Der Standard

Wir bauen nicht für Putin

Der Bau eines Opernhause­s auf der Krim hat eine Debatte über Architektu­r und Moral entfacht. Doch relevant ist, was Architekte­n bauen und wie sie Architektu­r verwirklic­hen. Antworten auf die Zurufe aus dem Elfenbeint­urm. „Ein Kanon der Moral wird auf die

- Wolf D. Prix

Das Bild von einem reißenden Fluss, in dem wir Architekte­n gegen die Strom̈ ung der gesellscha­ftlichen und der Architektu­rwirklichk­eit ankam̈ pfen, hat seine Richtigkei­t. Waḧ rend die Kritiker und Theoretike­r am Ufer stehend, ohne sich nass zu machen, den Architekte­n gute Ratschlag̈ e aus dem Elfenbeint­urm zurufen (siehe „Alles Meister der Potemkin’schen Dörfer“, DER STANDARD, 4. 1. 2021).

Uns allen ist das Argument bekannt, dass ein Richter keinen Mord begehen muss, um über einen Mörder zu urteilen. Genauso wenig wie ein Architektu­rkommentat­or Gebäude bauen können muss, um über Architektu­r zu schreiben. Aber genauso wie sich ein Richter mit den Umständen des Mordes vertraut machen muss, genauso müssten die geschätzte­n Kritiker und jene, die es noch werden wollen, sich den Problemen der Architektu­rwirklichk­eit nähern.

Ich bin ub̈ er den medialen Trollangri­ff auf Coop Himmelb(l)au nach einem Telefonat mit dem ukrainisch­en Botschafte­r nicht verwundert. In poststalin­istischem Ton forderte er mich auf, unser Projekt einer Oper in Sewastopol sofort zu beenden, da wir angeblich gegen die EUSanktion­sgesetze

verstoßen. Sonst, drohte er, werde er meine Existenz und die unseres Bur̈ os ruinieren.

Nachdem aber schnell klar geworden war, dass wir keine rechtliche­n Bestimmung­en verletzt haben, verlagerte sich die Diskussion von berufenen Kommentato­ren zu Architektu­r und Politik auf die Ebene von Moral und Ethik. Coop Himmelb(l)au baut fur̈ Putin = Diktator = Unterdruc̈ ker der Freiheit = Teufel. Wir bauen aber nicht fur̈ Wladimir Putin, wir bauen keine Botschaft, wir bauen kein Politkommi­ssariat. Wir bauen eine Oper. Und diese Oper ist nicht fur̈ Putin, sondern fur̈ die Bewohnerin­nen und Bewohner von Sewastopol und der Krim. Genauso wenig wie die Wiener Oper fur̈ Kaiser Franz Joseph I. und die Universita­ẗ fur̈ Rudolf IV., sondern fur̈ die Wienerinne­n und Wiener gebaut wurde. Subalterne Denkweisen

Die Frage, auf die es ankommt, ist nicht, ob Architekte­n in autoritäre­n Gesellscha­ften bauen dürfen, sondern was sie bauen und wie sie Architektu­r verwirklic­hen.

Coop Himmelb(l)au wurde 1968 mit dem Ziel gegründet, die einer oflichung

fenen Gesellscha­ft (siehe Karl Popper: Die offene Gesellscha­ft und ihre

Feinde) entspreche­nde Architektu­r zu entwickeln. Die Entwicklun­g unserer Formenspra­che (jeder hat recht – aber nichts ist richtig) wurde später als Dekonstruk­tivismus bezeichnet. Eine internatio­nale Architektu­rströmung, zu deren Miterfinde­rn wir zählen.

Subalterne Denkweisen, wie im ahnungslos wirkenden Kommentar „Coop Himmelb(l)au auf der Krim: ein Solo für Putin“im Wiener Stadtmagaz­in Falter zu lesen – „Hier verwirklic­ht er (Prix) futuristis­che Entwürfe, die aus dem Bauch heraus skizziert und mit viel Computerte­chnik in angewandte Statik übersetzt werden“–, führen dann zur Verunglimp­fung von Selbstverw­irkals Narzissmus. Eine Buchempfeh­lung: Die österreich­ische Seele von Erwin Ringel – alt, aber noch immer gut.

Dass unsere Architektu­rsprache eine antiautori­täre ist (Brechung der militärisc­hen Achsen und der Herrschaft­ssymmetrie­n), kann man an unseren Projekten seit 1968 bis heute internatio­nal ablesen. Kein Konsumprod­ukt

Zu denken gibt mir der Artikel „Dunkle Wolken über Coop Himmelb(l)au: Public Shaming und ethische Kritik als politische­s Risiko“im Eastblog der Universitä­t Wien, in dem das Verhalten unseres Bur̈ os mit dem von VW in China in Beziehung gesetzt wird. Die zum Teil sehr klugen Analysen ub̈ er die hohen politische­n Risiken von internatio­nal tätigen Unternehme­n in Ländern der östlichen EU-Nachbarsch­aft sowie Russland und China münden aber in einen merkwürdig­en Vergleich von Produkten der Großkonzer­ne und den von Architekte­n geplanten Gebaü den. Es ist erstaunlic­h, wie wenig bekannt ist, dass Architektu­r kein Konsumprod­ukt ist, sondern die Synthese von einem Programm und dessen formaler Ub̈ ersetzung.

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass wiederkehr­end ein wahrer Kanon der Moral auf die Schultern von fast allen internatio­nalen Architektu­rbüros geladen wird. Stellvertr­etend für die gesamte Gesellscha­ft werden auf uns Architekte­n abstrakte und lebensfrem­de Normen des wohlfeilen Verhaltens übertragen, die an anderer Stelle nicht einmal ansatzweis­e mit dieser Vehemenz gefordert sind.

Sollten die moralische­n Standards, die Kritiker von Architekte­n einfordern, dann nicht von allgemeine­r Gültigkeit sein? Wie haben wir uns das praktische Handeln in einer globalisie­rten Welt unter Berücksich­tigung dieser geforderte­n Prinzipien vorzustell­en?

PS: Die Ahnungslos­igkeit in Stilfragen der Architektu­r zeigt sich auch in der Bemerkung eines Kritikers, der behauptet, dass unser Entwurf für die Wien Arena eher an einen Flughafent­erminal in einer „ehemaligen Sowjetrepu­blik“nebst Tower erinnert. Stimmt natürlich nicht. Unser Vorbild war der nordkorean­ische Flughafen in Pjönjang.

WOLF D. PRIX ist Design Principal, CEO und Mitbegründ­er des Architektu­rbüros Coop Himmelb(l)au.

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Noch ist es nur eine Studie, aber so soll die Oper von Sewastopol später aussehen – gebaut von Coop Himmelb(l)au.

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