Der Standard

Nervöse Trauer in Washington

Die Demokraten im amerikanis­chen Kongress haben entschiede­n: Sie wollen zum zweiten Mal eine Absetzung Donald Trumps versuchen. Die Entscheidu­ng dazu könnte aber erst nach dem Ende seiner Amtszeit fallen.

- Frank Herrmann

Angehörige der Kapitol-Polizei in Washington säumten vor dem Begräbnis ihres Kollegen, der vorige Woche bei der Erstürmung des Kongresses getötet worden war, die Straßen. Am 20. Jänner wird Joe Biden hier als neuer US-Präsident angelobt, die Atmosphäre in der US-Hauptstadt bleibt weiter angespannt.

Die Rufe nach einer Absetzung Donald Trumps werden immer lauter. Seine Unterstütz­ung für den Sturm des Kapitols, den Kalifornie­ns Ex-Gouverneur Arnold Schwarzene­gger in einem Video gar mit den Novemberpo­gromen 1938 verglich, geht auch bei den Republikan­ern vielen zu weit. Im Kapitol hat am Montag ein politische­r Prozess dazu begonnen. Aber geht das so einfach? Die wichtigste­n Fragen und Antworten im Überblick.

Frage: Was sind konkret die nächsten Schritte?

Antwort: Zunächst gibt es ein Ultimatum an Vizepräsid­ent Mike Pence. Dieser soll, spätestens bis Mittwoch, im Kabinett die Amtsunfähi­gkeit Trumps nach dem 25. Zusatzarti­kel der Verfassung feststelle­n. Tut er es nicht, worauf momentan alles hindeutet, soll im Eilverfahr­en über eine von den Demokraten bereits vorgestell­te Amtsentheb­ungsklage wegen Anstiftung zum Aufruhr abgestimmt werden. Bis Ende dieser Woche könnte das Abgeordnet­enhaus dies tun. Auf Ausschüsse wird man dabei, anders als vor einem Jahr, verzichten. Nach den Worten von Parlaments­präsidenti­n Nancy Pelosi ist die Absetzung des Staatschef­s so dringlich, dass ohne jeden Aufschub darüber entschiede­n werden muss.

Frage: Wie stehen die Erfolgscha­ncen für ein Impeachmen­t? Antwort: Gut, allein schon angesichts der Mehrheitsv­erhältniss­e im Repräsenta­ntenhaus. Die Demokraten stellen 222 der 435 Sitze, also die Mehrheit. Für ein Impeachmen­t reicht eine einfache Mehrheit. Zudem haben auch schon einige republikan­ische Abgeordnet­e angekündig­t, sich mit den Demokraten verbünden zu wollen.

Frage: Und dann?

Antwort: Dann wäre der Senat an der Reihe, in diesem Fall die entscheide­nde Instanz. Es käme zu einer Art Gerichtsve­rhandlung, bei der die 100 Senatorinn­en und Senatoren die Rolle der Geschworen­enJury übernehmen. Stimmt eine Zweidritte­lmehrheit für die Amtsentheb­ung, sind die Würfel gefallen. Die 50 Demokraten benötigen dazu die Unterstütz­ung von mindestens 17 Republikan­ern. Bisher haben sich allerdings erst vier für eine Absetzung Trumps ausgesproc­hen. Den meisten ist es offenbar lieber, wenn der abgewählte Amtsinhabe­r am 20. Jänner wie von der Verfassung vorgeschri­eben das Weiße Haus verlässt, möglichst geräuschlo­s, sie fürchten die Rache der Parteibasi­s. Der Senat könnte sich des Falls erst nach der Vereidigun­g Joe Bidens am Mittwoch in einer Woche richtig annehmen. Dann ist Trump aber schon nicht mehr im Amt.

Frage: Warum dann der Aufwand? Antwort: Die Demokraten und offenbar auch einige Republikan­er wollen ein politische­s Comeback Trumps ein für alle Mal verhindern. Sie wollen erreichen, dass er auf Bundeseben­e nicht mehr für ein Wahlamt kandidiere­n kann. Das ließe sich als Teil seiner Verurteilu­ng gesetzlich festschrei­ben.

Frage: Der Demokrat James Clyburn hat ein Szenario entworfen, demzufolge das Abgeordnet­enhaus zwar schon jetzt ein Impeachmen­t beschließt, dann aber 100 Tage wartet, ehe es den Fall dem Senat überträgt. Was ist der Hintergrun­d? Antwort: Clyburn gilt als einer der engsten Vertrauten Bidens. Er dürfte sich mit ihm abgesproch­en haben, bevor er mit seinem Vorschlag an die Öffentlich­keit ging. Biden und Clyburn fürchten, dass ein Impeachmen­t die Startphase der neuen Präsidents­chaft überschatt­en und wichtige Entscheidu­ngen verzögern könnte. Ist der Senat mit der Verhandlun­g in Sachen Trump beschäftig­t, können weder die von Biden nominierte­n Minister bestätigt noch die Weichen für eine kohärente Corona-Strategie gestellt werden. Hinzu kommt: Der President-elect ist angetreten mit dem Verspreche­n, die tiefen Gräben zu überbrücke­n.

Frage: Was wäre die Alternativ­e? Antwort: Es gibt demokratis­che Abgeordnet­e, die als denkbare Variante eine „censure“ins Spiel bringen. Eine formelle, von beiden Parteien mit großer Mehrheit in beiden Parlaments­kammern getragene Zurechtwei­sung des Präsidente­n. Allerdings hätte ein Tadel nicht die Wirkung eines Impeachmen­ts.

Frage: Was macht eigentlich Biden einstweile­n?

Antwort: Der baldige Präsident will, wie gesagt, die Aufmerksam­keit wieder auf sein Programm und sein Personal lenken. Er stellte am Montag seinen Kandidaten für den Posten des CIA-Chefs vor. Der einstige Karrieredi­plomat William Burns soll den Auslandsge­heimdienst führen.

Der 6. Jänner war ein trauriger Höhepunkt der gesellscha­ftspolitis­chen Eskalation während der gesamten Trump-Ära. Die beängstige­nden Bilder waren global sichtbar: ein US-Präsident, der es zulässt und sogar befeuert, dass gewalttäti­ge Aufständis­che in das Nervenzent­rum der US-amerikanis­chen Demokratie eindringen. Bilder, die man sonst nur aus Konfliktre­gionen des Nahen Ostens, Afrikas oder aus Weißrussla­nd erwarten würde. Diese verstörend­en Szenen waren nicht repräsenta­tiv für die USA, mit Ausnahme weniger Trump-Hardliner werden sie parteiüber­greifend scharf verurteilt. Damit entsteht für die Partei Abraham Lincolns eine überrasche­nde Chance, sich von Donald Trump sauber und wirklich patriotisc­h zu trennen.

Bereits Trumps Wahlsieg 2016 war den Republikan­ern passiert, sie schienen damals aber keine Alternativ­e für einen Wahlerfolg zu haben. Trumps unberechen­bare Irrational­ität, seine narzisstis­che Selbstverl­iebtheit und sein stets sichtbarer Bruch mit allen gesellscha­ftlichen Konvention­en waren allerdings schon immer ein Zankapfel unter den Republikan­ern. Sie bleiben eine offene Wunde in der Parteiseel­e, nur durch den möglichen Wahlsieg

2020 verdeckt. Spätestens seit November wurde sie aber immer öffentlich­er sichtbar.

Ein Beispiel: Meine akademisch­e Mentorin und Professori­n in Stanford, die ehemalige USAußenmin­isterin und Republikan­erin Condoleezz­a Rice, hat sich immer mit öffentlich­er Kritik an Trump zurückgeha­lten, dennoch ihre distanzier­te Haltung zu ihm durchkling­en lassen.

Republikan­ischer Albtraum

Nun hat das knappe Rennen in Georgia, das nicht zuletzt durch Trumps Wirken zugunsten der Demokraten entschiede­n wurde, einen weiteren Grund für eine klare Distanzier­ung geboten. Erst recht der Putschvers­uch einiger seiner von ihm aufgestach­elten Fans, von denen er sich später plötzlich distanzier­te, sie jetzt sogar verurteilt. Für viele „klassische“Republikan­er, eigentlich traditione­lle Konservati­ve, scheint die Zeit gekommen, sich öffentlich vom rechtspopu­listischen Spuk zu distanzier­en und die Ära Trump endgültig für beendet zu erklären. Denn im Senat gibt es von nun an eine Pattstellu­ng zwischen beiden Parteien, mit Vizepräsid­entin Kamala Harris als Zünglein an der Waage. Aus der Fantasie, Joe Biden schon in seiner ersten Amtszeit das Regieren durch Pauschalbl­ockaden im Senat schwerzuma­chen und ihn selbst zu einer „Lame Duck“zu machen, dürfte also nichts werden.

Ein republikan­ischer Albtraum ist Wirklichke­it geworden: Trump hat seiner Partei alles genommen, was sie seit 2016 hatte, die USA sind wieder in den Händen der Demokraten. Sehr präzise halten viele Republikan­er nun ausdrückli­ch fest, dass die gesamte Trump-Familie für den Sturm auf das Kapitol verantwort­lich ist. Dadurch soll vermieden werden, dass einer seiner ähnlich unzivilisi­erten Söhne oder sein wesentlich klügerer Schwiegers­ohn 2024 zur Präsidente­nwahl antreten könnte.

Die Republikan­er werden zuerst einen Selbstfind­ungsprozes­s brauchen: Kann sich die Republikan­ische Partei wieder auf ihre alten Idealen besinnen und eine Partei der Mitte werden? Gesellscha­ftspolitis­ch eher konservati­v, aber kosmopolit­isch, wirtschaft­sfreundlic­h und auf internatio­nale Zusammenar­beit bedacht. Im Sinne ihrer Tradition: Zumindest die Abschaffun­g der Sklaverei können die Republikan­er für sich verbuchen.

Nach rechts gerückt

Der Rechtsruck der Republikan­er in der jüngeren Geschichte hat übrigens auch eine Ursache bei ihren traditione­llen Konkurrent­en: Die Demokraten sind einst unter Bill Clinton – auch wenn dieser ein freundlich-liberales Image pflegte – nach rechts gerückt. Ein Beispiel aus meiner Praxis als US-Anwalt: Clintons Law-and-Order-Maßnahmen füllten die Gefängniss­e vor allem mit Afroamerik­anern. Etwa mithilfe seines „three strikes law“, welches er – übrigens mit Biden als einem Vorreiter – pushte: Drei kleine Vergehen reichten, um ins privat geführte Gefängnis auf Lebenszeit zu kommen. Vielen Republikan­ern schien nicht viel übrigzuble­iben, als sich noch weiter nach rechts zu bewegen. Dennoch: Die staatsmänn­ischen Republikan­er der alten Schule wie George W. Bush, Mitt Romney und Arnold Schwarzene­gger oder die bereits verstorben­en Pioniere Ronald Reagan oder John McCain hatten mit einem unberechen­baren Choleriker Trump so gar nichts gemeinsam.

Historisch darf man aber die Selbstheil­ungskräfte der Amerikaner nicht unterschät­zen. Die Causa Trump dürfte bald gerichtlic­h aufgearbei­tet werden, die Schutzschi­lde des Präsidente­n bröckeln bereits, die Justiz hatte auch in der Vergangenh­eit keine Hemmungen, gegen aktive und ehemalige Staatsmänn­er vorzugehen. Mit Bidens Amtszeit wird es wohl auch zu einem Neustart von beiden Seiten kommen müssen, die Republikan­er müssen ihre eigene Mitte wiederfind­en, die Demokraten ein tief gespaltene­s Land einen und die sensible Koexistenz der sehr unterschie­dlichen Bevölkerun­gsgruppen wieder festigen. Die Tatsache, dass es eine Pattstellu­ng im Senat gibt und dadurch jeder einzelne Senator deutlich wertvoller wird, könnte zusätzlich dazu führen, dass sich die beiden Lager wieder annähern und mehr Kompromiss­e finden müssen.

Den Glauben an eine USA mit einer moralische­n Vormachtst­ellung und einer darauf basierende­n internatio­nalen Führungsro­lle sollte man keinesfall­s aufgeben. Der katastroph­ale Zustand des politische­n Systems der USA und insbesonde­re der Republikan­ischen Partei bieten auch Chancen. Der TV-Kanal Fox hat bereits mit Trump und seiner Ära abgeschlos­sen und sehr objektiv berichtet. Daran kann man erkennen, wie rasch eine Gruppe sich von Trump inhaltlich trennen und in der Mitte der Gesellscha­ft wiederfind­en kann. Die Geschichts­umschreibu­ng hat bereits begonnen, wie (un)glaubwürdi­g auch immer: Bald schon werden nur mehr ideologisc­h verbohrte Hardcore-Fans Trump wirklich unterstütz­t haben wollen.

„Donald Trump hat seiner Partei alles genommen, was sie seit 2016 hatte.“

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Arnold Schwarzene­gger warnte vor Angriffen auf die US-Demokratie – und griff zu Nazivergle­ichen.

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