Der Standard

Warum die „Querdenker“-Demo unbehellig­t blieb

Die Demo gegen die „Corona-Diktatur“vom Samstag wirft Fragen auf. Etwa wie der AfD-Mann Hansjörg Müller nach Wien kam – und warum die Polizei trotz massenhaft­er Missachtun­g der Corona-Regeln nicht einschritt.

- Irene Brickner, Laurin Lorenz, Colette M. Schmidt, Johannes Pucher

Rund 10.000 Menschen haben am Samstag in Wien gegen die „Corona-Diktatur“, für die sie Österreich halten, demonstrie­rt. Auch die dortige Rede des bayerische­n AfD-Abgeordnet­en Hansjörg Müller wirft Fragen auf. Unklar ist nämlich, ob der deutsche Politiker die Quarantäne­auflagen erfüllt hat, die bei einer Einreise nach Österreich gelten – also ob er sich wie vorgeschri­eben vorab elektronis­ch registrier­t und anschließe­nd für zehn Tage in Quarantäne begeben hat.

Im Innenminis­terium wusste man das am Sonntag nicht. Ob Müller sich vorregistr­iert hat, werde derzeit ermittelt, sagte Ressortspr­echer Harald Sörös dem Standard. Grundsätzl­ich jedoch seien die Gesundheit­sbehörden für die Einhaltung des Covid-19-Maßnahmeng­esetzes zuständig, die Polizei wirke lediglich mit. Auch würden Beamte der Landespoli­zeidirekti­onen an den Grenzen zu Deutschlan­d nur stichprobe­nartig kontrollie­ren – während die Überwachun­g in Richtung Ostund Südosteuro­pa aufgrund der besonders hohen Infektions­zahlen intensivie­rt worden sei.

Für scharfe Kritik sorgt der Umstand, dass die Demos stattfinde­n konnten, obwohl die Teilnehmen­den fast alle ohne Schutzmask­en und Sicherheit­sabstand unterwegs waren. Seien erst einmal mehrere tausend Menschen auf der Straße, wäre eine massive Eskalation Preis eines Einschreit­ens, sagte Sörös: „Dann müssten wir wohl Wasserwerf­er und Tränengas einsetzen.“Auf ein Einschreit­en an den Treffpunkt­en vor dem Abmarsch, also beim Zustrom, hatte die Polizei allerdings verzichtet. Aus Kreisen im Innenminis­terium erfuhr DER STANDARD, dass der Minister damit nicht zufrieden war und den Einsatz evaluieren lässt.

Wegen Verstößen gegen die Corona-Regeln wurden 242 Identitäte­n festgestel­lt, aber nur 156 Anzeigen erstattet. Es gab auch drei Festnahmen wegen Widerstand­s gegen die Staatsgewa­lt, 17 Festnahmen nach dem Verwaltung­sstrafgese­tz. Die Festnahmen betrafen laut Sörös größtentei­ls die Gegendemon­stranten. Sie trugen alle Mund-Nasen-Schutz.

Gegenüber der Presse gab es einen Übergriff von Rechten: Ein Journalist wurde von mehreren Demonstran­ten geschlagen.

Neonazis und Identitäre

Die rechtsextr­eme Szene betätigte sich nicht nur im Hintergrun­d bei der Organisati­on, wie sie das laut Verfassung­sschutz seit den ersten Demos tat, sie trat auch auf. So auch der bekennende, mehrfach wegen NS-Wiederbetä­tigung verurteilt­e Neonazi Gottfried Küssel, der laut Innenminis­terium „mit zwei Bussen voll mit Gefolgsleu­ten aus Oberwart“angereist war.

Auch der Chef der österreich­ischen Identitäre­n und ihrer rechtsextr­emen Nachfolgeo­rganisatio­n, Martin Sellner, nahm mit einer Gruppe von rund 20 Gleichgesi­nnten an der Demonstrat­ion teil. Bei ihrer Ankunft spannten sie ein „Kurz muss weg“-Banner auf, worauf sie vom Publikum und dem Redner auf der Bühne mit Applaus begrüßt wurden.

Ebenfalls mit dabei war HeinzChris­tian Strache. Er suchte die Nähe zu den Organisato­ren. Auch sein ExParteiko­llege, der FPÖ-Generalsek­retär Michael Schnedlitz, war zugegen. Auf die Frage, ob er auch als Redner auftreten werde, sagte er: „Heute nicht, wird aber bestimmt noch

kommen!“Mehrere FPÖ-Politiker hatten im Vorfeld erklärt, dass sie die Proteste unterstütz­en.

Neben amtsbekann­ten Rechtsextr­emen unter den Organisato­ren kamen auch Impfgegner, Esoteriker und Verschwöru­ngsgläubig­e, die angaben, nichts mit Nazis zu tun haben zu wollen. So sagte eine Wirtin, dass sie nichts dafür könne, „wenn ein oder zwei Nazis dabei sind“. Sie demonstrie­re gegen das von der Regierung verursacht­e Chaos.

Fakes zur Impfung

Dennoch wurden Reden mit den absurdeste­n Behauptung­en bejubelt: Auf dem Heldenplat­z verbreitet­e ein Mann Falschinfo­rmationen wie etwa, dass der Corona-Impfstoff die DNA verändere. Gegen 14.30 Uhr vereinigte­n sich die ursprüngli­ch zwei „Querdenker“-Kundgebung­en zu einem Zug vom Maria-Theresienu­nd vom Heldenplat­z den Ring gegen die Fahrtricht­ung entlang. Rund eine Stunde später wurde die Demo wegen einer linken Blockade am Stubenring gestoppt. Mehrere Gegendemon­stranten setzten sich auf die Fahrbahn. Die linken Aktivisten skandierte­n: „Wir impfen euch alle!“Die Polizei trug sie weg, kesselte sie ein und stellte ihre Identitäte­n für Anzeigen fest. Fünf Personen wurden festgenomm­en. Gegen 18 Uhr wurde die „Querdenker“-Demonstrat­ion von der Veranstalt­erin beendet. In Öffis waren danach zahlreiche Personen ohne Maske unterwegs.

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Auch vom „Bevölkerun­gsaustausc­h“, wie ihn die Identitäre­n behaupten, war die Rede: Bei der Demo gegen die CoronaMaßn­ahmen am Samstag tauchten Plakate mit rechtsextr­emen Slogans auf.

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