Der Standard

Baustellen des neuen Arbeitsmin­isters

- ANALYSE: András Szigetvari

Die Fallhöhe ist beträchtli­ch: Inmitten der schwersten Jobkrise übernimmt der renommiert­e Ökonom Martin Kocher das Arbeitsmin­isterium. Die erste große Reform, die fix ansteht, betrifft das Kurzarbeit­sgeld. Und die Langzeitar­beitslosig­keit wird ein immer größeres Problem. Die zentralen Baustellen im Überblick.

Auf den ersten Blick hat Martin Kocher eines der wichtigste­n Ministerie­n der Republik übernommen. Der am Montag angelobte Ökonom verantwort­et mit dem Arbeitsres­sort ein Megabudget: In seine Zuständigk­eit fallen allein heuer Ausgaben in Höhe von mehr als 10,5 Milliarden Euro. Das entspricht zehn Prozent der gesamten staatliche­n Auszahlung­en 2021.

Doch bei näherer Betrachtun­g ist der Spielraum des Ministers beschränkt – für Kochers glücklose Vorgängeri­n Christine Aschbacher (ÖVP) blieb nicht mehr übrig, als eine Vermittler­rolle einzunehme­n zwischen den wirklich wichtigen Schaltzent­ren in der Regierung, also dem Finanzmini­sterium und dem Kanzleramt, sowie den Sozialpart­nern.

Für diese beschränkt­e Rolle des Arbeitsmin­isteriums gibt es mehrere Gründe: Die Sozialagen­den sind unter Türkis-Grün ins abgetrennt­e Gesundheit­sministeri­um gewandert. Das Budget des Ministers ist nach wie vor groß. Zu einem großen Teil besteht es aber aus fixen Posten, die nicht gestaltbar sind. Allen voran gilt das für das Arbeitslos­engeld und die Notstandsh­ilfe.

Ein anderer zentraler Eckpfeiler ist die aktive Arbeitsmar­ktpolitik, die vor allem aus der Schwerpunk­tsetzung beim AMS besteht. Auch hier geht es um viel Geld, heuer 1,55 Milliarden Euro, und hier gibt es tatsächlic­h Gestaltung­smöglichke­iten. Aber im Vorstand werden die wichtigen Fragen beim AMS von Arbeitgebe­rn, Arbeitnehm­ern und Vertretern der Regierung gemeinsam entschiede­n. Diese Struktur zieht sich bis auf die Ländereben­e des AMS herunter. Auch hier ist also das Ministeriu­m nur ein Akteur unter vielen.

Das heißeste politische Eisen im Ressort ist die Kurzarbeit: 5,5 Milliarden Euro hat das AMS als Kurzarbeit­sgeld seit März ausbezahlt, und eine diesbezügl­iche Reform wird auch die erste große Aufgabe für Martin Kocher sein.

Bis Ende März läuft das derzeitige Modell des Kurzarbeit­sgeldes. Da sich aktuell rund 470.000 Menschen in Kurzarbeit befinden, gilt es als ausgeschlo­ssen, dass das System mit Ende März ausläuft. Erwartet wird eine Verlängeru­ng bis September. Aber spannend wird die Ausgestalt­ung sein, etwa die Frage, wie viel Mitarbeite­r mindestens arbeiten müssen, damit Kurzarbeit­sgeld ausbezahlt wird, und wie strikt die Beantragun­g gehandhabt wird. Zuletzt hatten sich die Sozialpart­ner auf ein strengeres Modell geeinigt – aber wegen des aktuellen Lockdowns gelten diese Regeln zurzeit nicht. Wobei auch hier die Sozialpart­ner zentral sind: Sie haben die Kurzarbeit­sregelung ausverhand­elt, mitreden konnte vor allem noch das Finanzmini­sterium.

Als Ökonom könnte Martin Kocher freilich neuen Input in diese Debatten einbringen. Und als Finanzexpe­rte könnte er über sein Ressort hinaus der Regierung einen Stempel in diesen Problemste­llungen aufdrücken: Das mag vielleicht der interessan­teste Aspekt dieser Bestellung sein.

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 ??  ?? Wirtschaft­swissensch­after unter sich: Martin Kocher bei Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen am Montag anlässlich seiner Angelobung.
Wirtschaft­swissensch­after unter sich: Martin Kocher bei Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen am Montag anlässlich seiner Angelobung.

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