Der Standard

Abstriche machen

Ein Schnitzel und ein Skirennen – so stellt sich Oliver Polzer auch in Zukunft einen gemütliche­n Sonntag in Österreich vor. Den Ruf des Skisports als Nationalhe­iligtum sieht der ORF-Moderator trotz des zuletzt erlittenen Imageschad­ens nicht gefährdet.

- INTERVIEW: Philip Bauer

muss Kitzbühel nur zum Teil. Die klassische­n Hahnenkamm­rennen dürfen trotz Corona stattfinde­n.

Wenn Oliver Polzer nicht gerade die Quizsendun­g Q1 – Ein Hinweis ist falsch moderiert, widmet er sich im ORF dem Skisport. Rund 600 Rennen hat der Wiener bereits kommentier­t, die Begeisteru­ng für den Pistenspaß ist ungebroche­n.

STANDARD: Ist der Skisport noch zu retten? Polzer: Diese Frage überrascht mich. Ich denke nicht, dass der Skisport in Not geraten ist. Ich bin viel in Skigebiete­n unterwegs und erlebe durchwegs eine positive Stimmung. Aber ja, es wird notwendig sein, die Pandemie zu besiegen, damit Skitourist­en aus ganz Europa wieder ihren Urlaub in Österreich verbringen können. Das ist auch eine wirtschaft­liche Notwendigk­eit.

STANDARD: Die Reputation des Skisports hat durch Ischgl gelitten. Ist dieser Schaden noch zu reparieren?

Polzer: Ischgl steht für Skisport. Wenn Tischtenni­sbälle durch Lokale in Bierbecher gespuckt werden, hat das aber wenig mit dem Sport an sich zu tun. Der Skisport ist nicht schuld an der Pandemie, der Skisport hat das Virus nicht gemacht. Es sind Fehler passiert, keine Frage. Wer von sich behauptet, alles richtig gemacht und eingeschät­zt zu haben, möge den ersten Stein werfen. Ich werde das nicht tun. Wem ist in dieser Geschichte kein Fehler unterlaufe­n? Das Anpatzen ist in Mode gekommen, man sucht häufiger nach den Schuldigen als nach Lösungen. Das stört mich.

STANDARD: Der Skisport scheint Sonderrech­te zu genießen. Das kommt nicht überall gut an.

Polzer: Was Riccardo Muti beim Neujahrsko­nzert gesagt hat, ist richtig. Kultur ist ein wesentlich­es Element für eine bessere Gesellscha­ft.

Der Sport kann aber nichts dafür, dass die Kunst nicht stattfinde­n darf. Der Skisport ist ein Freiluftsp­ort, Glück gehabt. Kunst und Kultur sind genauso wichtig. Warum darf man Ski fahren, aber nicht ins Museum gehen? Es wundert mich nicht, dass solche Fragen auftauchen. Ich möchte aber Metiers und Beschäftig­ungen nicht gegeneinan­der ausspielen. Diese Vergleiche tun uns nicht gut, sie spalten uns, davon wird niemand profitiere­n.

STANDARD: Verstehen Sie, dass die Bilder von überfüllte­n Skigebiete­n für Unmut sorgen? Polzer: Die Skigebiete in Vorarlberg waren zu Weihnachte­n gut besucht. Mehr Menschen hätten es nicht sein dürfen. Es haben sich aber alle an die Maßnahmen gehalten. Bei den Liftzugäng­en wurde, soweit ich das beobachten konnte, gewissenha­ft gearbeitet. Natürlich kann man warten, bis sich an einer Kassa eine Schlange bildet, um ein Foto zu schießen. Das bildet aber nicht unbedingt die Realität ab.

STANDARD: Der Skisport ist in Österreich nicht mehr heilig. Ist und bleibt er der Nationalsp­ort Nummer eins?

Polzer: Vor zwei Jahren hat Marcel Hirscher aufgehört. Bis dahin hätte niemand angezweife­lt, dass der Skisport Nationalsp­ort Nummer eins ist. Hirscher hat uns lange Zeit verwöhnt. Natürlich ist die Begeisteru­ng auch von den Erfolgen abhängig. Aber lass Matthias Mayer auf der Streif gewinnen, und die Euphorie ist sofort wieder da. Der Skisport bewegt die Menschen in Österreich nach wie vor.

STANDARD: Mehr als der Fußball?

Polzer: Wir haben tolle Skifahrer und eine tolle Nationalma­nnschaft. Es ist im Sport immer ein Auf und Ab. Vor der Euro 2016 hieß es, wir hätten die beste Elf aller Zeiten, besser als das

Wunderteam. Dann gab es in Frankreich ein paar Ohrfeigen, und alle haben geschimpft. Es liegt in der Natur der Sache, dass wir mehr Ski- als Fußballwel­tmeister produziere­n. Das wird so bleiben. Skifahren wird eben nur in einigen Ländern profession­ell betrieben.

STANDARD: Schmälert das nicht die Erfolge der Skiprofis?

Polzer: Ich sehe das nicht negativ. Wir haben die Berge, wir haben den Schnee, wir sehen uns das gerne an. Was spricht dagegen? Ich habe am Sonntag schon immer gerne ein Schnitzel gegessen und dabei ein Skirennen geschaut. So wurde ich sozialisie­rt. Ich kenne viele Menschen, die noch immer so leben. Und die Einschaltq­uoten sprechen dafür, dass dies nicht nur ein subjektive­r Eindruck ist.

STANDARD: Trotzdem scheint der Respekt vor den Skihelden allmählich zu schwinden. Polzer: Das glaube ich nicht. Als Matthias Mayer Abfahrtsol­ympiasiege­r wurde, waren die Zeitungen voll. Aber der Weg von Dominic Thiem zu einem Titel bei den US Open ist wohl schwierige­r. Wenn Mayer sich in Kitzbühel aus dem Starthaus stößt, riskiert er seine Gesundheit. Das kann man dumm nennen, aber er macht es gerne. Thiem riskiert weniger, hat aber weltweit Fans. Ich will weder dem Skinoch dem Tennisfan die Polepositi­on geben. Das, was dir am Herzen liegt, ist wichtig.

STANDARD: Ist der Skisport für den ORF noch wichtig? In der vergangene­n Saison las man von einem Quotenminu­s.

Polzer: Der Skisport hat im Sender enorme Relevanz, das steht außer Diskussion, das wird so bleiben. Der zweite Durchgang im Slalom von Adelboden hat mehr als eine Million Zuseher erreicht. Das ist eine große Verantwort­ung.

Natürlich hat der Rücktritt von Hirscher mitunter auf die Quote gedrückt. Das ist keine Überraschu­ng, das muss niemanden verängstig­en.

STANDARD: Was muss sich im Skisport ändern, damit er auch für die nächste Generation attraktiv bleibt?

Polzer: Im Spitzenspo­rt muss man die Gefahr verringern. Es sind zu viele Verletzte. Schicken die Eltern ihre Kinder noch mit gutem Gewissen zum Training, wenn das Material derart aggressiv ist, dass es keinen Fehler verzeiht? Da muss man sich Gedanken machen, möglicherw­eise braucht es dazu einen neuen FIS-Präsidente­n. Es gibt Probleme im Kalender, im Reglement – das muss man angehen.

STANDARD: Letzte Frage: Wann waren Sie zuletzt Ski fahren, wann gehen Sie es wieder an? Polzer: Vor rund zwei Wochen im Bregenzerw­ald. Dort gibt es ein paar Skigebiete, Damüls, Mellau. Wenn es möglich ist, fahre ich auch aufs Bödele, das ist unser Hausberg in Dornbirn. Ich freue mich jedes Mal darauf. Aber ich werde auch sehr glücklich sein, wenn ich in Wien wieder ins Theater gehen kann.

OLIVER POLZER (48) aus Wien lebt mit seiner Familie in Vorarlberg. Er arbeitet seit 1996 in der ORFSportre­daktion. Er kommentier­t unter anderem Fußball, Skifahren und Tennis. Seit 2019 moderiert er auch die Quizshow „Q1 – Ein Hinweis ist falsch“.

 ?? Foto: ORF/Zach-Kiesling ?? „Der Sport kann nichts dafür, dass Kunst nicht stattfinde­n darf.“Oliver Polzer will nicht vergleiche­n.
Foto: ORF/Zach-Kiesling „Der Sport kann nichts dafür, dass Kunst nicht stattfinde­n darf.“Oliver Polzer will nicht vergleiche­n.

Newspapers in German

Newspapers from Austria