Der Standard

Nicht verhältnis­mäßig

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MColette M. Schmidt

ehrere Demonstrat­ionen wurden für Samstag in Wien angemeldet, deren Organisato­ren im Vorfeld offen ankündigte­n, dass sie das Gesetz brechen würden – das Covid-19-Maßnahmeng­esetz. Die Polizei schritt dann bei den Gesetzesbr­üchen kaum ein, auch nicht zu Beginn, als das leichter möglich war. Über 10.000 Menschen zogen ohne Abstand und Masken durch die Wiener Innenstadt. Mittendrin ein Block mit Leitfigure­n der österreich­ischen Neonazisze­ne. Die Polizei eskortiert­e sie, Stunden nachdem Experten der Bevölkerun­g erklärt hatten, wie ernst die Lage sei und dass der Lockdown verlängert werden müsse. Viele fragten zu Recht: Warum dürfen diese Menschen das? Wer übernimmt für die Neuinfekti­onen, zu denen es beim Massenmars­ch kommt, die Verantwort­ung? Wie soll noch jemand die Gesetze ernst nehmen?

Die vor knapp zwei Wochen von Innenminis­ter Karl Nehammer präsentier­te Richtlinie, die das Untersagen und Auflösen von Kundgebung­en der Corona-Leugner erleichter­n sollte, griff nicht. Dass Organisato­ren im Vorfeld öffentlich dazu aufriefen, Masken zu verweigern und die Regierung zu stürzen, wurde ausgeblend­et. Entscheide­nd für die Genehmigun­g war, so erklärte die Polizei dem STANDARD, welche Einzelpers­on eine Demo angemeldet hatte. Ist diese unbekannt, kann die ganze Gruppe dahinter im Vorfeld machen, was sie will. Eine clevere Umgehung der Richtlinie des Ministers.

Jene, die während der Kundgebung über Lautsprech­er dazu auffordert­en, keine Masken zu tragen, blieben von der Polizei unbehellig­t. Es war aber nicht so, dass hunderte Polizisten am Samstag untätig gewesen wären: Als Teile einer angemeldet­en linken Gegendemo – mit Masken – den Demozug der Maskenlose­n durch unangemeld­ete Blockaden stoppen wollten, schritt die Polizei zügig ein und kesselte sie bei Minusgrade­n zwei Stunden lang ein. Die Erklärung der Polizei: Es galt der Schutz des verfassung­smäßigen Rechts auf Demos der „Querdenker“– und die Verhältnis­mäßigkeit.

Bei der Gegendemo gab es Festnahmen. Anzeigen nach dem Covid-19-Maßnahmeng­esetz gab es nur 156 – bei zigtausend Maskenlose­n. Verhältnis­mäßig war das nicht. Im Umfeld des Innenminis­ters brodelt es jetzt. Der Polizeiein­satz wird evaluiert. Beunruhige­nd ist, dass der Polizeiapp­arat hier offen gezeigt hat, dass er Vorgaben des Ministeriu­ms und des Gesetzgebe­rs nicht umsetzen kann oder will.

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