Der Standard

„Trump war eine totale Katastroph­e, was Menschenre­chte betrifft“

Kenneth Roth, Chef von Human Rights Watch, geht mit Donald Trump hart ins Gericht. Er ermahnt Joe Biden aber auch dazu, nicht bloß „nicht Trump“zu sein.

- Anna Sawerthal INTERVIEW:

Vor einem Jahr stand noch China im Zentrum des Jahresberi­chts von Human Rights Watch. Nach Polizeigew­alt gegen Schwarze und dem Kapitolstu­rm geraten nun die USA in den Fokus.

STANDARD: Wie kann Biden die USA gegenüber autoritäre­n Staaten wieder glaubwürdi­ger machen?

Roth: Jedes Land hat seine Menschenre­chtsverlet­zungen. Die echte Frage ist: Wie gehen sie damit um? Wird Biden ernsthafte Anstrengun­gen unternehme­n, Polizeibru­talität und Diskrimini­erung im Justizsyst­em zu adressiere­n? Putin und Xi Jinping müssen den 6. Jänner geliebt haben! Der Sturm auf das Kapitol

war ein furchtbare­r Moment, er hat aber auch die Stärke der Demokratie in den USA gezeigt: Denn es hat einfach nicht funktionie­rt.

STANDARD: Viele Menschen in den USA denken, dass die Wahl „gestohlen“wurde – egal ob es stimmt –, und sehen ihre Rechte beschnitte­n. Wie geht man damit um?

Roth: Mit seinen Attacken auf Fakten hat Trump großen Schaden angerichte­t. Fakten sind essenziell, um Regierunge­n zur Rechenscha­ft zu ziehen. Trump ist total losgelöst von der Realität und konnte von rechten Medien und Echokammer­n in den sozialen Medien profitiere­n. Ich denke aber, dass die Gruppe, die mit Fakten erreichbar ist, weiterhin groß genug ist. Der moderate Biden ist in einer guten Position, sie anzusprech­en. Die Herausford­erung wird sein, fünf bis zehn Prozent der Leute wieder für eine faktenbasi­erten Realität zu gewinnen.

STANDARD: War die Blockade von Trumps Twitter-Konto gerechtfer­tigt? Roth: Ja. Trump hat es benutzt, um einen Aufstand zu schüren. Twitter und Facebook haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass ihre Plattforme­n nicht dazu benutzt werden, um Menschenre­chtsverlet­zungen anzustifte­n. Aber es wirft natürlich größere Fragen auf. Die Plattforme­n müssen ihre Standards besser artikulier­en und weltweit anwenden. Sie könnten außerdem ein unabhängig­es Forum schaffen, damit User Einspruch erheben können.

STANDARD: Wie kann sich Biden aus Trumps Erbe in Sachen Menschenre­chte befreien?

Roth: Trump war eine totale Katastroph­e, was Menschenre­chte betrifft. Zu Hause hat er Menschenre­chte verletzt, im Ausland hat er Autokraten umarmt. Die Welt hat aber nicht aufgehört, Menschenre­chte zu verteidige­n, nur weil Trump das tat. Es hat sich eine viel globalere und robustere Verteidigu­ng der Menschenre­chte entwickelt. Die darf Biden nicht ersetzen, sondern sollte sich ihr anschließe­n.

Eine zweite Herausford­erung ist, dass sich alle vier oder acht Jahre die US-Politik radikal ändert. Regierunge­n können sich nicht auf die USA verlassen. Biden sollte also bereits am Anfang seiner Präsidents­chaft an deren Ende denken. Er muss Wege finden, US-Verpflicht­ungen zu Menschenre­chten so zu vertiefen, dass sie nicht so leicht umkehrbar sind.

STANDARD: Wie könnte das konkret ausschauen?

Roth: Biden sollte dem UN-Menschenre­chtsrat

wieder beitreten und die Sanktionen über einen Strafverfo­lger vom Internatio­nalen Strafgeric­htshof wieder aufheben – auch wenn der dann gegen US-Folter in Afghanista­n ermittelt.

Er muss aber vor allem der Versuchung widerstehe­n, einfach nur „nicht Trump“zu sein. Obama hat nur rückgängig gemacht, was George W. Bush gemacht hat. Er hat zwar Folter gestoppt, aber die Folterer nicht strafrecht­lich verfolgt. Das hat den Anschein erweckt, dass die Leute, die die Folter befohlen haben, über dem Gesetz stünden.

Und das hat die Grundlage für Trump bereitet: Genau so hat Trump seine ganze Amtszeit über agiert. Biden muss viel aktiver in seinem Bestreben sein, auch Trump zur Rechenscha­ft zu ziehen und Strafverfo­lgung zulassen.

KENNETH ROTH (66) ist seit 1993 Direktor der US-Menschenre­chtsorgani­sation Human Rights Watch.

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