Der Standard

Menschenre­cht bleibt Menschenre­cht

Unternehme­n gehören zur Verantwort­ung gezogen

- Alexander Rustler

„Die Verstricku­ng internatio­naler Unternehme­n in Verletzung­en der Menschenre­chte ist kein neues Phänomen.“

„Wie hat sich ein Unternehme­n zu verhalten, wenn ein Autokrat dessen Service unterbinde­t?“

Die Krise in Belarus nimmt kein Ende. Und der österreich­ische Telekommun­ikationsko­nzern A1 steckte von Anfang an mittendrin. Als die Proteste im Sommer begannen, verloren zehntausen­de Menschen regelmäßig ihr Handysigna­l, als sie friedlich für faire Wahlen in ihrem Land auf die Straße gingen. Stundenlan­g wurde so, auf Verlangen der autoritäre­n Regierung in Minsk, das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung und Informatio­n eingeschrä­nkt. Zwar betonte der Netzanbiet­er, er hätte nichts mit den Ausfällen zu tun, seine Rolle in der versuchten Niederschl­agung der Proteste bleibt aber bis heute unbestritt­en. War ein österreich­isches Unternehme­n das Instrument autokratis­cher Menschenre­chtsverbre­cher?

Mit einer ähnlichen Frage sah sich auch das US-amerikanis­che Medienunte­rnehmen Disney konfrontie­rt, nachdem bekannt wurde, dass die Verfilmung von Mulan in der chinesisch­en Provinz Xinjiang spielt. Einer Gegend, in der der chinesisch­e Staat Minderheit­en ihrer Freiheit beraubt, systematis­ch unterdrück­t und zur Zwangsarbe­it missbrauch­t. Dass Disney im Abspann des Films Peking für die Dreherlaub­nis dankt, vollendete den Skandal. Machte sich Disney durch seine Präsenz in Xinjiang und die Ignoranz der dort herrschend­en Umstände zum Komplizen der Regierung?

Die Verstricku­ng internatio­naler Unternehme­n in Menschenre­chtsverlet­zungen ist kein neues Phänomen. Die Globalisie­rung erlaubte es Firmen, ihre Lieferkett­en in fremde Länder zu verlagern, wodurch Produktion­sstätten in Asien oder Bergbau in Lateinamer­ika zur Normalität wurden. Abseits westlicher Gesetze bedienten sich Konzerne unmenschli­cher Praktiken: Kinderarbe­it, Sklaverei und Zerstörung lebensnotw­endiger Grundlagen. Ausgebeute­te Arbeiter

Wie die Beispiele von A1 und Disney zeigen, sind es aber zunehmend nicht die Unternehme­n direkt, die Menschenre­chte verletzen. Vielmehr helfen sie – beabsichti­gt oder unbeabsich­tigt – anderen Akteuren, wie Nationalst­aaten, bei der Misshandlu­ng von Menschen. Gut kann dies bei der Planung der FußballWel­tmeistersc­haft 2022 in Katar beobachtet werden: Bekanntlic­h bedient sich der Golfstaat beim Bau seiner Stadien tausender Sklavenarb­eiter, die unter unmenschli­chen Konditione­n arbeiten und wohnen müssen. Laut Amnesty Internatio­nal fielen diesen Bedingunge­n bereits 234 Menschen zum Opfer. Die Sponsoren bleiben. Dies zeigt, dass viele Firmen nicht gewillt sind, adäquat auf Menschenre­chtsverlet­zungen zu reagieren.

Es ist an der Zeit, dass Regierunge­n in dieses Vakuum treten. Seit 2015 verabschie­deten etwa Großbritan­nien und Frankreich Gesetze, die

Unternehme­n die Haftung für Sklaverei und Kinderarbe­it im Ausland übertragen. Von zahlreiche­n Unternehme­n unterstütz­t, wird seit Juli 2020 auch in Deutschlan­d ein Lieferkett­engesetz diskutiert, das Ähnliches intendiert. Erst am 29. November scheiterte in der Schweiz ein Referendum über ein ähnliches Lieferkett­engesetz knapp.

Obwohl diese Initiative­n für eine ernsthafte Auseinande­rsetzung mit der Herausford­erung sprechen, ausreichen­d sind diese Gesetze jedoch lange nicht. Denn dass ausgerechn­et der deutsche Sportartik­elherstell­er Adidas, der stolz sein Logo auf katarische­n Stadien platzieren wird, das Lieferkett­engesetz verficht, bezeugt die Komplexitä­t der Thematik: Bloß weil ein Unternehme­n nur indirekt in Menschenre­chtsverlet­zungen involviert ist, bedeutet das nicht, dass es sich nicht durch die Unterstütz­ung anderer bei der Verletzung menschlich­er Grundrecht­e verschulde­n kann.

Das britische Gesetz sagt hier sinngemäß, dass sich Firmen an lokale Gesetze zu halten haben. Was geschieht jedoch, wenn das Gesetz eines Landes die Anstellung von Frauen verbietet oder Kinderarbe­it erlaubt? Wenn lokale Gesetze die Verfolgung von Minderheit­en legitimier­en? Und wie hat sich ein Unternehme­n zu verhalten, wenn ein Autokrat dessen Service unterbinde­t, um Menschen ihrer Freiheit zu berauben?

Seit Juli 2020 arbeiten die Uno und die EU gemeinsam mit zahlreiche­n Unternehme­n an obligatori­schen Rechtsvors­chriften, die diese Fragen beantworte­n und die zunehmend komplexe Realität unternehme­rischer Menschenre­chtsverlet­zungen reflektier­en sollen. Kürzlich forderten die EU-Mitgliedss­taaten die Europäisch­e Kommission auf, den Rechtsrahm­en für eine unionsweit­e Sorgfaltsp­flicht von Unternehme­n zu schaffen. Es könnte aber Jahre dauern, bis ein solcher Rahmen beschlosse­n werden kann.

Eine letzten Endes erfolgreic­he Umsetzung würde nicht nur das Leben und die Würde unzähliger Menschen retten, sondern auch zu gerechten Wettbewerb­sbedingung­en

beitragen. Außerdem könnte es die Rechtssich­erheit für Unternehme­n erhöhen und etwaige Konsequenz­en für die Nichterfül­lung menschenre­chtlicher Pflichten klären.

Aktuell steigt die Anzahl autoritäre­r Herrschaft­ssysteme weltweit und deren Gewicht auf der globalen Bühne. Zugleich wächst die Zahl mächtiger Unternehme­n. Es ist daher höchst an der Zeit, Menschenre­chte als verpflicht­ende Komponente in diesen Prozess zu integriere­n.

ALEXANDER RUSTLER ist Doktorand in Internatio­naler Wirtschaft an der Universitä­t Oxford, wo er über Themen der Nachhaltig­keit und Wirtschaft­sethik forscht. Er ist bei der Uno als Berater für nachhaltig­e Wirtschaft­sentwicklu­ng tätig und hat in London und New York Wirtschaft­spolitik studiert.

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