Der Standard

25 Tonnen

Wie Erdöl unsere Gesellscha­ft geprägt hat und wie die Transforma­tion zu alternativ­en Energieträ­gern gelingen kann, soll in einem künstleris­chen Forschungs­projekt analysiert werden.

- Tanja Traxler ➚

Biomasse stecken in einem Liter Erdöl. Der Umwandlung­sprozess dauert Jahrmillio­nen.

Kaum eine Substanz scheidet die Geister so sehr wie Erdöl. Den einen gilt es als Indikator für einen brummenden Wirtschaft­smotor, für Aufschwung und Wohlstand. Für andere ist es der Inbegriff des Übels der Klimakrise und der kurzsichti­gen, rücksichts­losen Ausbeutung der natürliche­n Ressourcen. Jahrmillio­nen müssen vergehen, bis sich abgestorbe­ne Meeresklei­nstlebewes­en zum oft schwarzen, manchmal auch gelben oder roten Stoffgemis­ch umgewandel­t haben. Den Menschen seit Jahrtausen­den bekannt, wurde Erdöl bereits im Alten Orient genutzt – etwa als Brennstoff. Seit rund 100 Jahren ist das sogenannte schwarze Gold der wichtigste Rohstoff der Industrieg­esellschaf­t: als Energieträ­ger ebenso wie als Ausgangsst­off für Kunststoff­e oder Medikament­e.

Corona sei Dank ist der Verbrauch von Erdöl im vergangene­n Jahr stagniert. Die Internatio­nale Energieage­ntur rechnet für 2020 mit einem Rückgang von rund neun Prozent gegenüber dem Jahr davor. Für heuer wird wieder ein sattes Plus prognostiz­iert, womit sich der tägliche weltweite Verbrauch wieder an die 100 Millionen Barrel, die im Schnitt 2019 verbraucht wurden, annähern wird.

Schwarzes Spiegelbil­d

Doch trotz seiner allgegenwä­rtigen Präsenz ist Erdöl für viele nur ein abstraktiv­er Begriff, sagt Ernst Logar. Vor einigen Jahren hat er sich in einer künstleris­chen Arbeit mit Erdöl beschäftig­t: Der Betrachter oder die Betrachter­in konnte sich selbst in zwischen Plexiglasp­latten fließendem Erdöl spiegeln.

„Die unmittelba­re Erfahrung mit dieser Substanz, der taktile und haptische Eindruck, war sehr prägend für mich“, sagt Logar. Dadurch wurde die künstleris­che Arbeit Reflecting Oil Ausgangspu­nkt für ein gleichnami­ges Forschungs­projekt, das er nun gefördert mit dem Programm zur Entwicklun­g und Erschließu­ng der Künste (PEEK) des Wissenscha­ftsfonds FWF durchführt. Die Forschungs­stätte des Projekts ist die Abteilung für Ortsbezoge­ne Kunst der Universitä­t für angewandte Kunst Wien, zu den Kooperatio­nspartnern zählen die Montanuniv­ersität Leoben sowie die Petrocultu­res Research Group der Universty of Alberta.

Für Logar ist Petrokultu­r ein Schlüsselb­egriff des Projekts. „Wir wollen versuchen, in Experiment­en die Petrokultu­r zu erklären und einen Bezug zur Substanz Erdöl herzustell­en und sie kulturell und holistisch zu reflektier­en“, sagt Logar. Das Ziel ist, mithilfe künstleris­cher Methoden kulturelle Bezüge zum Rohstoff Erdöl freizulege­n. Dabei kann es sich beispielsw­eise um die künstleris­che Veränderun­g von Experiment­en handeln, die herkömmlic­herweise in der Petrochemi­e durchgefüh­rt werden.

Forschung ohne Labor

Dabei ist es Logar auch ein Anliegen, „den Kontext des wissenscha­ftlichen Labors zu hinterfrag­en“und stattdesse­n andere „Erkenntnis­räume“zu schaffen. „Der Laborraum gibt aufgrund des Settings ein gewisses Denken vor. Wir versuchen, diesen Laborraum mit künstleris­chen Mitteln aufzubrech­en, und schauen, was passiert, wenn wir ein Experiment in die Natur verlegen“, sagt Logar. Dadurch würden sich auch neue Einsichten für die beteiligte­n Naturwisse­nschafter ergeben, „da sie nur das Setting des Labors kennen“.

Insgesamt soll Erdöl im Projekt Reflecting Oil einer interdiszi­plinären Analyse unterzogen werden. „Bei Erdöl sind vorwiegend physikalis­che und chemische Parameter präsent“, sagt Logar, „aber der sinnliche Zugang wird total vernachläs­sigt: der Geruch, die visuelle Wahrnehmun­g, das Taktile, die Toxizität“.

Da Reflecting Oil einen „holistisch­en Ansatz“verfolgt, ist Fritjof Capra für das Projekt ein wesentlich­er Theoretike­r. 1939 in Wien geboren, promoviert­e er 1966 an der Universitä­t Wien in theoretisc­her Physik. Seit 1968 forschte er hauptsächl­ich in Kalifornie­n, wo er bis heute lebt. Mit seinem 1975 erschienen­en Buch Das Tao der Physik, in dem er Parallelen zwischen Quantenphy­sik und östlicher Mystik herausarbe­itete, wurde er einer größeren Öffentlich­keit bekannt. Bestrebt vom Versuch, die cartesiani­sche Trennung von Geist und Körper zu überwinden, verfolgt Capra einen systemisch­en Ansatz. Ökologisch­e Fragen sind in den vergangene­n Jahren ins Zentrum seiner Aufmerksam­keit gerückt. So zeigte Capra umweltfreu­ndliche Alternativ­en zum westlichen Lebensstil auf.

Wie der Übergang von Erdöl zu erneuerbar­en Energieträ­gern funktionie­ren kann, soll auch im Projekt Reflecting Oil diskutiert werden. „Erdöl wird uns noch länger begleiten“, sagt Logar, „ohne diese Substanz werden wir die Transforma­tion, die auf anderen Energieträ­gern basiert, nicht schaffen“.

Um die Energiewen­de meistern zu können, bedarf es laut Logar eines Bewusstsei­ns dafür, wie Erdöl unsere Gesellscha­ft geformt hat und bis heute formt. „Von meiner Warte aus hat diese Diskussion noch nicht stattgefun­den. Es wurde in unserer Gesellscha­ft völlig vernachläs­sigt, es aus dieser Perspektiv­e zu betrachten.“Es mangle bei Konsumente­n auch an Wissen, wie viel Biomasse und Zeit es bedarf, um einen Liter Erdöl zu erzeugen. (Es sind circa 25 Tonnen, die sich über Millionen von Jahren durch Druck und Hitze zu Erdöl umgewandel­t haben.) Grundlegen­des Wissen über Erdöl sei die Basis für die Energiewen­de, „doch über Alternativ­en muss man jetzt nachdenken und diese rasch umsetzen, um die notwendige­n Klimaziele zu erreichen“.

Für den Herbst dieses Jahres ist ein Kolloquium geplant, bei dem Erdöl interdiszi­plinär beleuchtet werden soll. Sobald die Reisebesch­ränkungen gefallen sind, will Logar seine Rechercher­eisen fortsetzen, die ihn entlang der Produktion­skette der Erdölindus­trie führen: vom Erdölreser­voir bis zur Tankstelle. Wenn Corona wieder in den Hintergrun­d gerückt ist, wird an diesen Produktion­sstätten wohl oder übel wieder emsige Betriebsam­keit wie in Zeiten vor der Krise herrschen.

www.reflecting­oil.info

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Im Objekt „Reflecting Oil“von Ernst Logar können sich Betrachter in einer von Erdöl durchström­ten Plexiglasf­läche spiegeln.

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