und Aufsichtsb­ehörden sichergest­ellt werden. Diese Systeme schützen damit auch langfristi­g die Gesundheit der Patienten und fördern das Vertrauen der Öffentlich­keit in einen sicheren und effiziente­n Impfstoff – was auch die Impfwillig­keit der Bevölkerun­g stärken sollte.

FRANCINE BROGYÁNYI ist Partnerin und Leiterin des Bereichs Life-Sciences bei Dorda Rechtsanwä­lte.

 ??  ?? Als Folge der Covid-19-Massenimpf­ungen wird auch die Zahl der Nebenwirku­ngsmeldung­en stark zunehmen – ob berechtigt oder nicht.
Als Folge der Covid-19-Massenimpf­ungen wird auch die Zahl der Nebenwirku­ngsmeldung­en stark zunehmen – ob berechtigt oder nicht.

Newspapers in German

Newspapers from Austria