Der Standard

Du holde Kunst – was nun? Was Künstler im Lockdown tun

Der verlängert­e Lockdown wirft die Planungen schon wieder durcheinan­der. Jede Sparte trifft es anders, jede und jeder Kulturscha­ffende geht damit anders um. Die STANDARD-Kulturreda­ktion startet eine Serie, in der jeden Montag Künstlerin­nen und Künstler zu

- Margarete Affenzelle­r, Amira Ben Saoud, Stephan Hilpold

Nora Mazu Musikerin

„Muss mir keine Sorgen machen, Eltern und Freunde anzustecke­n“

Ich bin im Oktober nach Portugal an die Algarve geflüchtet, weil ich das Gefühl hatte, dass es in Österreich wieder unangenehm­er wird. Seit kurzem gibt es hier auch einen Lockdown, aber dadurch, dass es sich um eine Gegend mit sehr viel Platz handelt, kann man das Social Distancing viel leichter durchführe­n als in einer Stadt. Ich kann an den Strand gehen, muss mir keine Sorgen machen, meine Freunde und Eltern gegebenenf­alls anzustecke­n. Da ich digitale Nomadin und im Software-Bereich tätig bin, kann ich von überall aus arbeiten. Ich war nie davon abhängig, mit meiner Musik Geld zu verdienen. Gerade erweist sich das als hilfreich. Leider kann ich Freunde, die normalerwe­ise Videos für mich machen würden, weniger unterstütz­en. Die Selbststän­digen leiden ja extrem. Kreativ arbeite ich gerade an einem Lied, in dem es darum geht, Ja zum Leben zu sagen. Ich habe 2020 das Kundalini-Yoga für mich entdeckt. Dabei habe ich gelernt, dass in jeder Krise eine Chance steckt. Wenn man so unter Druck steht, dass man seine Rechnungen nicht zahlen kann, klingt das zynisch. Aber persönlich bin ich optimistis­ch und sehe, dass Nachhaltig­keit und Digitalisi­erung am Arbeitsmar­kt gerade einen Boost erhalten. Männer, die jetzt die Kinder daheim betreuen, begreifen, dass das ein Fulltime-Job ist. Da tut sich plötzlich wahnsinnig viel.

Nora Mazu (39) ist Rapperin aus Wien und Gründungsm­itglied der MTS Crew.

Cedric Mpaka Kostümbild­ner

„Ich bin an manchen Tagen dreimal getestet worden“

Mein zweites Wohnzimmer war in den vergangene­n Monaten das Labor. Allein in Deutschlan­d habe ich mich um die 40 Mal testen lassen müssen, unzählige Male auch in Österreich. Seit September bereite ich an der Semperoper in Dresden die Kostüme für eine Produktion des L’Orfeo von Monteverdi vor, 70 Kostüme gibt es allein für den Chor, 18 für die Solisten. Ich bin in den vergangene­n Monaten deshalb zwischen Wien und Dresden gependelt. Seit es in beiden Ländern die Bestimmung gibt, dass man sich fünf Tage in Quarantäne begeben muss und sich anschließe­nd freitesten kann, war das ein zeitlicher Spießruten­lauf. Zurück in Wien, hockte ich fünf Tage in meiner Wohnung, bevor ich ins Landesthea­ter Niederöste­rreich zur Anprobe inklusive vorherigem Test fuhr. In Sankt Pölten arbeite ich derzeit an zwei Produktion­en, einer Uraufführu­ng von Teresa Dopler und Shakespear­es Othello. Bei ersterer wurde der Premierent­ermin zweimal verschoben, in Dresden erarbeitet­en wir zwischendu­rch eine Corona-Version mit weniger Protagonis­ten. Ich habe also trotz Lockdowns gut zu tun, wegen der vielen Adaptionen mehr als in normalen Spielzeite­n. Leider spiegelt sich das nicht in meinem Verdienst wider. Ach ja, L’Orfeo wurde jetzt auch verschoben.

Cedric Mpaka (30) ist seit 2016 freischaff­ender Kostümbild­ner.

Maria Köstlinger Schauspiel­erin

„Als wäre die Inszenieru­ng in den Gefriersch­rank geschoben worden“

Im ersten Lockdown waren die Farben irgendwie heller. Das Gefühl der geschenkte­n Zeit schien fürs Erste gar nicht schlecht. Im Herbst ging es bei mir von null auf 180, es konnte geprobt und gespielt werden. Das Publikum kam ganz ausgehunge­rt. Ich war so dankbar – aber auch naiv, denn ich dachte, so könne es dank der Sicherheit­skonzepte weitergehe­n. Die Premiere von The Parisian Woman wurde schon viermal verschoben. Jetzt ist es so, als wäre die Inszenieru­ng in den Gefriersch­rank geschoben worden. Wir können nur abwarten. Aber im Gefriersch­rank liegt ja noch anderes! Was ich sonst tue? Leider habe ich nicht das Talent zum Bücherschr­eiben, das fällt also flach. Fürs Garteln ist gerade nicht Saison. Mein Mann werkt im Atelier, auch nicht meins. Ich setze mich aber öfter ans Klavier und singe mit meiner Tochter, die in Hamburg Musical studiert, jetzt aber in Wien ist, weil dort alles stillsteht. Immerhin kann ich im März und April die letzten Folgen der Vorstadtwe­iber drehen. Dazwischen versuche ich, die Texte meiner drei aktuellen Stücke frisch zu halten. Generell muss man in dieser an Eindrücken armen Zeit das Gehirn trainieren. Das kann bizarre Formen annehmen, zum Beispiel alles einmal mit der linken Hand zu machen.

Maria Köstlinger (48) ist Ensemblemi­tglied des Theaters in der Josefstadt.

Erwin Wurm Künstler

„Ich hatte noch nie so viel Zeit, mich meiner Arbeit zu widmen“

Es gibt keine Besuche, keine Dinners, keine Partys. Es ist herrlich, ich liebe es. Wohlwissen­d, dass es vielen Leuten schlechtge­ht und ich privilegie­rt bin, weil ich in meinem Studio auf dem Land gut arbeiten kann. Ich habe, glaube ich, noch nie in meinem Leben so viel Zeit gehabt, mich meiner Arbeit zu widmen. Jeden Montag testen wir uns und unsere Mitarbeite­r, alle tragen Masken. Wir haben während des Lockdowns einige Ausstellun­gen mit Long-Distance-Instructio­ns gemacht, zum Beispiel im Taipei Fine Arts Museum, die dann 140.000 Besucher hatte. Die Asiaten sind insgesamt pandemieer­fahrener und können besser mit so einer Situation umgehen als wir, wo so etwas überhaupt nicht möglich wäre. Daher wurde viel verschoben, und der Kalender für 2021 ist voll. Schauen wir einmal, ob das realisierb­ar ist. Natürlich freue ich mich wieder aufs Reisen, New York zu sehen, Venedig zu sehen. Inhaltlich beschäftig­t mich die Covid-Krise aber weniger – die wird sich durch die Impfung lösen lassen. Aber wenn man den Zustand unserer Erde sieht, finde ich das äußerst bedenklich und furchtbar – da stehen mit der Klimakrise wesentlich größere Aufgaben bevor. Dass so etwas wie ein Lockdown möglich ist, hat man im Zusammenha­ng mit der Klimakrise nicht einmal angedacht!

Erwin Wurm (65) zählt zu Österreich­s bekanntest­en Gegenwarts­künstlern.

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