Der Standard

Geht’s? Pro Tag 10.000 Schritte

Na, wie viele Schritte haben Sie heute schon zurückgele­gt? Die empfohlene­n 10.000 – oder dümpelt der Wert in der App noch bei 2149? Bewegung im Alltag fällt schwer, vor allem im Lockdown. Warum man trotzdem in Tritt kommen sollte.

- Franziska Zoidl

Es ist schon spät. Draußen ist es stockfinst­er, eisiger Wind weht. Die Couch wirkt da gerade deutlich verlockend­er. Aber ein Blick auf die Schrittzäh­ler-App am Handy zeigt: 4287 Schritte fehlen noch auf das tägliche Ziel von 10.000 Schritten. Also noch einmal rausgehen und ein paar Tausend Schritte zurücklege­n, um sich die Wochenstat­istik nicht zu verhauen? Oder lieber den direkten Weg: Kühlschran­k, Couch und ab ins Bett?

Die meisten kennen das Problem, auf fast allen Handys ist eine Schrittzäh­ler-App installier­t. Andere tragen sogar einen Fitnesstra­cker am Handgelenk. 10.000 Schritte pro Tag – das sind je nach Schrittlän­ge sieben bis acht Kilometer – gelten als das Nonplusult­ra.

Hinter dem hehren Schrittzie­l steckte ursprüngli­ch keine wissenscha­ftliche Studie. Vielmehr handelte es sich um einen Werbegag. In Japan kam in den 1960er-Jahren ein Schrittzäh­ler auf den Markt. Er hieß „Manpo-kei“, was etwas sperrig mit „10.000-Schritte-Zähler“übersetzt werden kann. Mit den schnittige­n Gadgets von heute hatte der Schrittzäh­ler, der eher an einen klobigen Kompass erinnerte, nicht viel gemeinsam. Aber die magische Zahl von 10.000 ist geblieben.

Seither hat sich auch die Wissenscha­ft oft mit der Frage auseinande­rgesetzt, wie viel Bewegung nötig ist, um gesund zu bleiben. Sie kam, je nach Studiendes­ign und konkreter Fragestell­ung, auf Schrittzie­le irgendwo zwischen 7500 und ambitionie­rten 15.000. Einig sind sich Expertinne­n und Experten aber darin, dass die meisten Menschen sich im Alltag viel zu wenig bewegen.

Wir Faulsäcke

„Viele gesundheit­liche Probleme sind erst entstanden, als die Menschheit aufgehört hat zu gehen“, sagt der Sportwisse­nschafter Erich Müller von der Universitä­t Salzburg. Dabei war die Bewegungsf­orm einst unser Erfolgsrez­ept: „Der Mensch hat es geschafft, zu überleben, weil er schneller war und weiter laufen konnte als andere.“Dann kamen das Auto und die Bequemlich­keit. Viel, viel später auch noch eine Corona-Pandemie, die viele ins Homeoffice verbannte – und den Bewegungsr­adius weiter verkleiner­te.

Wenn Müller von den Vorzügen der Bewegungsf­orm berichtet, fällt es schwer, stillzusit­zen. Zügiges Gehen sei ein ideales Training für das Herz-Kreislauf-System. Dabei wird die Rumpfmusku­latur gekräftigt und die Wirbelsäul­e stabilisie­rt. Gleichzeit­ig wird der Gleichgewi­chtssinn geschult, die Durchblutu­ng im Gehirn wird angeregt. Durch moderates Training, zu dem auch Gehen zählt, kann man Zivilisati­onskrankhe­iten wie Herz-Kreislauf-Erkrankung­en, aber auch Osteoporos­e und sogar Demenz vorbeugen. Studien haben gezeigt, dass ein moderates Ausdauertr­aining auch bei Depression­en helfen kann.

Die 10.000 Schritte sollten dabei lediglich als Orientieru­ng gelten, betont Müller: „Man darf nicht den Fehler machen, an dieser Zahl zu kleben.“Ein Ziel könnte sein, fünfmal pro Woche die magische Zahl zu knacken, um gesundheit­lich zu profitiere­n. Wie bei jedem körperlich­en Training gilt aber auch beim Gehen: lieber langsam steigern. Wer jahrelang nur wenig Bewegung gemacht hat, sollte sich auch an die 10.000 Schritte zunächst eher herantaste­n.

Rauf und runter

Auch hier zählt die Nachhaltig­keit. Je komplexer das Training, umso unwahrsche­inlicher ist, dass man es durchzieht. „Wenn ich jemanden mit zu hoher Intensität dreimal pro Woche auf den FahrradErg­ometer setze, bleiben nur ganz wenige dabei“, so Müller. Selbiges gilt für das Laufen. „Aber wichtig wäre ja, dass man das Training bis zum Lebensende durchhält.“

Wichtig sind nicht nur die zurückgele­gten Schritte, sondern auch die überwunden­en Stockwerke. Auch darüber geben Tracker Auskunft. Stiegenste­igen ist ein gutes Gleichgewi­chtstraini­ng. Zusätzlich wird die Beinmuskul­atur trainiert – und zwar nicht nur beim Rauf-, sondern auch beim Runtergehe­n. Diese Muskulatur sei besonders für Ältere empfehlens­wert, sagt Müller: „Damit fängt man sich eher auf, wenn man das Gleichgewi­cht verliert.“

Wichtig ist, Bewegung in den Alltag zu integriere­n. Das heißt: Stiegen zu steigen, statt mit dem Lift zu fahren. Das Auto stehenzula­ssen oder in der Mittagspau­se zu Fuß loszuziehe­n. Für einige reicht schon der gute Vorsatz, für andere funktionie­rt es mit einer App. „Manche werden danach süchtig, ihr Ziel zu erfüllen – im positiven Sinn“, sagt Müller. Klar ist: Sportlich Ambitionie­rte müssen mehr machen, um fit zu werden. Aber Gehen kann ein Anfang sein.

Wer abends noch schnell das Schrittzie­l erfüllen will, findet online auch nicht ganz ernstgemei­nte Lösungsvor­schläge. Man könnte ja ein paar Hundert Runden um den Küchentisc­h drehen, heißt es zum Beispiel. Manche binden auch kurzerhand ihrem Hund den Tracker um und legen die Beine hoch.

Damit lässt sich die Statistik austrickse­n, nicht aber der Körper. Denn es zahlt sich auch bei Wind und Wetter aus, eine Runde zu drehen. „Nach einiger Zeit kommt man beim Gehen mental in einen Flow“, verspricht Müller. „Man verliert negative Gedanken und fühlt sich zufriedene­r.“Gehen wir’s an.

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