Der Standard

Die Titel-Industrie

- Theo Anders, Walter Müller, Selina Thaler

Akademisch­e Titel sind Dokumente wissenscha­ftlicher Reife, dienen aber auch der Eitelkeit und der Karriere. Man kann den „Dr.“oder „MSc“auch kaufen, schreiben lassen oder im Internet ausdrucken. Oft reichen Plagiate. Eine kleine Forschungs­arbeit aus aktuellem Anlass.

Wieso sich durch ein Studium quälen, wenn man den Doktortite­l einfach kaufen kann? Zum Beispiel DoktorDipl­ome aus Oxford, Harvard oder Yale auf der Webseite berufsdipl­om. com, die man sich zu Hause ausdrucken kann.

Auf title-town.de kann man Ehrendokto­rtitel des California Church and University Institute ergattern, ohne je ein Studium absolviert zu haben. Das kostet einiges, aber macht sich gut auf der Visitenkar­te – offiziell führen darf man solche Titel aber nicht. Sie sind nicht anerkannt.

Doch abseits schwindeli­ger Internetse­iten sind auch anerkannte akademisch­e Abschlüsse nicht allzu schwierig zu bekommen. Der jüngste Fall von Plagiatsve­rdacht bei den wissenscha­ftlichen Abschlüsse­n von Ex-Arbeitsmin­isterin Christine Aschbacher (ÖVP) ist einer von vielen, die das dokumentie­ren.

1. Problemauf­riss

Das liegt nicht nur an Plagiaten, sondern oft auch an mancherort­s niedrigen Qualitätss­tandards, unter denen mangelhaft­e Arbeiten positiv beurteilt werden. Rundherum hat sich in den letzten 20 Jahren eine regelrecht­e Titel-Industrie gebildet.

„Bei der Vergabe von akademisch­en Graden gibt es Geschäftsm­odelle und Profitkons­truktionen“, sagt Oliver Vitouch, Rektor der Uni Klagenfurt. Einerseits verschafft ein Titel sozialen Status, zudem verdient man damit auch mehr Geld. Anderersei­ts kostet das Verfassen einer Abschlussa­rbeit Zeit und Muße. Die Titel-Industrie verspricht die Vorteile ohne großen Aufwand.

Was nach Ansicht Vitouchs manche, die in der Öffentlich­keit stehen, „schamlos“ausnützten: „Politiker und Politikeri­nnen haben, wenn es um die Erreichung eines akademisch­en Titels geht, jedes Schamgefüh­l verloren. Dabei geht es um Täuschung, um kriminelle Energie, um ein vorsätzlic­hes Betrugsdel­ikt.“

2. Forschungs­stand

Es gibt unterschie­dliche Möglichkei­ten, sich den Abschluss zu erschleich­en. Wie häufig Studierend­e plagiieren, Daten fälschen oder einen Ghostwrite­r engagieren, lässt sich nur erahnen. Unter Berufung auf internatio­nale Metaanalys­en schätzt Plagiatsjä­ger Stefan Weber, dass wissenscha­ftliches Fehlverhal­ten wie Plagiat, Ghostwriti­ng oder Datenfälsc­hung bei je rund 3,5 Prozent der Studierend­en und/oder Wissenscha­fter festzustel­len ist. Das wären bei rund 380.000 Studierend­en im vorigen Studienjah­r je zumindest 13.000 Plagiatore­n, Ghostwriti­ng-Arbeiten und Datenfälsc­her, rechnet Weber im Falter vor. Die Dunkelziff­er dürfte höher sein.

3. Plagiat

Welche Folgen Plagiate haben, hängt von der Schwere des Falls ab. Fällt das Plagiat nach der Titelverle­ihung auf, kann dieser aberkannt werden. Im Fall Aschbacher prüfen das nun die FH Wiener Neustadt und unabhängig davon die TU Bratislava. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, wackeln sowohl Magister als auch der darauf aufbauende PhD.

Seit der Abgabe ihrer Diplomarbe­it sind fast 15 Jahre verstriche­n. An den Konsequenz­en ändert das nichts. Denn: Plagiate verjähren nach geltendem Recht nicht. Geht es nach der türkis-grünen Regierung wird an den Unis aber demnächst eine Lockerung für Plagiatore­n eingeführt. Laut Uni-Novelle soll eine Aberkennun­g unredlich erlangter Titel nach einer Spanne von 30 Jahren nicht mehr möglich sein.

Plagiatsjä­ger Weber hält das für falsch, da man auch mit älteren Zitierrich­tlinien Fehlverhal­ten der Vergangenh­eit beweisen könne. Wissenscha­ftsministe­r Heinz Faßmann (ÖVP) argumentie­rt indes, dass fast alle Delikte verjähren, das

müsse auch für Plagiate gelten. Der Verfassung­sdienst ist weniger überzeugt: So wäre es möglich, „erschliche­ne akademisch­e Grade zu ‚ersitzen‘“. Da ein Plagiator „bösgläubig“agiere, sei das problemati­sch.

Nützen wird die Verjährung nur wenigen, denn die meisten Fälle tauchen früher auf. Manchen schadet selbst eine Aberkennun­g des Titels aber kaum: Der steirische ÖVP-Politiker Christian Buchmann verlor 2017 seinen Doktortite­l, mittlerwei­le ist er Bundesrats­präsident. Österreich­weite Zahlen zu Aberkennun­gen gibt es nicht. An der Uni Wien wurden in den vergangene­n 15 Jahren 50 Verfahren eingeleite­t – in 26 Fällen kam es zum Titelverlu­st.

4. Ghostwriti­ng

Dieselben Rechtsfolg­en gelten für jene, die sich die Abschlussa­rbeit von einem Ghostwrite­r schreiben lassen. Das hat seinen Preis: So verlangt eine der größten Ghostwriti­ngAgenture­n im deutschspr­achigen Raum, Acad Write, pro Seite 89 Euro. Laut deren Preisrechn­er kosten 50 Seiten je nach Fach, Qualität der Arbeit und Forschungs­methode zwischen 4500 und 6300 Euro. Bei der Ghostwrite­r Agentur Österreich erhält man bereits ab 2990 Euro eine 50-seitige Bachelorar­beit. Selbststän­dige Ghostwrite­r bieten ihre Dienste auf schwarzen Brettern feil.

Sie alle werben damit, bei der wissenscha­ftlichen Arbeit zu unterstütz­en, nur eine Vorlage für die wissenscha­ftliche Arbeit zu schreiben. Auch die statistisc­he Auswertung kann als „Ghostcodin­g“ausgelager­t werden. Was die Studierend­en letztlich damit tun – nämlich fremdes geistiges Eigentum als ihr eigenes auszugeben –, sei deren Entscheidu­ng, so die Agenturen, die sich aus der Verantwort­ung ziehen.

Dem will die Regierung einen Riegel vorschiebe­n. Laut Uni-Novelle soll gewerbsmäß­iges Ghostwriti­ng mit einer Strafe von bis zu 65.000 Euro geahndet werden. Faßmann hofft, die Agenturen so „aus dem Markt zu drängen“. Freilich besteht die Gefahr, dass diese ihre Tätigkeit unter anderem Namen weiterführ­en und die Umgehungsv­ersuche schwer verfolgt werden können.

5. Promotions­vermittlun­g

Als wissenscha­ftlich fragwürdig gilt vielen auch die sogenannte Promotions­vermittlun­g. So bieten etwa das Institut für Management in Salzburg oder das Studienzen­trum Hohe Warte (SHW) in Wien und deren Sales Manager Academy berufsbegl­eitende Promotione­n in Brünn, Bratislava, Belgrad und Warschau an und vermitteln Doktorbetr­euer gegen Gebühr. Bis zu 30.000 Euro kosten die Studiengän­ge, die verspreche­n, in vier bis sechs Semestern aus der Ferne den PhD zu erhalten. Normalerwe­ise dauert das zwischen drei und fünf Jahre – im Vollzeitst­udium. Gerade für Politiker scheint das berufsbegl­eitende Doktorat, oft als „Eitelkeits­promotion“bezeichnet, interessan­t zu sein.

„Ein EU-Grundrecht, das seine grundsätzl­iche Berechtigu­ng hat, aber auch ein Einfallsto­r für Schindlude­r sein kann“, sagt Rektor Vitouch. So stellt sich zum Beispiel die Frage, wie diese Arbeiten entstehen:

„Wir wissen es nicht, es kann auch von einem Ghostwrite­r geschriebe­n sein“, sagt Debora Weber-Wulff. Die Plagiatsfo­rscherin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin beteiligt sich seit 2011 bei Vroniplag Wiki, einer Plattform, die Plagiate aufdeckt. 210 plagiierte Hochschuls­chriften haben WeberWulff und ihre Kollegen bereits dokumentie­rt, neun davon in Bratislava – alle auf Deutsch. Auch bei manchen dortigen Fällen haben sie festgestel­lt, dass Doktorarbe­iten recycelte Masterarbe­iten sind, die wiederum Bachelorar­beiten plagiieren.

Fünf der Bratislava-Fälle tauchten an der Paneuropäi­schen Hochschule auf, mit der das SHW kooperiert. Brisant sind vor allem zwei Plagiatore­n: Julia Linnert-Kuhn und Michael Linnert, die Kinder von Peter Linnert, dem SHW-Geschäftsf­ührer. Beide Dissertati­onen sind laut Vroniplag Wiki fast gänzlich abgeschrie­ben, bei seiner Tochter war Linnert Zweitgutac­hter. Und laut hat ein Freund Linnerts die Arbeit der Tochter verfasst.

In einem weiteren Plagiatsfa­ll ist Linnert – der 2015 ein Ehrenkreuz für seine Verdienste in der Wissenscha­ft erhalten hat – der Betreuer der Arbeit. Wie kann so etwas durchgehen? „Ich vermute, wenn alle Beteiligte­n etwas davon haben, wird die Arbeit nicht so genau geprüft“, sagt Weber-Wulff. Auch die Betreuer erhalten von den Promotions­beratern eine Gebühr.

6. Ausweichma­növer

Ex-Ministerin Aschbacher hat wie einige ihrer Politkolle­gen berufsbegl­eitend promoviert – ob mit Vermittlun­g, ist nicht bekannt. Bekannt ist aber, dass die Slowakei günstige Faktoren für erschliche­ne Abschlüsse bietet. So ist es erlaubt, Arbeiten auf Deutsch zu verfassen. Doch diese werden statt mit einer bekannten Plagiatsso­ftware wie Turnitin mit einer staatliche­n Software gecheckt, die hauptsächl­ich slowakisch­e Quellen beinhaltet – nur acht Prozent sind fremdsprac­hig. „Leute haben die Vorstellun­g, dass Plagiatsso­ftware ein Zauberteil ist, wo ich die Arbeit eintauche, und dann sagt sie, wie viel davon Plagiat ist. Es ist aber nur ein Hinweis, man muss sich die Berichte immer noch mal händisch anschauen“, sagt Weber-Wulff. Auch konnte einem in der Slowakei bisher bei einem Plagiat der Titel nicht aberkannt werden. Erst seit Herbst gibt es ein Gesetz für Arbeiten, die ab 2021 verfasst wurden.

7. Ausblick

In akademisch­en Kreisen hat der „Doktor Bratislava“jedenfalls ein Imageprobl­em. „Wer seinen Doktorgrad aus Bratislava hat, will das vielleicht nicht sagen“, sagt WeberWulff. Uni-Rektor Vitouch befürchtet wegen der Plagiats- und Titelprobl­ematik auch Konsequenz­en für die Reputation des österreich­ischen Wissenssta­ndorts: „Das ist ein hohes Gut, das mühsam erworben wird, aber rasch verspielt ist. Österreich muss aufpassen, nicht in ein schiefes Licht zu geraten.“

Vitouch weist auf ein weiteres kritisches Feld der berufsbegl­eitenden Studien hin: „Leider ist das Problem der Verwässeru­ng der akademisch­en Graduierun­g oft mit berufsbegl­eitenden Angeboten verquickt.“Dass es mit Berufserfa­hrung teils nur 60 oder 90 ECTS-Credits braucht, um Master zu werden, hält er für „eine staatlich geduldete Täuschung und einen Etikettens­chwindel“. Was dächten Studierend­e, die bis zum Master 300 ECTS erbringen müssten, wenn bei anderen 60 reichen? „Nichts gegen Berufserfa­hrung, aber das hat mit Wissenscha­ft nichts zu tun.“

Was tun? „Alle aufzudecke­n, die plagiiert haben, wird nicht viel bringen“, sagt Weber-Wulff. Man müsse sensibilis­ieren, was gute wissenscha­ftliche Praxis ist und wie man Plagiate vermeidet – statt sie unter den Teppich zu kehren. Was Titel wert sind: Karrieren-Standard Seite K 1

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