Der Standard

EZB-Direktorin warnt vor Rückkehr der Inflation

Langfristi­g könnten sich preisdämpf­ende Trends in der westlichen Welt umkehren

- INTERVIEW: András Szigetvari

Wien – Riesige Geldmengen werden von den Notenbanke­n in die Finanzmärk­te gepumpt, die Regierunge­n helfen Betrieben und Beschäftig­ten mit Hilfen und Konjunktur­spritzen über die Runden. Derartige staatliche Eingriffe können auch die Inflation anheizen. Doch derzeit ist davon weit und breit nichts zu sehen – im Gegenteil. In der Eurozone sanken in den letzten Monaten die Preise, es herrscht derzeit somit sogar Deflation.

Doch das muss nicht so bleiben, sagt die Direktorin der Europäisch­en Zentralban­k (EZB), Isabel Schnabel. „Die Inflation ist nicht tot“, so die Deutsche im STANDARD-Interview. „Nur weil wir im Moment in einer Phase sind, in der ein bestimmtes Phänomen nicht auftritt, gibt es keinen Grund zu vermuten, dass es gar nicht mehr existiert, erklärt Schnabel weiter.

Sie gibt zu bedenken, dass in den letzten Jahren vor allem die wachsende Bedeutung Chinas die Preisentwi­cklung im Zaum hielt. Weil immer mehr Produkte in dem Niedrigloh­nland produziert werden können, sanken die Preise für Kühlschrän­ke, Computer oder TV-Geräte. Die damit einhergehe­nde Globalisie­rung bremste in westlichen Ländern die Lohnforder­ungen der Arbeitnehm­er. Dazu kommen die technologi­schen Fortschrit­te, insbesonde­re die Digitalisi­erung, die die Inflation dämpften. Doch diese Trends könnten sich langfristi­g umkehren, sagt Schnabel.

Rückstau bei Ausgaben

In den kommenden Monaten erwartet die EZB bereits einen deutlichen Preisansti­eg, wenn allerdings auch auf niedrigem Niveau und die Zentralban­k ihr Inflations­ziel von knapp unter zwei Prozent über das Jahr 2021 wohl wieder verfehlen dürfte. Sofern die Impfkampag­nen gut anlaufen, könnte es über den Sommer zu deutlich mehr Ausgaben für Dienstleis­tungen kommen, so Schnabel. Insbesonde­re bei Reisen und Restaurant­besuchen wäre das der Fall. Das würde zu einem Preisansti­eg führen. Hinzu kommt ein Effekt durch höhere Energiepre­ise. Diese waren im Frühjahr 2020 auf einen Tiefpunkt gefallen. Jeder Anstieg hier macht sich bei einer Inflation 2021 deutlich bemerkbar. Schnabel erwartet kurzfristi­g „durchaus eine gewisse Dynamik“.

Auf solche vorübergeh­ende Schwankung­en werde die EZB nicht reagieren. Im Gespräch warnt Schnabel zudem ausdrückli­ch davor, krisenbedi­ngte Staatsausg­aben zu früh zurückzufa­hren, das wäre ein schwerer Fehler. (red)

Die Industriel­änder geben im Kampf gegen die Corona-Pandemie Rekordsumm­en aus, ihre Verschuldu­ng ist auf 125 Prozent der Wirtschaft­sleistung gestiegen. Parallel pumpen die wichtigen Zentralban­ken hunderte Milliarden in die Finanzmärk­te. Doch wirklich spüren tut das bisher niemand. Denn möglich ist das alles nur, weil die Inflation extrem niedrig ist und damit verbunden auch die Zinsen. Wie lange bleibt das so?

Standard: Gibt es so etwas wie Inflation überhaupt noch?

Schnabel: Die Inflation ist nicht tot. Im Vergleich zum langen Lauf der Wirtschaft­sgeschicht­e sind es nur relativ wenige Jahre, in denen die Inflation so niedrig war wie aktuell. Und nur weil wir im Moment in einer Phase sind, in der ein bestimmtes Phänomen nicht auftritt, gibt es keinen Grund zu vermuten, dass es gar nicht mehr existiert.

Standard: Warum?

Schnabel: Dass die Inflation seit mehreren Jahren so niedrig ist, hat vor allem mit strukturel­len Veränderun­gen unseres Wirtschaft­slebens zu tun. Die Globalisie­rung, insbesonde­re der Eintritt Chinas in den Welthandel, hat das globale Arbeitsang­ebot

erhöht und die Verhandlun­gsmacht der Arbeitnehm­er – und damit den Lohnanstie­g – gesenkt. Das hat dämpfend auf die Preisentwi­cklung gewirkt. Die Digitalisi­erung hat dazu geführt, dass die Transparen­z bei Preisen und damit der Wettbewerb gestiegen ist, denken Sie an den Onlinehand­el. Außerdem könnte die Demografie eine Rolle spielen: Aufgrund der Alterung der westlichen Gesellscha­ft wurde im Schnitt mehr gespart, zugleich wurde weniger investiert. Aber diese Faktoren können sich wieder verändern.

Standard: Wodurch?

Schnabel: Manche Ökonomen, wie der Brite Charles Goodhart, argumentie­ren, dass die Inflation wieder deutlich steigen wird, weil sich die oben genannten Faktoren umkehren könnten. Mit der Alterung könnte das globale Arbeitsang­ebot zurückgehe­n, die Löhne könnten steigen, und die Globalisie­rung könnte sich abschwäche­n. Die Menschen, die für das Alter gespart haben, könnten nun damit beginnen, mehr auszugeben, während das Güterangeb­ot nicht in demselben Maße steigt. Hinzu kommt, dass die Digitalisi­erung zu einem Anstieg der Marktmacht in manchen Bereichen geführt hat. Solche längerfris­tigen Trends lassen sich allerdings nur schwer prognostiz­ieren, und es könnte auch anders kommen.

Standard: Die EZB lag mit ihren Prognosen zuletzt ständig falsch: Sie sagt seit Jahren einen Anstieg der Inflation voraus, der aber nie kommt.

Schnabel: Die vergangene­n Jahre waren eine sehr ungewöhnli­che Zeit. Die Wirtschaft war einer Serie von Schocks ausgesetzt, die die Inflation gedämpft haben. Zunächst kam die Finanzkris­e, dann die Eurokrise. Solche Schocks werden durch

die Modelle nicht erfasst. Nun hat die Pandemie die Inflation über die vergangene­n Monate nochmals deutlich nach unten gedrückt. Wir erwarten jedoch, dass sich das ändern wird und es 2021, ausgehend von den derzeitige­n negativen Niveaus, zu einem Anstieg der Inflation kommen wird.

Standard: Wodurch?

Schnabel: Der Rückgang der Energiepre­ise war ein wesentlich­er Grund, warum die Inflation 2020 stark gesunken ist. Dämpfend wirkten auch die temporären Umsatzsteu­ersenkunge­n,

allen voran in Deutschlan­d, weil die Bundesrepu­blik im Index ein so großes Gewicht hat. Die Steuersenk­ung in Deutschlan­d ist jetzt ausgelaufe­n. Bei den Energiepre­isen dürfte bald ein kräftiger Anstieg relativ zum Vorjahr feststellb­ar sein, weil die Preise im Frühjahr 2020 so niedrig waren.

Standard: Wird das mehr als ein Aufflacker­n der Inflation sein?

Schnabel: Kurzfristi­g kann sich durchaus eine gewisse Dynamik entwickeln. Stellen Sie sich vor, die Impfung erfolgt schneller, als manche es derzeit befürchten, sodass im Sommer wieder etwas Normalität eintritt. Dann kann es sein, dass es bei den Dienstleis­tungen, wie Reisen oder Restaurant­besuchen, durch die aufgestaut­e Nachfrage zu einem Preisschub kommt. Aber eine solche kurzfristi­ge Entwicklun­g darf man nicht mit einem anhaltende­n Anstieg der Inflation verwechsel­n, der voraussich­tlich nur sehr langsam eintreten wird. Deshalb würde das unsere geldpoliti­schen Entscheidu­ngen, die auf einen mittelfris­tigen Horizont ausgericht­et sind, nicht wesentlich beeinfluss­en.

Standard: Als Folge der Pandemie wird die EZB 1,85 Billionen Euro an Zentralban­kgeld schaffen und dafür Staatsanle­ihen kaufen. Im Gegensatz zur Krise 2008 vergeben die Banken derzeit eifrig Kredite. Die Geldmenge steigt. Wenn die Inflation nicht tot ist: Wird sich das nicht massiv auswirken?

Schnabel: Im Moment gibt es keine Anzeichen dafür, dass man sich über eine zu hohe Inflation Sorgen machen muss. Wir erleben eine ausgeprägt­e Nachfrages­chwäche. Es ist zu befürchten, dass die Krise längerfris­tige Auswirkung­en auf den Arbeitsmar­kt haben wird. Insgesamt überwiegt vermutlich das Problem, dass die wirtschaft­liche Nachfrage zu schwach ist, nicht dass es zu Kapazitäts­engpässen kommt, weshalb die Preise eher zu langsam steigen dürften.

Standard: Aber was sagen Sie Menschen, denen angesichts dieser Summen mulmig wird und die warnen, dass sich das auswirken muss?

Schnabel: Das Dilemma der EZB und anderer Zentralban­ken ist, dass wir aufgrund strukturel­ler Faktoren mit einem langfristi­gen Rückgang des allgemeine­n Zinsniveau­s konfrontie­rt sind, was dazu geführt hat, dass man mit der konvention­ellen Geldpoliti­k, also der Zinspoliti­k, an Grenzen gestoßen ist. In einer derartigen Situation hat eine Zentralban­k keine andere Wahl als zu anderen Instrument­en überzugehe­n, wie den Anleihekäu­fen. Abhilfe kann hier nur staatliche Politik schaffen, indem sie für nachhaltig­es Wachstum sorgt und Investitio­nen anregt. Dann steigt auch das allgemeine Zinsniveau wieder an.

Standard: Staaten müssten also mehr ausgeben?

Schnabel: Ja. Aber es geht nicht nur darum, mehr auszugeben, sondern es richtig zu tun. Die Produktivi­tät und das Wachstumsp­otenzial müssen steigen. Einfach Transferza­hlungen zu erhöhen hilft nicht.

Standard: Sie sind eine deutsche Ökonomin, dort wurde das Dogma der schwarzen Null, also ein ausgeglich­ener Haushalt, propagiert. Jetzt sagen Sie: Staaten müssen mehr ausgeben.

Schnabel: Es besteht auch in Deutschlan­d weitgehend­er Konsens, dass es in der Pandemie notwendig ist, die Staatsausg­aben und die Verschuldu­ng zu erhöhen. Es wäre ein gewaltiger Fehler, aus Sorge vor höheren Schulden die Ausgaben zurückzufa­hren oder mitten in der Krise zu beginnen zu sparen. Bei der Frage, wie tragfähig die Staatsfina­nzen sind, geht es wesentlich darum, die Zinsen und die Wachstumsp­erspektive­n abzuwägen. Solange das Wachstum langfristi­g stärker ist als die Entwicklun­g bei den Zinsen, hat man kein Problem. Wenn man also die Schulden nach der Krise abbauen will, ist die Förderung des Wirtschaft­swachstums das beste Instrument.

Standard: In der Eurozone gibt es strikte Vorgaben dazu, wie sich Schulden und Defizite entwickeln müssen. Heißt das, diese numerische­n Zielvorgab­en sind überholt?

Schnabel: Diese Zahlen sind ja nicht ökonomisch begründet, das waren politische Festlegung­en. Bei niedrigen Zinsen ist die Tragfähigk­eit höher. Wichtiger als die konkreten Zahlen sind aber die Mechanisme­n der Fiskalrege­ln. Die jetzigen Regeln binden in schlechten Zeiten zu stark und in guten zu wenig.

ISABEL SCHNABEL ist seit Jänner 2020

Mitglied des EZBDirekto­riums, davor war sie eine der fünf Wirtschaft­sweisen, die regelmäßig die ökonomisch­e Lage in Deutschlan­d bewerten.

„Bei Dienstleis­tungen wie Reisen oder Restaurant­besuchen kann es durch die aufgestaut­e Nachfrage zu einem Preisschub kommen.“

 ??  ?? Die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) in Frankfurt wird 1850 Milliarden Euro im Kampf gegen die Krise ausgeben. Was sind die langfristi­gen Folgen?
Die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) in Frankfurt wird 1850 Milliarden Euro im Kampf gegen die Krise ausgeben. Was sind die langfristi­gen Folgen?
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria