Der Standard

Sorgen der EU nach dem Sturm aufs Kapitol

Um Rechtsstaa­t, Freiheit, Demokratie müssten alle stets kämpfen, sagt EU-Kommissari­n Věra Jourová. In der Corona-Krise wuchsen in Europa die Spannungen. Die Ereignisse in den USA sollten eine Warnung sein.

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Sie war ab 2014 EU-Justizkomm­issarin. Präsidenti­n Ursula von der Leyen machte sie zur Vizepräsid­entin, zuständig für „Werte und Transparen­z“. Das klingt blumig. Genauer betrachtet geht es bei Věra Jourová aber sehr konkret um zentrale Prinzipien und Recht, bei deren Missachtun­g oder Verletzung durch Staaten das EU-Projekt, der Zusammenha­lt der Staaten, gefährdet ist, wenn es hart abgeht.

Die aus Tschechien stammende Liberale überwacht die Einhaltung der Rechtsstaa­tlichkeit, den Schutz der Demokratie, der Grundrecht­e in der „Verfassung“der EU-Verträge. So verantwort­et sie die Artikel-7Verfahren gegen Polen und Ungarn wegen Verletzung der Rechtsstaa­tlichkeit, durch die den beiden ein Entzug der Stimmrecht­e droht. Jourová checkt, ob die Justizsyst­eme in den Staaten funktionie­ren, ob die Bürger zu ihrem Recht kommen oder ob die Richtersch­aft „systematis­ch“politisch manipulier­t wird, so der Vorwurf zu Polen. Und sie muss in der Digitalisi­erung dafür sorgen, dass etwa „Hass im Netz“reguliert wird.

Am Montag kommt die Vizepräsid­entin ins Parlament in Wien, in Zeiten von Corona nur virtuell per Video. Anlass ist eine Aussprache über den Bericht der Kommission zum Zustand der Rechtsstaa­tlichkeit in Österreich. Den beurteilt sie „im Großen und Ganzen“als gut. Nur bei den Ernennungs­prozessen von Verwaltung­sgerichtsp­räsidenten oder beim Einfluss der Politik auf Staatsanwä­lte gebe es negative Anmerkunge­n.

Der Trump-Schock

Nach den jüngsten Ereignisse­n in den USA, dem Sturm von Anhängern des US-Präsidente­n Donald Trump auf das Kapitol in Washington, wird es aber auch allgemein um Fragen gehen, wie gefestigt Justiz, Demokratie und ihre Einrichtun­gen in Europa in der Gesellscha­ft sind.

Sie sei „schockiert gewesen“, was sich beim Angriff auf den US-Kongress

gezeigt habe: „Es gab zwei Momente bitterer Wahrheiten“, sagt die Kommissari­n im Gespräch mit dem Standard. „Das eine war die Attacke auf eine demokratis­che Institutio­n als solche. Wir sahen dabei den negativen Einfluss des Präsidente­n, wie die Spaltung in der Gesellscha­ft wuchs“, erklärt Jourová. Sie warnt davor zu glauben, dass dies nur ein

Thomas Mayer amerikanis­ches Phänomen sei: „Ich kann mir eine solche Situation auch in Europa vorstellen.“

Die Corona-Krise sei eine Herausford­erung, „die Atmosphäre in der Gesellscha­ft verschlech­tert sich“. Politiker und Regierunge­n versuchten die Krise in den Griff zu kriegen, „mit unpopuläre­n Entscheidu­ngen. Die Geschichte in Europa lehrt uns, dass in Krisen dann oft die Extremiste­n die Ernte einfahren. Da wird es bald Ernüchteru­ng geben“.

Daher werde ihre Hauptbotsc­haft an die Abgeordnet­en im Nationalra­t auch sein: Die Demokratie, der Rechtsstaa­t, „das sind Prinzipien, die wir gemeinsam nähren, schützen und verteidige­n müssen, auf EU-Ebene wie in den Staaten“. Die

Ereignisse in den USA zeigten uns, dass „wir klare Verfassung­sregeln brauchen, vor allem den Respekt der Bürger vor der Verfassung“. Wenn europäisch­e Politiker beginnen, die Verfassung „innovativ zu interpreti­eren, dann haben wir ein zentrales Problem im Rechtsstaa­t. Da müssen wir aufpassen, es wird mit dem Feuer gespielt.“

Zurück zu Trump: Der zweite irritieren­de „Moment der Wahrheit“sei für sie, die den hohen Stellenwer­t der Meinungsfr­eiheit in der US-Verfassung immer bewundert habe, dass TV-Stationen Reden des US-Präsidente­n „einfach abgedreht“, Twitter und Facebook ihn gesperrt haben. Das werfe viele Fragen auch für uns auf: wie man einerseits mit Hass im Netz umgeht, Inhalte, die auf Gewalt abzielen, beseitigt, wie man aber gleichzeit­ig die Meinungsfr­eiheit wahrt.

Gemeinsame Regeln nötig

Twitter und Facebook oder TVStatione­n „konnten nicht auf Basis klarer und strikter gesetzlich­er Regelungen handeln, weil es sie in den USA nicht gibt“, fährt Jourová fort: „Sie folgten also ihren eigenen Spielregel­n, privaten Konditione­n, die eine enorme Auswirkung auf das ganze Leben haben“. Problemati­sch.

In Europa sei man einen Schritt weiter. Einzelne Länder, auch Österreich, hätten Gesetze gemacht, mit denen Hass und Gewalt im Netz begegnet werden könne. Aber: „Wir sollten keine fragmentie­rten Regeln haben“, sagt die Kommissari­n. Die Kommission habe einen Digital Services Act vorgelegt, der zu gemeinsame­n Regelungen und Definition­en führen soll. Abgesehen von gesetzlich­er Regulierun­g müsse es auch weiterhin mit den Anbietern Vereinbaru­ngen geben, um etwa Desinforma­tion wirksamer zu begegnen.

Der Grundsatz: „Alle Inhalte im Internet müssen legal sein. Was nicht legal ist, muss entfernt werden.“Die Regierung in Wien habe erklärt, dass sie Einwände aus Brüssel wegen möglicher Diskrimini­erungen für Plattforme­n aus anderen Ländern umsetzen werde.

Jourová zum Verfahren gegen Polen und Ungarn:

„Alle Inhalte im Internet müssen legal sein. Was nicht legal ist, muss entfernt werden.“

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In Österreich sei das Justizwese­n im Großen und Ganzen in Ordnung. Ein Bericht der für Rechtsstaa­tlichkeit zuständige­n EU-Kommissari­n Věra Jourová hat kleinere Einwände bei Verwaltung­sgerichten.

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