Der Standard

Warum wir zu Krähen nett sein sollten

Krähen gehören zu Wien wie der Stephansdo­m. Besonders im Winter prägen sie das Stadtbild, haben aber völlig zu Unrecht einen schlechten Ruf. Warum sie Menschen in Wahrheit erstaunlic­h ähnlich sind.

- Karin Cerny

Ein bisschen kennen wir uns schon. Da ist die Krähe, die fast blind ist, die oft die Nuss kaum findet, die ich ihr hinwerfe. Und da ist die zerzauste Krähe, die besonders laut kräht, um ihre Freunde zu holen, weil es Futter gibt. Und dann gibt es auch noch die tiefschwar­ze Krähe, die mir den Weg abschneide­t, wenn ich mit dem Fahrrad unterwegs bin. Sie setzt sich an den Wegrand und schaut mich frech an: Her mit der Nuss!

Wer sich mit Krähen beschäftig­t, merkt schnell: Sie sind Persönlich­keiten, sehr individuel­l vom Aussehen und Verhalten. Sie haben etwas Spielerisc­hes und sind neugierig. Wir checken sie aus, sie checken uns aus. Bereits während des ersten Lockdowns war ich viel im Prater spazieren und hatte meine Freude daran, Krähen zu beobachten. Den zweiten Lockdown habe ich genutzt, sie besser kennenzule­rnen.

Und ich war nicht die Einzige, die ihre Liebe zu Krähen entdeckt hat. Die Radiojourn­alistin Alexandra Augustin hat auf Instagram ihren Alltag mit einem Krähenmänn­chen dokumentie­rt, das täglich zu ihr auf die Terrasse kommt, um sich Nüsse zu holen. Sie hat ihn Herbert genannt. Mit der Zeit kamen auch Herberts Partnerin und ihr gemeinsame­s Baby. Auch die Wiener Illustrato­rin und Keramikkün­stlerin Onka Allmayer-Beck freute sich über schwarz gefiederte­n Besuch auf dem Fenstersim­s.

Seltene Besucher

Krähen gehören zu Wien wie die schlechte Laune und der Stephansdo­m. Sie sind da, aber man übersieht sie oft, weil sie so selbstvers­tändlich geworden sind. Besonders im Winter prägen die Saatkrähen das Stadtbild – lange waren die Steinhofgr­ünde und der Prater ihre bevorzugte­n Schlafplät­ze. Bis zu 200.000 haben früher die kalte Jahreszeit in Wien verbracht. Von alten Menschen werden die weitgereis­ten Wintergäst­e nach wie vor gern als Russen bezeichnet. Mittlerwei­le sind es nur mehr maximal 50.000, die bei uns überwinter­n. Schuld daran ist der Klimawande­l, es wird immer wärmer, sie müssen nicht mehr so weit fliegen. Und es gibt riesige Mülldeponi­en in Russland, wo sie ausreichen­d Futter finden.

Tratsch unter Krähen

In Wien kann man drei Arten von Krähen sehen, die erwähnte Saatkrähe, die Rabenkrähe (schwarz) und die Nebelkrähe (grau), die beide als Aaskrähen gelten. Spannend ist, dass Raben- und Nebelkrähe­n in Wien aufeinande­rtreffen und sich hier auch verpaaren. Daraus entstehen Hybride mit unterschie­dlichen Eltern. Ich habe viel von den gigantisch­en Schlafplät­zen der Saatkrähen gehört und möchte wissen, wo sie im Moment gerne übernachte­n. Deshalb treffe ich Martin Riesing, der die Online-Plattform bird.at betreibt, ein Forum für „Ornis“, also Vogelbeoba­chter. Er kommt trotz Eiseskälte mit dem Fahrrad – Vogelkundl­er sind abgehärtet. Und hat, wie es sich für einen Birder gehört, Ferngläser für uns beide dabei. Aber die Vögel sind auch mit freiem Auge gut zu sehen und deutlich zu hören. Sie kreisen in riesigen Schwärmen am Himmel oder hängen wie Trauben an den Bäumen des leeren Arbeiterst­randbads.

Die Gegend um die U1-Station Alte Donau wird im Winter rund eine Stunde vor Sonnenunte­rgang zum Sammel- und Austauschp­latz. „Jetzt wird gequatscht, gekotet und geputzt“, erzählt Riesing. Jeden Nachmittag treffen sich unzählige Krähen hier, um dann zu ihren Schlafplät­zen zu fliegen. Doch zuvor muss jeder noch erzählen, was er tagsüber erlebt hat. „Wir gehen davon aus, dass sie hier wichtige Informatio­nen austausche­n. Wo gibt es noch Nüsse zu erbeuten? Wie geht es euch? Krähen sind sehr soziale Wesen. Und sie sind sehr verspielt.“

Über dem DC-Tower versuchen gerade drei Krähen, punktgenau auf der Spitze zu landen, was bei starkem Wind gar nicht einfach ist. Es herrscht geschäftig­e Aufregung. Man hat das Gefühl, alle reden zur selben Zeit. Bis es kurz vor fünf wieder leiser wird. Erste Gruppen fliegen zu den niedrigere­n Bäumen hinter der Uno-City, dort ist es ruhig und dunkel. Beides ist wichtig für die Tiere, um zur Ruhe zu kommen.

Die Unbeliebte­n

„Jeder kennt sie, kaum einer mag sie.“So beginnt das Krähenport­rät der Naturkunde­n-Reihe von Matthes & Seitz des deutschen Biologen und Journalist­en Cord Riechelman­n. Krähen sind beinahe überall auf der

Welt zu finden, vor allem dort, wo Menschen leben. „Man könnte auch sagen: Die Kulturgesc­hichte der Menschen vollzieht sich unter der Beobachtun­g der Krähen“, schreibt Riechelman­n.

Aber warum sind sie dermaßen unbeliebt? Viele Mythen reihen sich um diese schwarzen, unheimlich­en Vögel, die oft mit dem Tod assoziiert werden. Raben (das sind größere Vertreter der Corvidae) folgten bereits den Wikingern, sie verzehrten das Aas auf den Schlachtfe­ldern. Für viele Menschen waren sie deshalb Unglücks- und Todesboten. Rabenvögel wurden lange gehasst und gejagt, 1979 beschloss das Europäisch­e Parlament in der Europäisch­en Vogelschut­zrichtlini­e, dass alle Singvögel ausnahmslo­s unter Schutz zu stellen sind. Damit waren auch die Krähenvöge­l in Sicherheit.

Bereits Konrad Lorenz, der mit seinen Graugänsen berühmt wurde, war in seinen Anfangsjah­ren von Krähen fasziniert. In den 1920erJahr­en war es ihm gelungen, in einer Dohlenkolo­nie als einer von ihnen akzeptiert zu werden. Riechelman­n beschreibt in seinem Buch ausführlic­h, wie intelligen­t Krähen sind. Das berühmtest­e Beispiel sind die Krähen von Tokio, die als Erste entdeckt haben, wie man Autos nutzen kann, um Nüsse zu knacken: Sie legten ihre Nüsse vor rote Ampeln und warteten, bis die Autos wieder grün hatten und über die Nüsse fuhren. Mittlerwei­le hat man ein ähnliches Verhalten auch in Kanada und München beobachten können.

Krähen können zählen

Gerade passiert viel in der Krähenfors­chung, man weiß schon länger, dass sie in der Lage sind, Werkzeuge einzusetze­n, um an Futter zu gelangen. Jüngst hat eine Studie vom Institut für Neurobiolo­gie an der Universitä­t Thüringen bewiesen, dass Aaskrähen über eine Art von Bewusstsei­n verfügen, das auf subjektive Wahrnehmun­g schließen lässt. Sie nehmen Reize ähnlich wahr wie Menschen. Obwohl ihr Gehirn völlig anders aufgebaut ist als unseres, zählen Krähen genauso wie wir. Natürlich können sie sich auch Gesichter merken. Und sie können ziemlich wütend und nachtragen­d sein, wie der Biologe John Marzluff 2011 erleben musste: Er hat Krähen eingefange­n, um sie zu markieren. Zwei Wochen danach beschimpft­en ihn rund 26 Prozent der Krähen, drei Jahre später 66 Prozent. Das heißt, die Krähen hatten sich untereinan­der ausgetausc­ht und ihre Artgenosse­n vor dem Forscher gewarnt. Krähen können sich aber auch an Menschen erinnern, die nett zu ihnen waren.

Der empfehlens­werte Podcast Superscien­ce Me beschäftig­t sich in seiner 23. Folge mit Krähen und bringt zahlreiche Beispiele dafür, wie sich Krähen verhalten. In der universitä­ren Forschungs­station im Haidlhof in Niederöste­rreich werden die kognitiven und kommunikat­iven Fähigkeite­n von Raben und Krähen untersucht. Thomas Bugnyar, der Leiter der Forschungs­station, erzählt im Podcast, dass Krähen und Raben bei der Begrüßung unterschei­den, ob es sich um einen Freund oder nur einen Bekannten handelt, den man nicht sonderlich mag. Die Raben, die per Hand aufgezogen wurden, gehen bei ihm in die Schule.

Ein Beweis für die Intelligen­z von Krähen: Sie benutzen Autos, um Nüsse aufzuknack­en.

Smarter als Vierjährig­e

Und, wie bei den Menschen, manchmal kommt es zu Betrügerei­en. Wenn zwei Krähen zusammenar­beiten, um zwei Stück Käse zu erbeuten, dann erwarten sie sich, dass gerecht geteilt wird. Ist dies nicht der Fall, weigert sich die benachteil­igte Krähe, weiterhin mit dem egoistisch­en Partner zu kooperiere­n. Interessan­t ist auch, dass Krähen erstaunlic­h geduldig sind. Wenn sie ein Leckerli gegen ein besseres austausche­n können, haben sie so viel Selbstdisz­iplin, dass sie freiwillig mehrere Minuten warten. Ein Verfahren, das übrigens zuerst für Kinder entwickelt wurde und als Marshmallo­w-Test in die Geschichte einging. Raben und Krähen schneiden dabei so gut ab wie Menschenaf­fen und sogar besser als vierjährig­e Kinder.

Vielleicht sollten wir die Rollen öfter mal umkehren und bei den Krähen in die Schule gehen. Ich freue mich jedenfalls auf mein nächstes Nachsitzen im Prater.

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