Entscheidende erste Tage für Bidens Atompolitik
Der nächste US-Präsident muss zu Beginn seiner Amtszeit das New-Start-Abkommen mit Russland retten
ANALYSE: Fabian Sommavilla
US-Präsidenten werden gerne an ihren ersten 100 Tagen gemessen. Dann findet gemeinhin ein erstes Resümee der neuen Amtszeit statt. Joe Biden wird gerade einmal 16 Tage Zeit bekommen, um eines der wichtigsten Projekte seiner Amtszeit auf den Weg zu bringen – eine einstweilige Verlängerung des letzten verbleibenden Rüstungskontrollabkommens namens New Start zwischen den atomaren Supermächten USA und Russland.
Der Vertrag limitiert die Anzahl der abschussbereiten Trägersysteme und Bomber strategischer Atomwaffen auf 800 und die Zahl der gefechtsbereiten Sprengköpfe auf 1550. Am 5. Februar droht er auszulaufen und in einer Rüstungsspirale zu enden.
Zukunft ungewiss
Seine Verlängerung ist jedoch einfach. Sowohl Biden als auch Russlands Präsident Wladimir Putin haben bereits angekündigt, das rasch tun zu wollen. Wirklich schwierig wird es allerdings danach: New Start sollte vor zehn Jahren lediglich der Anfang sein, ambitioniertere und umfassendere Abkommen hätten eigentlich folgen und die Zahl der Atomwaffen in beiden Staaten drücken sollen.
Doch es kam anders. Das Pendel schlage mittlerweile klar in die gefährliche Richtung aus, konstatieren Militäranalysten fast unisono. Militärbudgets erreichen neue Rekordhöhen, die Modernisierung der Atomwaffenarsenale schreitet unaufhaltsam voran, und Jahr um Jahr werden neue Systeme vorgestellt.
Die Regierung Donald Trumps weigerte sich drei Jahre lang, ernsthafte Gespräche mit Moskau über den Fortbestand oder eine Ausweitung von New Start zu führen. Ohne den neuen Lieblingsantagonisten aus Fernost, China, wollte Trump keinen Deal. Peking versuchte man daraufhin zu einem multilateralen Abkommen zu zwingen. Wer mit Russland einen Vertrag verlängere, ohne China ins Boot zu holen, dem fehle es an profunden Verhandlungsskills, hieß es aus Trumps Team. Wer das Ungleichgewicht zwischen dem chinesischen und dem russischen oder amerikanischen Nuklearwaffenarsenal ignoriert, dem fehle es an Verhandlungsbasics, könnte man entgegnen. Zum
Vergleich: Die USA haben fast 6000 nukleare Sprengköpfe, China 300, Tendenz steigend. „Will man China an den Verhandlungstisch bringen, muss man ihm etwas anbieten“, sagt der Atomwaffenexperte Hans Kristensen. Bislang geschah das nicht.
Verlorene Jahre
Trumps Amtszeit waren vier verlorene Jahre für die Rüstungskontrolle, sein Nachfolger Biden steht neben außenpolitischen Mammutprojekten wie der Rettung des IranDeals nun also auch noch vor der schwierigen Aufgabe, die internationale Rüstungskontrolle zu retten und dann ehestmöglich durch ein neues Vertragswerk zu ersetzen.
Weil das dauern kann, wären Moskau und Washington gut beraten, den Vertrag vorerst um die vollen fünf Jahre und nicht weniger zu verlängern – auch wenn die USA zuletzt andere Signale aussendeten.
Es wird also auch auf die persönliche Gesprächsbasis zwischen den beiden Staatschefs Putin und Biden ankommen. Mittelfristig eint die beiden Länder zumindest ein Ziel: weniger Atomwaffen auf der Erde. Die nächsten Tage könnten einen Grundstein dafür legen.