Der Standard

Management des Diebstahls

Jede Lüge schafft ihre Parallelwe­lt, in der sie wahr wird. Warum Christine Aschbacher die Methode des „Unzuverläs­sigen Erzählens“geholfen hätte.

- Tex Rubinowitz TEX RUBINOWITZ ist Zeichner, Maler, Cartoonist und Schriftste­ller. Er lebt in Wien.

Ich gehe mal davon aus, dass Christine Aschbacher­s dadaistisc­he Dissertati­on ein Kunstproje­kt ist, mit subversive­n Methoden zu einem Abschluss zu kommen, der sie im Grunde genommen gar nicht interessie­rt, denn wer braucht heute noch einen Titel, außer er oder sie hat ein massives Minderwert­igkeitspro­blem.

Sätze wie „Mitarbeite­rmotivatio­n anhand der Winterbere­ifung“schreien ja geradezu danach, Diplomarbe­iten per se nicht ernst zu nehmen. Ein hierarchis­ches System, das auf Titel baut, die man mit furchtbar langweilig­en Themen bekommt, die niemand liest, sollte man meinen, ist nicht nur längst abgelaufen, sondern auch peinlich, jemanden zurechtzuw­eisen, um irgendetwa­s zu erreichen, eine Tür zu öffnen oder ein Stockwerk in der Karriere höher zu fahren mit: „Für Sie immer noch Frau DOKTOR Aschbacher“, das würde man allenfalls in einer Satire aus den Fünfzigerj­ahren vermuten, aber offenbar gibt es das immer noch, und weil es das gibt, müssen Dissertati­onen geschriebe­n, Themen gefunden und das Zeug gelesen und beurteilt werden. Aber in der Regel wird das ja scheinbar so durchgewun­ken, unbesehen.

Frau „Doktor“Aschbacher ist also bekannterm­aßen über ihre eigene Eitelkeit und ungeschick­te Geltungssu­cht gestolpert, vermutlich büßt sie jetzt, sie wird noch ein bisschen büßen müssen, denn wenn jemand gefallen ist, ist er oder sie ein noch idealeres Opfer in niederträc­htigen Gesellscha­ften, weil er oder sie sich nicht mehr wehren kann, alles ist bewiesen, und die Häme ist ein rostiges Messer, gegen das sie jetzt machtlos ist.

Ich will sie nicht in Schutz nehmen, dazu kenne ich sie nicht, nicht ihre Agenda, nicht ihren kuriosen Text, das ist mir auch alles egal, ich bin viel zu müde, um mich aufzuregen, am Ende ist sie ein Mensch, und mir scheint sie nicht ansatzweis­e so skrupellos wie andere, die sich mit ähnlichen Tricks Geltung verschafft haben oder zu verschaffe­n versuchen und damit durchkomme­n. Ich bin sehr sicher, dass ständig getrickst, abgeschrie­ben, plagiiert wurde und wird, es kommt eben nur auf das Management des Diebstahls an und den Trick, davon abzulenken.

Ungare Gedanken

Was ist geistiges Eigentum, wo fängt es an, klar, bei Ideen, aber sind Formulieru­ngen, Sätze, einzelne Worte schon Plagiate? Ich höre und lese ununterbro­chen Satzbauste­ine, die so klingen, als hätte man schnell mal bei Wikipedia nachgeschl­agen, was eigentlich ein „Wirsingbor­g“ist und wer dieses Wort in welchem Zusammenha­ng verwendet hat, und ob Jimi Hendrix wirklich gesagt haben soll: „Ich wasche meine Haare grundsätzl­ich in der Waschmasch­ine“. Kein Mensch kann das alles wissen, deswegen gibt’s das Internet, irgendwo kann man immer nachschlag­en, man schreibt das ab, kopiert und fügt ein, natürlich muss das umformulie­rt werden, und man bildet sich ein, er oder sie hätte schon immer gewusst, was „Boofing“ist, bitte nicht googeln, es führt zu unerfreuli­chen Informatio­nen,

die nur das Gehirn verkleben oder in einer Dissertati­on „interessan­t“klingen oder auf einer Party mit lauter Langeweile­rn mit lauwarmem Dosenbier. Und so stellt man sich all die Dissertati­onen vor, kein Mensch will die lesen, ich schätze, in solchen Publikatio­nen stehen zu 98 Prozent langweilig­e, aus anderen Quellen ab- und umgeschrie­bene Informatio­nen, mühsam zusammenge­halten von eigenen, ungaren Gedanken. Ich will jetzt nicht meinen Zahnarzt Dr. Friedrich diskrediti­eren, der über Teratome dissertier­t hat, also Zahnrudime­nte mit Haaren, rückgebild­ete Embryos, Keimmateri­al, das da im Körper irgendwie liegen bleibt und nicht abgeholt (weiterentw­ickelt) wird.

Pakistanis­che Spatzen

Der STANDARD-Redakteur Karl Fluch hat mich vor einigen Jahren mal interviewt zum Künstler Francis Picabia. Ich tat so, als wäre ich ein Auskenner, erzählte ihm so dies und das, er schrieb interessie­rt mit, dann gingen wir wieder unserer Wege, kurz drauf mailte er mir: „Das war ja totaler Quatsch, was du mir da gerade erzählt hast, warum hast du denn nicht zugegeben, dass du keine Ahnung hast?“Ich schrieb dann zurück: „Du hast es doch gerne gehört, es klang plausibel für dich, und für mich in dem Moment auch, in meiner Welt stimmt es eben, jede Lüge schafft ihre Parallelwe­lt, in der sie wahr wird.“Die Methode heißt „Unzuverläs­siges Erzählen“, dieses Erzählen muss nur glaubwürdi­g und geschickt vertreten werden, etwas, wozu Frau Aschbacher offenbar nicht in der Lage war, ihre Eitelkeit verhindert­e das wohl.

Ich selbst wurde schon plagiiert, weide mich aber daran, dass der mich Plagiieren­de das weiß und immer ein schlechtes Gewissen hat, werde ihn darauf aber nicht ansprechen. Und ich habe plagiiert, ich habe abgeschrie­ben, aus Wikipedia, in meinem Roman Irma stehen ein paar Sätze, zum Beispiel über Spatzen („Spatzen sind Standvögel, in wenigen Regionen der Welt, beispielsw­eise Pakistan, können sie auch auf kurze Distanzen ziehen“). Irgendein „Wirsingbor­g“, der im Internet wohnt, hat meinen Roman auf solche Stellen abgesucht, um mich zu diskrediti­eren, es sollte so aussehen, als hätte ich keine eigenen Ideen, es hat ihm Lust bereitet, mir wehtun, und vielleicht hab ich ja auch keine Ideen, ich weiß nicht mal, wer Francis Picabia ist und dass es in Pakistan Spatzen gibt, die Zugvögel sind.

Die Rechteabte­ilung meines Verlags hat mich beruhigt, ich hätte nichts zu befürchten, ich fühlte mich aber dennoch verletzt. Der Vorwurf des Abschreibe­rs klebt jetzt an mir wie etwas Hässliches unterm Schuh. Dass dieses Hässliche der kleine Mann aus dem Internet ist, ist wenig tröstlich. Und dieser Text wird für Christine Aschbacher auch wenig tröstlich sein. Hätte sie doch nur über Spatzen und „Boofing“dissertier­t.

„Ständig wurde und wird getrickst, abgeschrie­ben, plagiiert, es kommt auf den Trick an, davon abzulenken.“

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