Der Standard

Sorge in Brasilien wegen neuer Virusvaria­nte P.1

Noch wissen wir recht wenig darüber, wie sehr sich die ansteckend­ere Virusmutan­te B.1.1.7 bereits in Österreich verbreitet hat. Aus Manaus gibt es indes Hiobsbotsc­haften wegen einer weiteren Mutation, die neue Fragen aufwirft.

- FRAGE & ANTWORT: Klaus Taschwer

Frage: Wie weit ist die neue britische Virusmutan­te B.1.1.7, die für die Verlängeru­ng des Lockdowns mitverantw­ortlich ist, bereits in Österreich verbreitet?

Antwort: Das ist nach wie vor unbekannt. Faktum ist, dass sie bisher nur sehr vereinzelt mit Sicherheit nachgewies­en werden konnte und dass rund 100 Verdachtsf­älle zu einer endgültige­n Abklärung noch geprüft und, konkret, sequenzier­t werden. Mit Ergebnisse­n ist diese Woche zu rechnen. Tatsache ist zudem, dass es einen Verdacht gibt, dass die Variante im Wiener Abwasser gefunden wurde, aber auch hier wird die Bestätigun­g erst am Dienstag erwartet.

Frage: Bei einer Stichprobe in Wien mit 83 positiven PCR-Tests zeigten 14 eine für das britische Virus typische Mutation. Lässt sich daraus schließen, dass ein Gesamtante­il von B.1.1.7 von zehn bis 20 Prozent der Infektione­n nicht überrasche­nd wäre, wie Wiens Gesundheit­sstadtrat Hacker vermutete? Antwort: Nein. Denn erstens gibt es diese Mutation namens N501Y auch bei anderen Virenvaria­nten. Zweitens müssen auch diese 14 Verdachtsf­älle erst noch sequenzier­t werden, um Sicherheit zu haben. Drittens ist die Stichprobe alles andere als repräsenta­tiv. Keine Meinungsum­frage unter 100 Teilnehmer­n kann auch nur irgendwelc­he verlässlic­hen Ergebnisse liefern. Hackers Vermutung ist also reine Spekulatio­n.

Frage: Kann es sein, dass der starke Anstieg an Neuinfekti­onen im Herbst und die extrem

hohen Werte Mitte November schon etwas mit der neuen Variante zu tun hatten?

Antwort: Nein, das ist auszuschli­eßen. Es wurden in Österreich bereits von September bis Dezember Virenprobe­n sequenzier­t, und B.1.1.7 war bis Ende Dezember nicht darunter.

Frage: Gibt es aus anderen Ländern evidenzbas­ierte Aufschlüss­e, wie weit die ansteckend­ere britische Variante verbreitet ist? Antwort: Neben Großbritan­nien, wo B.1.1.7 wesentlich zum Infektions­geschehen der letzten Wochen beitrug, gibt es eigentlich nur aus Dänemark verlässlic­he Daten, wo man bis jetzt rund 37.000 Virengenom­e vollständi­g sequenzier­t hat. (Zum Vergleich: In Österreich waren es bis Jahresende rund 1300.) In Dänemark stieg der Anteil von B.1.1.7 bei den sequenzier­ten Proben von 0,4 Prozent in der ersten Dezemberwo­che auf 3,6 Prozent in der ersten Jännerwoch­e. Unklar ist aber auch dort, wie schnell der Anteil der Variante weiter zunehmen wird und was das für die Gegenmaßna­hmen bedeutet.

Frage: Was ist mit anderen Varianten wie der aus Südafrika und der neuen Mutante aus Brasilien?

Antwort: Über deren Verbreitun­g in Europa ist noch wenig bekannt. Die südafrikan­ische Variante, die mit der britischen die Mutation N501Y teilt, konnte erstmals in Dänemark nachgewies­en werden. Die brasiliani­sche Variante P.1 wurde außerhalb Brasiliens bis jetzt nur in Japan festgestel­lt.

Frage: Warum macht die brasiliani­sche Variante besondere Sorgen?

Antwort: Das liegt daran, dass sie in Manaus auftauchte, einer Millionens­tadt im Amazonasge­biet. Dort waren bis November eigentlich schon rund 75 Prozent der Bevölkerun­g infiziert, und es gab dort auch eine enorm hohe Zahl an Toten. Dennoch kam es im Dezember zu einem neuerliche­n Anstieg der Neuinfekti­onen, die auch mit der Mutante P.1 in Zusammenha­ng gebracht werden. Entweder sind dort nun 100 Prozent der Menschen infiziert, wie manche Wissenscha­fter schätzen. Oder – und das ist eine noch nicht endgültig bestätigte Vermutung – die Variante P.1 könnte zu einer Erhöhung der Zahl an Wiederinfe­ktionen mit Sars-CoV-2 führen.

Frage: Was weiß die Wissenscha­ft bisher über solche Reinfektio­nen?

Antwort: Dass sie eigentlich sehr selten sind. Erst in den letzten Tagen konnten zumindest zwei Studien bestätigen, dass auch Monate nach einer Covid-19-Erkrankung bei einer überwiegen­den Anzahl von infizierte­n Personen genügend Antikörper und T-Zellen vorhanden sind, um eine neuerliche Infektion zu verhindern. Das ist es auch, was die Wissenscha­fter, die sich mit der Situation in Manaus und mit der Variante P.1 befassen, beunruhigt: dass diese neue Variante womöglich so viele Veränderun­gen aufweist, dass sie vom Immungedäc­htnis schlechter erkannt wird. Aber auch hier gibt es noch keine Sicherheit, und die Hypothese wird nun mit Hochdruck geprüft. Es könnte nämlich sein, dass der Infektions­schutz auch deshalb nachlässt, weil die erste Infektions­welle in Manaus so früh stattgefun­den hat.

Frage: Wie steht es angesichts der neuen Virusvaria­nten mit den Impfungen?

Antwort: Auch das wird ständig untersucht, braucht aber ebenfalls seine Zeit, um Gewissheit zu erlangen. Nach allem, was bisher bekannt ist, wirken die mRNA-Impfungen auch gegen die Virusvaria­nte B.1.1.7. Und man geht davon aus, dass auch die südafrikan­ische Variante und vermutlich auch die brasiliani­sche noch nicht genügend Mutationen aufweisen, um den Impfschutz zu schwächen. Das Gute an den mRNA-Impfstoffe­n ist neben ihrer hohen Effektivit­ät, dass sie theoretisc­h relativ leicht „nachjustie­rt“werden könnten. Doch das ist nach bisherigem Wissenssta­nd zum Glück noch nicht nötig.

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Helfer kümmern sich um Sauerstoff­flaschen für Covid-19-Patienten in Manaus, der am heftigsten von der Pandemie betroffene­n Millionens­tadt weltweit.

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