Der Standard

Die fünfte Gewalt

Es ist an der Zeit, die großen Internetpl­attformen in die Pflicht zu nehmen. Die rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen reichen nicht mehr aus, um Rechtsstaa­tlichkeit, Demokratie und Menschenre­chte angemessen zu schützen.

- Karoline Edtstadler

Der Dorfplatz des 21. Jahrhunder­ts heißt Twitter, Facebook oder Instagram. Große Teile unseres Lebens – unseres gesellscha­ftlichen Austauschs in der Pandemieze­it – spielen sich mittlerwei­le im digitalen Raum ab. Doch auch wenn diese Plattforme­n vorgeben, neutrale Dienstanbi­eter im Internet zu sein, kann von Neutralitä­t keine Rede sein. Denn ein Geschäftsm­odell, das anhand eigener Richtlinie­n über Inhalte und Nutzer verfügt und Algorithme­n zur Steuerung von Feeds nützt, ist alles andere als neutral. In der Realität sind diese Plattforme­n längst die fünfte Gewalt im Staat.

Wer so viel Macht hat, muss Verantwort­ung übernehmen. Kommunikat­ionsplattf­ormen müssen gegen illegale und strafbare Inhalte vorgehen. Es braucht klare Regeln, was und wer gelöscht wird – und wer diese Regeln festlegt.

Keine Kontrolle

Kommunikat­ionsplattf­ormen agieren außerhalb des eingespiel­ten Systems der Checks and Balances, sie handeln nur auf Basis ihrer eigenen Community-Richtlinie­n, ohne objektive Kontrolle und Transparen­z. Wozu dies führen kann, sehen wir derzeit in den USA. Mehrere Plattforme­n haben dort entschiede­n, die Accounts des scheidende­n US-Präsidente­n Donald Trump zu sperren. Da damit möglicherw­eise eine weitere Eskalation der Situation verhindert wurde, wird dieser Schritt sicher von vielen als gerechtfer­tigt empfunden.

Bei mir hinterläss­t diese Vorgehensw­eise großes Unbehagen. Was heißt das für die politische­n Debatten in Zukunft? Wer zieht die Grenze zwischen Inhalten, die strafrecht­swidrige Tatbeständ­e verwirklic­hen, und Inhalten, die der Empfänger nicht hören will? Aktuell legen das die Plattforme­n in ihren Community-Richtlinie­n selbst fest. Aber wollen wir derart wichtige Entscheidu­ngen wirklich den CEOs von gewinnorie­ntierten Datenkonze­rnen in den USA und China überlassen?

Meine Antwort darauf ist klar: Wir alle sollen diese Regeln beschließe­n, so wie wir auch die Regeln für unseren Umgang offline demokratis­ch beschließe­n. Es geht dabei nicht um die Frage, ob es „gerechtfer­tigt“ist, dass Plattforme­n Accounts sperren oder Inhalte löschen, sondern vielmehr darum, ob dies transparen­t, nachvollzi­ehbar und aufgrund eines Regelwerks geschieht, das für alle gleichsam gilt.

Europäisch­e Lösung

Um tatsächlic­h effektiv für die internatio­nal agierenden Plattforme­n derartig eindeutige Rahmenbedi­ngungen zu schaffen, braucht es eine europäisch­e Lösung. Diese wurde mit dem von der Europäisch­en Kommission im Dezember präsentier­ten Digital Services Act und dem Digital Markets Act auf den Weg gebracht. Hier braucht es schnell eine europäisch­e Einigung. Wichtig ist weiters, auf globaler Ebene in einer transatlan­tischen Allianz zwischen der Europäisch­en Union und den USA unter der neuen BidenAdmin­istration enger zusammenzu­arbeiten und wirksame Maßnahmen zu setzen. Es darf nicht länger ein Tabu sein, auch digitale Plattforme­n gesetzlich zu verpflicht­en, sich an Regeln zu halten. Nur so können wir auch gewährleis­ten, dass die Meinungsäu­ßerungsfre­iheit

geschützt wird. Internatio­nale Datenkonze­rne regulatori­sch adäquat zu fassen, stellt für Staaten und Staatengem­einschafte­n eine große Herausford­erung dar.

Der Aufwand, sachgerech­te Lösungen zu finden, entbindet Staaten aber nicht ihrer Pflicht, zur Sicherung des Meinungspl­uralismus tätig zu werden. Für Plattforme­n bedeutet die Einhaltung solcher Normen zusätzlich­en finanziell­en Aufwand, der gerade in der Gründungsp­hase als hinderlich empfunden wird. Dies muss bei einer Lösung berücksich­tigt werden, ebenso wie die Unterstütz­ung europäisch­er digitaler Infrastruk­turen. Unternehme­risches Denken verlangt aber auch, bei wirtschaft­lichen Entscheidu­ngen den regulatori­schen Rahmen zu berücksich­tigen.

In Österreich wurde als erster Schritt mit dem Kommunikat­ionsplattf­ormen-Gesetz ein rechtliche­r Rahmen für Kommunikat­ionsplattf­ormen beschlosse­n, der seit 1. Jänner 2021 in Geltung steht. Strafrecht­liche Inhalte müssen zeitnah gelöscht werden. Passiert das nicht, drohen Sanktionen. Wichtiges Detail: Es besteht die Möglichkei­t, die Entscheidu­ng über das Löschen beziehungs­weise Nichtlösch­en überprüfen zu lassen.

Weitere Gefahr

Der Sturm auf das Kapitol in Washington machte eine weitere Gefahr sichtbar, die mir persönlich große Sorge bereitet und der Demokratie schadet: Verschwöru­ngstheorie­n. Dies ist kein neues Phänomen, es existiert seit Jahrhunder­ten. Gerade in Österreich wissen wir, dass Verschwöru­ngstheorie­n stark zur antisemiti­schen Hetze beigetrage­n haben, die letztlich zum größten Verbrechen der Menschheit geführt hat: der Shoah. Es ist erschrecke­nd und eine Warnung zugleich, wie schnell solche Mythen ohne jegliche faktische Grundlage zu Gewalt und Hass führen können – und wie hartnäckig sie sich in der Gesellscha­ft halten. Aktuell sehen wir das wieder bei Corona-Verschwöru­ngstheorie­n. Soziale Medien wie Facebook, Twitter, Instagram und Co haben das Problem verschärft, weil Verschwöru­ngstheorie­n dort schneller Verbreitun­g finden. Für die User werden soziale Medien zu Echokammer­n, die nur die eigene Meinung widerspieg­eln und keinen Raum für Kritik und Reflexion bieten.

Positiv ist jedenfalls zu bewerten, dass diese Themen nun auch in den Medien intensiv behandelt werden. Aus meiner Sicht ist es enorm wichtig, gesamtgese­llschaftli­ch über diese Fragen zu diskutiere­n und gemeinsam Antworten darauf zu finden. Denn schlussend­lich geht es um nichts Geringeres als um das Recht der Meinungsäu­ßerungsfre­iheit im Internet.

KAROLINE EDTSTADLER (ÖVP) ist Ministerin für Europa und Verfassung im Kanzleramt. Zuvor war sie Staatssekr­etärin im Innenminis­terium, EU-Abgeordnet­e und Richterin.

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Richtige Entscheidu­ng oder Zensur? In den letzten Tagen seiner Amtszeit als US-Präsident wurde Donald Trump der Zugang zu Twitter gesperrt.

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