Du holde Kunst – was nun? Was Künstler im Lockdown tun
Der verlängerte Lockdown wirft die Planungen schon wieder durcheinander. Jede Sparte trifft es anders, jede und jeder Kulturschaffende geht damit anders um. Die STANDARD-Kulturredaktion startet eine Serie, in der jeden Montag Künstlerinnen und Künstler zu
Nora Mazu Musikerin
„Muss mir keine Sorgen machen, Eltern und Freunde anzustecken“
Ich bin im Oktober nach Portugal an die Algarve geflüchtet, weil ich das Gefühl hatte, dass es in Österreich wieder unangenehmer wird. Seit kurzem gibt es hier auch einen Lockdown, aber dadurch, dass es sich um eine Gegend mit sehr viel Platz handelt, kann man das Social Distancing viel leichter durchführen als in einer Stadt. Ich kann an den Strand gehen, muss mir keine Sorgen machen, meine Freunde und Eltern gegebenenfalls anzustecken. Da ich digitale Nomadin und im Software-Bereich tätig bin, kann ich von überall aus arbeiten. Ich war nie davon abhängig, mit meiner Musik Geld zu verdienen. Gerade erweist sich das als hilfreich. Leider kann ich Freunde, die normalerweise Videos für mich machen würden, weniger unterstützen. Die Selbstständigen leiden ja extrem. Kreativ arbeite ich gerade an einem Lied, in dem es darum geht, Ja zum Leben zu sagen. Ich habe 2020 das Kundalini-Yoga für mich entdeckt. Dabei habe ich gelernt, dass in jeder Krise eine Chance steckt. Wenn man so unter Druck steht, dass man seine Rechnungen nicht zahlen kann, klingt das zynisch. Aber persönlich bin ich optimistisch und sehe, dass Nachhaltigkeit und Digitalisierung am Arbeitsmarkt gerade einen Boost erhalten. Männer, die jetzt die Kinder daheim betreuen, begreifen, dass das ein Fulltime-Job ist. Da tut sich plötzlich wahnsinnig viel.
Nora Mazu (39) ist Rapperin aus Wien und Gründungsmitglied der MTS Crew.
Cedric Mpaka Kostümbildner
„Ich bin an manchen Tagen dreimal getestet worden“
Mein zweites Wohnzimmer war in den vergangenen Monaten das Labor. Allein in Deutschland habe ich mich um die 40 Mal testen lassen müssen, unzählige Male auch in Österreich. Seit September bereite ich an der Semperoper in Dresden die Kostüme für eine Produktion des L’Orfeo von Monteverdi vor, 70 Kostüme gibt es allein für den Chor, 18 für die Solisten. Ich bin in den vergangenen Monaten deshalb zwischen Wien und Dresden gependelt. Seit es in beiden Ländern die Bestimmung gibt, dass man sich fünf Tage in Quarantäne begeben muss und sich anschließend freitesten kann, war das ein zeitlicher Spießrutenlauf. Zurück in Wien, hockte ich fünf Tage in meiner Wohnung, bevor ich ins Landestheater Niederösterreich zur Anprobe inklusive vorherigem Test fuhr. In Sankt Pölten arbeite ich derzeit an zwei Produktionen, einer Uraufführung von Teresa Dopler und Shakespeares Othello. Bei ersterer wurde der Premierentermin zweimal verschoben, in Dresden erarbeiteten wir zwischendurch eine Corona-Version mit weniger Protagonisten. Ich habe also trotz Lockdowns gut zu tun, wegen der vielen Adaptionen mehr als in normalen Spielzeiten. Leider spiegelt sich das nicht in meinem Verdienst wider. Ach ja, L’Orfeo wurde jetzt auch verschoben.
Cedric Mpaka (30) ist seit 2016 freischaffender Kostümbildner.
Maria Köstlinger Schauspielerin
„Als wäre die Inszenierung in den Gefrierschrank geschoben worden“
Im ersten Lockdown waren die Farben irgendwie heller. Das Gefühl der geschenkten Zeit schien fürs Erste gar nicht schlecht. Im Herbst ging es bei mir von null auf 180, es konnte geprobt und gespielt werden. Das Publikum kam ganz ausgehungert. Ich war so dankbar – aber auch naiv, denn ich dachte, so könne es dank der Sicherheitskonzepte weitergehen. Die Premiere von The Parisian Woman wurde schon viermal verschoben. Jetzt ist es so, als wäre die Inszenierung in den Gefrierschrank geschoben worden. Wir können nur abwarten. Aber im Gefrierschrank liegt ja noch anderes! Was ich sonst tue? Leider habe ich nicht das Talent zum Bücherschreiben, das fällt also flach. Fürs Garteln ist gerade nicht Saison. Mein Mann werkt im Atelier, auch nicht meins. Ich setze mich aber öfter ans Klavier und singe mit meiner Tochter, die in Hamburg Musical studiert, jetzt aber in Wien ist, weil dort alles stillsteht. Immerhin kann ich im März und April die letzten Folgen der Vorstadtweiber drehen. Dazwischen versuche ich, die Texte meiner drei aktuellen Stücke frisch zu halten. Generell muss man in dieser an Eindrücken armen Zeit das Gehirn trainieren. Das kann bizarre Formen annehmen, zum Beispiel alles einmal mit der linken Hand zu machen.
Maria Köstlinger (48) ist Ensemblemitglied des Theaters in der Josefstadt.
Erwin Wurm Künstler
„Ich hatte noch nie so viel Zeit, mich meiner Arbeit zu widmen“
Es gibt keine Besuche, keine Dinners, keine Partys. Es ist herrlich, ich liebe es. Wohlwissend, dass es vielen Leuten schlechtgeht und ich privilegiert bin, weil ich in meinem Studio auf dem Land gut arbeiten kann. Ich habe, glaube ich, noch nie in meinem Leben so viel Zeit gehabt, mich meiner Arbeit zu widmen. Jeden Montag testen wir uns und unsere Mitarbeiter, alle tragen Masken. Wir haben während des Lockdowns einige Ausstellungen mit Long-Distance-Instructions gemacht, zum Beispiel im Taipei Fine Arts Museum, die dann 140.000 Besucher hatte. Die Asiaten sind insgesamt pandemieerfahrener und können besser mit so einer Situation umgehen als wir, wo so etwas überhaupt nicht möglich wäre. Daher wurde viel verschoben, und der Kalender für 2021 ist voll. Schauen wir einmal, ob das realisierbar ist. Natürlich freue ich mich wieder aufs Reisen, New York zu sehen, Venedig zu sehen. Inhaltlich beschäftigt mich die Covid-Krise aber weniger – die wird sich durch die Impfung lösen lassen. Aber wenn man den Zustand unserer Erde sieht, finde ich das äußerst bedenklich und furchtbar – da stehen mit der Klimakrise wesentlich größere Aufgaben bevor. Dass so etwas wie ein Lockdown möglich ist, hat man im Zusammenhang mit der Klimakrise nicht einmal angedacht!
Erwin Wurm (65) zählt zu Österreichs bekanntesten Gegenwartskünstlern.