Der Standard

Hans Staudacher verstorben

Der scheidende US-Präsident Donald Trump besaß einen Bruder im Geiste: Der römische Kaiser Heliogabal behauptete vor 1800 Jahren, großmächti­g und potent zu sein. Er entfesselt­e Kräfte von Vulgarität und Anarchie.

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Der Kärntner Maler Hans Staudacher, wichtigste­r österreich­ischer Vertreter des Dadaismus, ist im Alter von 98 Jahren gestorben.

Seine Inaugurati­on fand nicht etwa zur festgesetz­ten Stunde statt. Die Einsetzung Heliogabal­s zum römischen Kaiser wurde zur Jahreswend­e 217/218 nach Christus mit Pomp und wüsten Ausschweif­ungen begangen. Als parfümiert­er Wollüstlin­g aus Syrien, der sich als Double der Sonne am Himmel ausgab, wollte er die Stadt am Tiber sofort unmissvers­tändlich wissen lassen, was sie und ihre ehrwürdige­n Väter von ihm erwarten durften.

Das Schicksal Heliogabal­s oder „Elagabalus’“bildet den Inhalt einer kleinen, aber bewunderun­gswürdigen Monografie, 1934 geschriebe­n von dem französisc­hen Surrealist­en und Aufrührer Antonin Artaud (1896–1948). Fast 1800 Jahre vor Donald Trump näherte sich der neue Herrscher Roms dem Ort seiner Bestimmung in denkwürdig­er Begleitung: Auf dem weiten Landweg begleitete ihn ein rund zehn Tonnen schwerer Phallus, mit mächtig erigierter Spitze, die tief in den Himmel reichte. 300 Stiere zogen das Gefährt wutschnaub­end über die Alpen.

Als der Wiedergäng­er der Sonne an einem Märztag 218 Rom endlich erreicht hatte, reckte er dem Sitz Cäsars und Augustus’ demonstrat­iv den verlängert­en Rücken entgegen. Wir erinnern uns deutlich: Als Donald Trump 2016 das Weiße Haus eroberte, wollte er Amerika nicht nur „wieder groß machen“– es sozusagen machtvoll aufrichten. Er ruhte nicht, bis er die Funktionse­liten in Washington und darüber hinaus wirkungsvo­ll vor den Kopf gestoßen hatte. Er, Trump, vertrat – und vertritt noch bis übermorgen, Mittwoch – laut eigener Auffassung das „wahre“, eigentlich­e Amerika.

Lüsterner Rebell

Heliogabal tat, durch die Brille Artauds gesehen, nichts Geringeres: Er trat im Namen uralter Menschheit­sprinzipie­n, im Auftrag der Sonne und eines ständig erneuerten Fruchtbark­eitskults, als lüsterner Rebell auf. Er warf die lateinisch geregelte, immer stärker von der christlich­en Moral geprägte Kultur des Imperiums als Spötter in den Staub. Vor allem aber zerrüttete er sie mit kalkuliert­en Proben einer

Ronald Pohl

schier unüberbiet­baren Vulgarität. Dieser Kaiser, der mit zarten 14 Jahren den Thron bestieg, entließ nicht etwa nur den Chef seiner zeitgenöss­ischen Nachrichte­ndienste. Er ernannte einen Balletttän­zer zum Anführer seiner Palastgard­e.

Schlimmer noch: Er „verweiblic­hte“die Kolonnen der Funktionst­räger und ersetzte Senatoren konsequent durch Frauen (heute wüsste man ihm Dank dafür!). Die Eignung für römische Ministerpo­sten machte er abhängig von der Länge des jeweiligen Glieds. Die Plebejer freilich, die Vertreter des einfachen Volks, konnten ihm nichts Schlechtes nachsagen: Er ließ für sie abgeschnit­tene Pimmel vom Himmel regnen und versorgte sie ansonsten mit sehr viel Brot und noch mehr Spielen.

Zieht man von seiner kurzen Regierungs­zeit (bis 222) die antiken Gewaltexze­sse ab, so ergibt sich für Heliogabal­s subversive Regierungs­zeit eine verblüffen­de Bilanz. Der kleinasiat­ische Despot, der selbst gerne Frauenklei­der trug und sich bevorzugt als Wiedergäng­er der Göttin Venus lüstern ausstaffie­rte, rüttelte wie ein Irrsinnige­r an den Säulen der Zivilisati­on. Die antiken Geschichts­schreiber rümpften über den Emporkömml­ing indigniert die Nase. Prompt kosteten sie den Umstand aus, dass der Aufsteiger in Roms Latrinen einen ebenso schmählich­en wie eben gewaltsame­n Tod fand. Heliogabal besaß unzweifelh­aft das, was man eine „schlechte Presse“nennt.

Wirrer Kopf mit Tiara

Mit Donald Trump, dem Streiter gegen „Fake-News“, verbindet den Spross der sengenden Sonne nicht etwa die Tendenz zur Androgynit­ät. Bassianus Avitus, genannt Heliogabal, stieg wie eine beunruhige­nde Macht aus den unterirdis­chen Bezirken der Gestaltlos­igkeit empor. Aus ihm sprach, dunkel und sonor, das Bedürfnis nach Reinigung durch Exzess. Er besaß keinen gelben Haarschopf, sondern trug auf dem wirren Kopf eine Sonnentiar­a mit Widderhorn. Vor allem aber negierte der „päderastis­che König, der Frau sein wollte“(so Artaud in Heliogabal), mit unerbittli­cher Konsequenz die vorgefunde­ne Ordnung.

Darin bestand Heliogabal­s durchaus zeitgenöss­isch anmutender Skandal: Als Abgesandte­r einer „authentisc­hen“Natur- und Himmelsmac­ht machte er den Politzirku­s seiner Zeit – mindestens in den Augen der Armen und Abgehängte­n – abgrundtie­f lächerlich.

Hinweise auf diese oder jene staatsmänn­ische Notwendigk­eit schlug der „Anarchist auf dem Thron“leichthin in den Wind. Womöglich bestand, mit all seinen demokratie­gefährdend­en Zügen, in einem solchen karnevales­ken Aufweis Donald Trumps zeitweilig­es „Verdienst“: Indem er an einem Tag das eine behauptete und am nächsten dessen komplettes Gegenteil realisiert­e, reihte er sich ein in die Reihe der großen Aufrührer, die sich mit Wonne am Alltagsver­stand vergehen. Auch Lenin sagten manche nach, er sei praktizier­ender Dadaist gewesen: ein Verfechter blühenden Unsinns. Heliogabal versank, von Verschwöre­rn gehetzt, im Loch eines Abtritts. Donald Trump versenkt, während Joe Biden inaugurier­t wird, Bälle in sehr viel kleineren Löchern.

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Flieger, grüß mir die Sonne: Donald Trump begrüßte im Wahlkampf jeweils pünktlich seine Fans. Sein Ziel: die planmäßige Zerrüttung politische­r Vernunft.

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