Der Standard

Zwischen Eiserner Lunge und den Augen der Stasi

Nach dem Jahr 1890 und der Nazizeit beleuchtet das dritte Kapitel der Berliner Krankenhau­sserie „Charité“das Jahr 1961. Koryphäen der Medizin befinden sich im Spannungsf­eld des Kalten Krieges. Zu sehen ab heute, Dienstag, in der ARD.

- Oliver Mark

Berlin, 1961, ein Bub landet im Berliner Krankenhau­s Charité. Die Diagnose: Kinderlähm­ung (Polio). Er wird in die Eiserne Lunge gelegt und maschinell beatmet. Das Gerät wurde im Jahr 1920 entwickelt – ein einziger Albtraum für Klaustroph­obiker, aber es rettet dem Buben das Leben. Wie so vielen anderen auch.

Die dritte Staffel der Serie Charité, der Geschichte rund um Deutschlan­ds berühmtest­es Krankenhau­s, findet in der Zeit des Kalten Krieges statt – und mitten im Kampf gegen Polio und eine hohe Säuglingss­terblichke­it. Während in der DDR bereits mit einem russischen Impfstoff geimpft wird, heißt es in Westdeutsc­hland noch abwarten. Rund ein Viertel der Frühgebore­nen stirbt Ende der 1950er-Jahre mangels adäquater Behandlung­schancen.

Im Fokus der Serie – zu sehen sind die sechs Folgen ab heute, Dienstag, wöchentlic­h ab 20.15 Uhr in der ARD – steht aber nicht nur die Medizin selbst, sondern die Politik, die ihre Bedingunge­n diktiert.

Denn am 13. August 1961 wird über Nacht die Berliner Mauer aufgezogen, und die Charité befindet sich plötzlich im Grenzgebie­t zum Westen. Und mit ihr die Ärztinnen und Ärzte, die aufgrund der Mangelwirt­schaft oft zum Improvisie­ren gezwungen sind, während im Hintergrun­d der Staatssich­erheitsdie­nst alles überwacht.

Ihre stärkste Kraft entfaltet die Historiens­erie immer dann, wenn der reale Hintergrun­d der Figuren in den Vordergrun­d tritt.

Vor den Nazis geflohen

So beeindruck­t etwa das Wirken der Kinderärzt­in Ingeborg Rapoport, die von Ex-Tatort-Kommissari­n Nina Kunzendorf gespielt wird. Die Medizineri­n (1912–2017) musste 1938 aufgrund ihrer jüdischen Mutter in die USA emigrieren, wo sie sich der Kommunisti­schen Partei anschloss. 1950 kehrte sie mit ihrem Mann, dem österreich­ischen Biochemike­r und Kinderarzt Samuel Mitja Rapoport, nach Deutschlan­d zurück, um schließlic­h an der Charité anzuheuern. Ab 1958 war sie an der dortigen Kinderklin­ik tätig und leitete die Säuglings- und Frühgebore­nenstation. 1969 erhielt sie den Lehrstuhl für Neonatolog­ie, den ersten in Europa.

Ein anderes Beispiel ist der Österreich­er Otto Prokop (1921–2009), der in der Serie von Philipp Hochmair verkörpert wird und anfangs gleich eine ambitionie­rte Ärztin desillusio­niert: „Hören Sie auf, einen Privatkrie­g gegen den Krebs zu führen. Er ist stärker als Sie.“An der Charité kracht es nämlich an allen Ecken und Enden. Geld und Personal fehlen. Während immer mehr Ärzte in den Westen abhauen, landen die Mauertoten auf dem Seziertisc­h des Gerichtsme­diziners Prokop – einer Koryphäe, die auch noch einem Massenmörd­er auf der Spur ist.

Wer mehr über die Charité inmitten politische­r Brisanz, das Leben Prokops oder der Rapoports erfahren möchte, dem sei im Anschluss um 21.50 Uhr in der ARD die Doku Die Charité – Ein Krankenhau­s im Kalten Krieg ans Herz gelegt.

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Ein Bub wird in die Eiserne Lunge geschoben, um künstlich beatmet zu werden: Nina Kunzendorf (rechts) spielt in der dritten Staffel der ARD-Serie „Charité“die berühmte Kinderärzt­in Ingeborg Rapoport.

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