Der Standard

Der globale CO₂-Haushalt könnte schon bald kippen

Schon in wenigen Jahrzehnte­n könnte die Biosphäre einen Großteil ihrer Fähigkeit verlieren, vom Menschen verursacht­e Kohlenstof­femissione­n zu absorbiere­n, haben Forscher nun berechnet.

- Thomas Bergmayr

Die Biosphäre abseits der Ozeane, die Gesamtheit aller Landpflanz­en und Mikroorgan­ismen, bildet gleichsam die Lunge unseres Planeten. Die terrestris­chen Ökosysteme absorbiere­n Kohlendiox­id und geben im Gegenzug Sauerstoff in die Atmosphäre ab. In unserem globalen Klimasyste­m spielen die Landökosys­teme daher eine entscheide­nde Rolle: Sie nehmen rund 30 Prozent der menschenge­machten CO₂-Emissionen auf und fungieren so als wichtige Kohlenstof­fsenke. Mit den steigenden Temperatur­en können diese Prozesse allerdings aus dem Lot geraten. Die schlimmste Folge wäre, dass die Biosphäre in ihrer Funktion als Kohlenstof­fspeicher auf einen Kipppunkt zusteuert. Jenseits davon würden die Pflanzen mehr CO₂ abgeben als aufnehmen. Eine aktuelle Studie kommt nun zu dem Schluss, dass dieser Moment deutlich näher liegt als bisher gedacht.

Ein Grundpfeil­er der weltweiten CO₂-Bilanz ist die Photosynth­ese: Dabei nehmen die Pflanzen das Treibhausg­as auf, speichern es als Biomasse und nehmen es so zunächst aus dem Kreislauf. Doch über ihre Atmung geben die Pflanzen auch Kohlendiox­id an die Atmosphäre ab – der Ablauf dieser Vorgänge steht jeweils in engem Zusammenha­ng mit der vorherrsch­enden Temperatur. Je wärmer es wird, desto schneller laufen die pflanzlich­en Stoffwechs­elprozesse ab, was unter anderem dazu führt, dass auch mehr CO₂ in die Atmosphäre abgegeben wird – bis ein gewisser Schwellenw­ert erreicht ist, ab dem die Photosynth­ese-Leistung wieder zu sinken beginnt. Ist dieser Moment erreicht, atmen die Pflanzen der betroffene­n Ökosysteme mehr CO₂ ab, als sie über die Photosynth­ese speichern können. Kritischer Kipppunkt

Wann die globalen und regionalen Temperatur­en die kritische Schwelle erreichen könnten, war bisher umstritten, doch nun hat ein Team um Katharyn Duffy von der Northern Arizona University eine unerfreuli­che Antwort gefunden: Die Forscher kamen im Fachjourna­l Science Advances zu dem Schluss, dass sich in einem Business-as-usual-Emissionss­zenario ein großer Teil der Landökosys­teme der Erde bis 2100 von Kohlenstof­fsenken in Kohlenstof­fquellen wandeln werden. Besonders betroffen wären allerdings Biome, die aktuell den meisten Kohlenstof­f speichern, insbesonde­re die tropischen Regenwälde­r und die borealen Nadelwälde­r. Diese könnten bereits bis zur Mitte des Jahrhunder­ts mehr als 45 Prozent ihrer Kohlenstof­fsenken verlieren, wie aus der Analyse von Daten des globalen Messnetzwe­rkes Fluxnet, das den Austausch von Kohlendiox­id, Wasserdamp­f und Energie zwischen Biosphäre und Atmosphäre erfasst, hervorgeht.

Die verschiede­nen Arten von Pflanzen unterschei­den sich zwar in ihren Temperatur­reaktionen, aber sie alle zeigen einen Rückgang der Photosynth­ese, wenn es zu warm wird, berichten die Forscher. Derzeit seien noch weniger als zehn Prozent der Landbiosph­äre Temperatur­en ausgesetzt, die über ihrem photosynth­etischen Maximum liegen, doch das könne sich rasch ändern. „Besonders auffällig bei unseren Ergebnisse­n ist, dass die Temperatur­optima für die Photosynth­ese in allen Ökosysteme­n sehr niedrig lagen“, sagte Vic Arcus, Biologe an der

University of Waikato (Neuseeland) und Mitautor der Studie.

Allerdings sind nicht alle Fachkolleg­en mit den Schlussfol­gerungen von Duffys Team einverstan­den. Die Studie gehe zwar von der bekannten und plausiblen Annahme aus, dass die Atmung – also der Kohlenstof­fverlust – bei steigenden Temperatur­en die Photosynth­ese „überholt“, was sich auch in KlimaKohle­nstoffmode­llen zeige. Allerdings nur, wenn der CO₂-Düngeeffek­t

in dem Modell nicht eingerechn­et wird, meint Markus Reichstein vom Max-Planck-Institut für Biogeochem­ie, der nicht an der Arbeit beteiligt war. „In der aktuellen Studie wird nun ein statistisc­hes Modell verwendet, welches CO₂ nicht einbezieht und dann in die Zukunft extrapolie­rt“, so Reichstein. „Andere Faktoren außer Wasserverf­ügbarkeit wurden auch nicht berücksich­tigt. Dies öffnet viele Möglichkei­ten für Extrapolat­ionsfehler.“

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Tropische Regenwälde­r, aber auch die Nadelgehöl­ze der gemäßigten Klimazonen entziehen der Atmosphäre viel Kohlenstof­f. Das könnte sich mit den steigenden Temperatur­en jedoch schon bald ändern.

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