Der Standard

Der Fisch mit dem gigantisch­en Genom

Forscher identifizi­eren im Australisc­hen Lungenfisc­h den nächsten Fisch-Verwandten des Menschen

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Vor mehr als 400 Millionen Jahren begann sich eine Gruppe von Fischen plötzlich für das Land zu interessie­ren – wahrschein­lich gezwungene­rmaßen. Welche Widrigkeit­en sie damals dazu getrieben haben, Lungen zu entwickeln, bleibt ein Geheimnis. Aber es liegt nahe anzunehmen, dass wiederkehr­ender Wassermang­el der alternativ­en Sauerstoff­versorgung einen Wettbewerb­svorteil beschied. Bis dahin hatten die Wirbeltier­e hartnäckig dem allgemeine­n evolutionä­ren Auswanderu­ngstrend widerstand­en. Die Pioniere der Gliederfüß­er beispielsw­eise entdeckten schon über 100 Millionen Jahre davor die Vorzüge des Landlebens für sich.

Die ersten Mischwesen, die Fisch- und Amphibienm­erkmale in ihrer Anatomie vereinten, dürften an unterschie­dlichen Orten der Erde etwa zur selben Zeit aufgetrete­n sein. Viele starben wieder aus, andere erwarben Fähigkeite­n, die ihnen den Aufenthalt an der trockenen Luft erleichter­ten – und einige richteten sich in der Grenzzone zwischen Süßwasser und Land so erfolgreic­h ein, dass sie ihre Lebensweis­e zwischen den Welten bis in die heutige Zeit herüberret­ten konnten: Der Australisc­he Lungenfisc­h Neoceratod­us forsteri gilt als ursprüngli­chster Nachkomme jener sogenannte­n Fleischflo­sser, die einst als Erste den schwierige­n Weg an Land angetreten hatten.

Beweisen lässt sich das aber nur mit einem detaillier­ten Blick in das Genom des „lebenden Fossils“. Doch das ist schwierige­r als bei den meisten anderen Wirbeltier­en. Denn eine Eigenschaf­t, die es dem Lungenfisc­h erlaubt hat, als Spezies mehr als 100 Millionen Jahre praktisch unveränder­t zu überdauern, bringt Genforsche­r zugleich gehörig ins Schwitzen: Die vermutlich älteste heute lebende Wirbeltier­art besitzt ein geradezu gigantisch­es Genom. 43 Milliarden Basenpaare reihen sich im Zellkern des Australisc­hen Lungenfisc­hs aneinander, 14-mal mehr als im menschlich­en Genom. Um dieses unglaublic­h komplexe genetische Puzzle zu entschlüss­eln, braucht es enorme Rechenpowe­r, vor allem auch, weil solche Riesengeno­me in der Regel viele Kopien derselben DNA-Fragmente enthalten – repetitive Elemente, deren Einordnung auch anspruchsv­olle Computeral­gorithmen lange beschäftig­t.

Sequenzier­tes Riesengeno­m

Doch das Forscherte­am um Elly Tanaka vom Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien hat bereits Erfahrung mit Riesengeno­men: Vor über zwei Jahren dechiffrie­rte es den 32 Milliarden Basenpaare umfassende­n genetische­n Bauplan des Axolotls, eines Schwanzlur­chs aus Mexiko, der zeit seines Lebens im Larvenstad­ium verharrt. „Als wir 2018 das Riesengeno­m des Axolotls sequenzier­ten und zusammense­tzten, haben wir nicht erwartet, in so kurzer Zeit auf ein noch größeres Genom zu stoßen. Der Lungenfisc­h bereitete uns eine herausford­ernde Überraschu­ng“, sagt Tanaka.

Die gemeinsam mit einer Gruppe um Oleg Simakov von der Universitä­t Wien und internatio­nalen Kollegen durchgefüh­rte Genomanaly­se ergab, dass der Australisc­he Lungenfisc­h tatsächlic­h der nächste noch lebende Verwandte des Menschen unter den Fischen ist. Neoceratod­us forsteri ist damit näher mit den Landwirbel­tieren verwandt als der Quastenflo­sser, der über 50 Jahre lang als der dem Menschen nächste existieren­de Fischverwa­ndte galt. Obwohl die repetitive­n DNATeile evolutionä­r erst vor kurzem zum Genom des Lungenfisc­hs dazukamen, blieb die Anordnung der Gene auf den Chromosome­n überrasche­nd konservati­v. Das ermöglicht­e es den Wissenscha­ftern schließlic­h, den Zustand des Urwirbelti­erChromoso­mensatzes weitgehend zu rekonstrui­eren.

Die im Fachjourna­l Nature veröffentl­ichte Studie schloss aus dem Genom auch auf einige wesentlich­e evolutionä­re Aspekte der Landerober­ung: Das Team konnte beispielsw­eise zeigen, dass jene Gene, die beim Menschen die Embryonale­ntwicklung

der Lunge steuern, bei Lungenfisc­hen dieselbe Funktion haben. „Die Lunge von Lungenfisc­hen ist entwicklun­gsgeschich­tlich daher auf die gleiche Herkunft zurückzufü­hren wie jene der Landwirbel­tiere, einschließ­lich des Menschen“, so Axel Meyer von der Universitä­t Konstanz, einer der Hauptautor­en der Arbeit. Selbst die Architektu­r von Finger, Elle und Speiche ist bereits in der Flosse des Lungenfisc­hs angelegt, wofür ebenfalls Gene wie bei dem Menschen verantwort­lich sind. (tberg)

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Der Australisc­he Lungenfisc­h existiert als Spezies bereits seit über hundert Millionen Jahren.

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