Vertuschungsvorwürfe im Justizministerium
Ein Insider hat der Justiz bisher unbekannte E-Mails zur Causa Ibiza übermittelt. Sie sollen zeigen, dass Sektionschef Pilnacek und ein Oberstaatsanwalt den U-Ausschuss falsch informiert haben. Nun werden Ermittlungen gegen die beiden geprüft.
„HBM möchte WKStA keine aktive Rolle zukommen lassen.“
Christian Pilnacek an Oberstaatsanwalt Johann Fuchs, 18. 5. 2019
„Dass ich die WKStA außen vor lassen wollte, ist ein absoluter Blödsinn.“Josef Moser, Justizminister a. D., auf Anfrage des Rechercheverbunds
Ein Ex-Kabinettsmitarbeiter im Justizministerium hat sich mit brisanten Vorwürfen an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gewendet. Er vermutet, dass die Weisungskette im Justizministerium dem Ibiza-U-Ausschuss wichtige E-Mails und Memos vorenthalten habe. Diese Nachrichten übermittelte er im November der WKStA, sie gelangten nun über Umwege in den U-Ausschuss.
Dort wurden schon im Sommer Johann Fuchs, der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien (OStA Wien), und Sektionschef Christian Pilnacek befragt. Ihre Aussagen stehen für den Hinweisgeber im scharfen Widerspruch zu den Inhalten der E-Mails. „Nach nunmehriger Einsicht in die mittlerweile auf der Parlamentshomepage veröffentlichten Protokolle (...) habe ich qualifizierte Anhaltspunkte dafür festgestellt, dass dem Untersuchungsausschuss nicht alle abstrakt relevanten Dokumente vorgelegt wurden“, heißt es in seiner E-Mail an die WKStA.
Die Staatsanwaltschaft Innsbruck hat nun eine Prüfung des Verdachts auf Falschaussage gegen Fuchs und Pilnacek begonnen, es gilt die Unschuldsvermutung. Ein Vorhabensbericht wurde aus Innsbruck ans Justizministerium übermittelt. „Zu diesem Zweck wurden zwei Generalanwälte der Generalprokuratur dienstzugeteilt, um jeden Anschein der Befangenheit zu vermeiden“, heißt es auf Anfrage.
In den justizinternen Dokumenten, die dem STANDARD, Profil und der ORF-ZiB 2-Redaktion vorliegen, geht es einerseits um die unmittelbare Reaktion auf die Veröffentlichung des Ibiza-Videos, andererseits um die Hausdurchsuchung bei Öbag-Chef Thomas Schmid. Weisung im Eiltempo
In den Stunden nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos am 17. Mai 2019 durch Süddeutsche Zeitung und Spiegel herrschte im Justizministerium rege Betriebsamkeit. Rasch wurde die WKStA beauftragt, das Ibiza-Video zu finden. Außerdem wurde entschieden, dass die Medienarbeit zentral von der Oberstaatsanwaltschaft Wien zu erledigen sei.
Gab es sonst „Wünsche, Aufträge, Priorisierungen?“durch Justizminister Josef Moser, fragte Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper Pilnacek im U-Ausschuss. „Habe ich beantwortet. Er hat gefragt, was zu tun ist, was wir zu tun haben. Er wollte die Medienarbeit zu Beginn jedenfalls zentralisiert haben, und das ist so gemacht worden“, antwortete dieser. Eine Weisung an die OstA Wien sei „mündlich“getätigt worden. Auch deren Leiter Fuchs gab vor dem U-Ausschuss an, abgesehen von der Medienarbeit keine Wahrnehmung über Wünsche des Bundesministers zu haben.
Die übermittelten Informationen des Insiders enthalten jedoch eine Nachricht von Pilnacek an Fuchs von Samstag, 18. Mai, 20.50 Uhr: „Lieber Hans! Ich denke, dass du den Auftrag aktiv stellen solltest; HBM (kurz für „Herr Bundesminister“; gemeint ist Moser, Anm.) möchte WKStA keine aktive Rolle zukommen lassen.“Die WKStA hatte zu diesem Zeitpunkt freilich schon einen Zusammenhang zwischen einem laufenden Verfahren und Aussagen des damaligen FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache im Ibiza-Video bezüglich Spenden über Vereine „am Rechnungshof vorbei“entdeckt.
Wollte die Weisungskette des damals türkisen Ministeriums die Kontrolle über die Ermittlungen behalten und verhindern, dass die
WKStA die Ermittlungen an ein laufendes Verfahren anhängt? „Nach unserem Wissensstand bezog sich das Ersuchen von HBM Dr. Moser, dass die WKStA ‚keine aktive Rolle‘ haben solle, auf das mediale Auftreten der WKStA an diesem Wochenende“, heißt es aus dem Justizministerium. Die Oberstaatsanwaltschaft äußerte sich dazu nicht.
Ex-Justizminister Josef Moser bestreitet vehement, dass er die WKStA außen vor lassen wollte. Das sei „absoluter Blödsinn“, sagt er auf Anfrage. Er habe vielmehr beauftragt, dass die Justiz raschest ermitteln sollte.
Einen weiteren Widerspruch kann man in der Frage entdecken, wann Pilnacek über die Hausdurchsuchung bei Öbag-Chef Thomas Schmid erfahren habe. Schmid und Pilnacek pflegten zu ihrer Zeit als türkis-blaue Generalsekretäre ein kollegial-freundschaftliches Verhältnis: Finanz-Generalsekretär Schmid hatte Justiz-Generalsekretär Pilnacek beispielsweise zu einem Fernsehauftritt gratuliert; man lud einander zu Feiern ein. Auch deshalb ortete die WKStA Befangenheit bei Wer wusste wann von der Razzia?
Pilnacek. Eine Ansicht, die Justizministerin Alma Zadić (Grüne) in dieser Sache zwar nicht teilte – im Sommer 2020 entfernte sie Pilnacek jedenfalls von der Spitze der Weisungskette, er ist jetzt nur noch für Legistik zuständig, nicht mehr für die Fachaufsicht.
Vor dem U-Ausschuss hat Pilnacek behauptet, er sei erst nach der Durchführung der Razzia bei Schmid von der OStA Wien informiert worden. Das hat das Justizministerium vergangene Woche wiederholt. Doch auch hier existiert ein Schriftstück, das Widersprüche aufzeigt: Laut einem Memo an die damalige Vizekabinettschefin im Justizministerium sagte Pilnacek, dass ihn Fuchs am 8. November – also vier Tage vor der Hausdurchsuchung bei Schmid – „fernmündlich über das (...) geplante Vorhaben informiert“habe.
Dazu sagt das Justizministerium auf Anfrage von STANDARD, Profil und ORF-ZiB 2 gar nichts. Als die Ermittler bei Schmid auftauchten, hatte dieser seine Chatverläufe komplett gelöscht. Das muss aber nicht auf eine undichte Stelle in der Justiz hinweisen, gab es doch zuvor schon durch das Ibiza-Video mitausgelöste Hausdurchsuchungen in der Causa Casinos, etwa bei Heinz-Christian Strache (FPÖ). Und: Durch ein Back-up konnten die Ermittler bei Schmid eine Vielzahl von Chats rekonstruieren, die seither vor allem türkise Politiker in Bedrängnis gebracht haben.
Die gesamte Causa Casinos hatte von Beginn an für erheblichen Unmut bei der ÖVP gesorgt. In einem Hintergrundgespräch Anfang 2020 hatte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) das Gebaren der WKStA deutlich kritisiert, vor allem die Ermittlungen gegen Ex-Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP). Auch im UAusschuss schießt sich die ÖVP regelmäßig auf die WKStA ein. Eine noch längere Geschichte hat der justizinterne Streit zwischen Pilnacek und Fuchs mit der WKStA. Der entzündete sich unter anderem an der Causa Eurofighter: In einer Dienstbesprechung wurde Pilnacek heimlich aufgenommen, es folgten gegenseitige, erfolglose Anzeigen. Später überlegten Pilnacek und Fuchs in spätnächtlichen E-Mails, wie man der WKStA medial schaden könnte. Eine Mediation konnte die Wogen oberflächlich kitten; der U-Ausschuss brachte den Konflikt jedoch zurück in die Öffentlichkeit.