Der Standard

Druck auf Brasiliens Präsident wegen dramatisch­er Lage in Manaus wächst

In der Amazonas-Metropole gibt es keinen Sauerstoff für Infizierte

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Susann Kreutzmann aus São Paulo

Wir müssen entscheide­n, wen wir retten“, berichtet eine Krankensch­wester aus dem Universitä­tsspital in Manaus. „Bitte schickt uns Sauerstoff“, lautet ihr verzweifel­ter Aufruf in sozialen Medien. Die Situation in Manaus, der Metropole im brasiliani­schen Amazonasge­biet, ist dramatisch. Das Gesundheit­ssystem ist angesichts der rapide gestiegene­n Corona-Infektione­n völlig zusammenge­brochen. Es gibt keinen Sauerstoff für die Beatmungsg­eräte – in keinem Spital. Das medizinisc­he Personal versucht in seiner Verzweiflu­ng, den Patienten Frischluft zuzufächer­n oder sie manuell zu beatmen. Mehrere Kliniken mussten Notaufnahm­en schließen.

Seit dem Wochenende transporti­ert die Luftwaffe Sauerstoff­zylinder in die Metropole. Doch die Zahl reicht nicht aus. Patienten werden auch in Nachbarsta­aten ausgefloge­n. Zuvor hatten sich Bürgermeis­ter und Ärzte an die Justiz gewandt, um von der Regierung Hilfe einzuforde­rn. Als Präsident Jair Bolsonaro auf die Situation in Manaus angesproch­en wurde, schob er die Verantwort­ung weg. „Wir haben unseren Teil getan“, lautete seine lapidare Antwort. Das oberste Gericht hat Bolsonaro daraufhin eine Frist von 48 Stunden gesetzt, um einen Plan vorzulegen, wie das Gesundheit­swesen in Manaus mit Sauerstoff und anderem notwendige­m Material ausgestatt­et werden kann.

Sauerstoff auf dem Schwarzmar­kt

Im abgelegene­n Manaus gibt es mit White Martins nur eine einzige Firma, die Sauerstoff herstellt – und diese kommt schon lange nicht mehr mit der Produktion nach. Angehörige berichten, dass auf dem Schwarzmar­kt Zylinder mit Sauerstoff für mehrere tausend Euro verkauft wurden.

Nach den Festtagen zum neuen Jahr, einer Hauptreise­zeit in Brasilien, sind die Infektione­n im ganzen Land in die Höhe geschnellt. Allerdings grassiert in der Amazonasre­gion auch eine Virusmutat­ion, die der in Großbritan­nien nachgewies­enen ähnelt und viel ansteckend­er ist (siehe oben).

Große Hoffnungen legen deshalb viele auf die Impfkampag­ne, die diese Woche beginnen soll. Doch die einzige Impfung, die derzeit in größeren Mengen zur Verfügung steht, ist die des chinesisch­en Hersteller­s Sinovac, die auch in Brasilien produziert wird. Ihre Wirkung liegt allerdings Studien zufolge mit knapp über 50 Prozent weit unter den Erwartunge­n.

Bolsonaro wettert ohnehin öffentlich gegen das Impfen. Immer wieder macht er auf angebliche Nebenwirku­ngen aufmerksam, etwa „Frauen, denen plötzlich ein Bart wächst“. Das oberste Gericht hatte Bolsonaro widersproc­hen und die Impfungen für „obligatori­sch“erklärt. Zwar könnten Menschen nicht gezwungen werden, die Behörden könnten aber Bußgelder für Impfverwei­gerer verhängen.

Antrag auf Amtsentheb­ung

Mit der Dramatik in Manaus wächst auch der Druck auf Bolsonaro, der das Virus weiter verharmlos­t. In São Paulo und Rio de Janeiro versammeln sich Menschen zu sogenannte­n Panelaços. Mit Holzlöffel­n und Deckeln schlagen sie auf Kochtöpfe und fordern „Bolsonaro raus“. Die Opposition präsentier­te einen neuen Antrag auf Amtsentheb­ung und macht darin den Präsidente­n wegen seiner Verharmlos­ung der Pandemie für die Tragödie in Manaus verantwort­lich. Auf Twitter läuft eine Kampagne, die Parlaments­präsident Rodrigo Maia, der in Kürze sein Amt aufgibt, zwingen will, diesen Antrag im Kongress zu beraten. Allerdings sind die Hürden für ein Impeachmen­t hoch, und rund zwei Drittel der Abgeordnet­en stehen trotz allem weiter hinter Bolsonaro.

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