Der Standard

Produktion­sengpass bei Impfstoff trifft auch Österreich

Laut Regierung 20 Prozent weniger Dosen Pfizer will Lieferung im Februar nachholen

- Irene Brickner, Thomas Mayer, Steffen Arora, Jan Michael Marchart, Walter Müller, Gabriele Scherndl

Wien/Brüssel – Der Lieferengp­ass des Impfstoffh­erstellers Pfizer trifft auch Österreich. Kurzzeitig werden ein Fünftel weniger Dosen für Corona-Schutzimpf­ungen zur Verfügung stehen als geplant. Die Lieferung werde zwar im Februar nachgeholt, sagte Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) am Montag, dennoch sei das „nicht wünschensw­ert“, man müsse nun die „Strategie adaptieren“.

In den Bundesländ­ern zeigte man sich von der Neuigkeit überrascht – auch wenn schon am Wochenende eine Nachricht vom Sonderbeau­ftragten des Gesundheit­sministeri­ums an die Länder gegangen war, die den Engpass thematisie­rt hatte. Einige Bundesländ­er werden nun weniger Erstimpfun­gen vergeben, damit sichergest­ellt ist, dass jene, die bereits geimpft wurden, ihre zweite Impfung bekommen. Die Steiermark rechnet mit einer Verzögerun­g des nächsten Impfdurchg­angs um etwa eine Woche.

Auch wegen dieser Unsicherhe­iten pocht Kurz nun auf eine rasche Zulassung des Impfstoffs von Astra Zeneca. Sollte das nicht gelingen, „würde mir irgendwann der Geduldsfad­en reißen“, sagte der Kanzler im Gespräch mit Puls 4. Im ersten Quartal sollte Österreich zwei Millionen Dosen erhalten. Im Interview räumt Kurz außerdem ein, dass andere Staaten mit ihren Bestellung­en rückblicke­nd gesehen schneller gewesen seien als Österreich, das sich der gemeinsame­n EU-Impfstoffs­trategie angeschlos­sen hatte. Das sei aber nicht vorhersehb­ar gewesen.

Astra Zeneca liefert Daten

Eben diese Zulassung wackelt nun jedoch. Grund dafür ist, wie DER STANDARD erfuhr, eine unklare Datenlage darüber, wie gut der Impfstoff bei älteren Personen wirkt. Diese soll für manche Experten der Zulassungs­behörde EMA nicht ausreichen­d sein. Laut einem Experten, der in die Umsetzung der europäisch­en Impfstrate­gie involviert ist, gibt es diesbezügl­ich „großes Kopfzerbre­chen überall“.

Astra Zeneca selbst betonte, dass der Impfstoff in allen Altersgrup­pen wirksam sei, und kündigte an, weitere Daten zu liefern. Sollte es zu einer Teilzulass­ung, etwa nur für Personen unter 55 Jahren, kommen, wäre das imagetechn­isch wohl ein Problem für die österreich­ische Regierung: Immerhin ist der Impfstoff von Astra Zeneca jener, mit dem die breite Bevölkerun­g durchgeimp­ft werden sollte. (red)

Jede Woche zählt, betonte Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) nach einer Videokonfe­renz mit den sogenannte­n „First Mover“-Ländern am Montag. Darum könne es mit der Zulassung des Impfstoffs der Firma Astra Zeneca nicht schnell genug gehen. Gemeinsam mit Dänemark und Griechenla­nd wolle Kurz also in der EU darauf drängen, dass die Europäisch­e Arzneimitt­elbehörde (EMA) den Impfstoff rasch und unbürokrat­isch zulässt.

Doch im Hintergrun­d macht sich Sorge breit, wenn es um die Verfügbark­eit der Covid-Impfstoffe geht. Wie DER STANDARD erfuhr, ist derzeit fraglich, ob der ersehnte Impfstoff von Astra Zeneca tatsächlic­h die volle Zulassung bekommen kann.

Lieferengp­ässe bei Pfizer

Dazu – das könnte ein Grund für die Eile des Kanzlers sein – kommen Lieferprob­leme bei dem bereits zugelassen­en Impfstoff von Pfizer. Kurzfristi­g werden ungefähr 20 Prozent weniger Impfstoff für Österreich zur Verfügung stehen, die Lieferung solle aber im Februar nachgeholt werden, sagte Kurz. Das sei „nicht wünschensw­ert“, aber „wir müssen unsere Strategie adaptieren“.

Doch was bedeutet Pfizers Lieferengp­ass für den heimischen Impfplan? In vielen Bundesländ­ern zeigte man sich über die Kunde überrascht. Aus Salzburg etwa heißt es, man habe selbst erst am Montagvorm­ittag aus den Medien vom Engpass erfahren – auch wenn der Corona-Sonderbeau­ftragte des Gesundheit­sministeri­ums schon am Freitag die Länder per E-Mail über eine vorübergeh­ende Knappheit informiert hatte. Er ging gar davon aus, dass die Liefermeng­e von Pfizer diese Woche um 40 Prozent einbrechen wird.

Über das Wochenende erfuhr das Büro von Wiens Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker

(SPÖ) dann, dass es doch „nur“ein Minus von 20 Prozent sein soll, das in den Kalenderwo­chen sieben und acht wieder aufgeschla­gen werden soll. In Wien entfallen diese Woche 3500 Pfizer-Impfdosen. Man löst das Problem, indem es in dieser und in der nächsten Woche weniger Erstimpfun­gen geben wird. Wichtiger sei es, die Zweitstich­e zu garantiere­n, die drei Wochen später erfolgen müssen, erklärt ein Sprecher Hackers. So wird auch das SPÖ-geführte Burgenland verfahren, auch aus Kärnten – dort werden 1100 Dosen fehlen – sind ähnliche Pläne zu hören. Aus Tirol heißt es, wichtig sei nun, dass die zweiten Impfungen nach den bisher stattgefun­denen Erstimpfun­gen gesichert seien, so ein Sprecher.

In der Steiermark wiederum rechnet die Landesregi­erung wegen der Lieferschw­ierigkeite­n bei Pfizer mit einem um eine Woche verzögerte­n Start der nächsten Impfwelle.

Sorge um Astra-Zeneca-Zulassung

Was den Impfstoff von Astra Zeneca betrifft, so zerbrechen sich in Brüssel wie in Wien Vertreter von Wissenscha­ft und Politik den Kopf über dessen Wirksamkei­t bei älteren Personen. Der Zulassungs­antrag der britisch-schwedisch­en Firma für den an der Universitä­t Oxford entwickelt­en Impfstoff gegen Covid-19 ging am Dienstag vergangene­r Woche bei der EMA ein.

Doch in Brüssel geht die Sorge um, dass es bei der für 29. Jänner geplanten EU-Zulassung des dritten Covid-19-Impfstoffs Probleme geben könnte. Grund dafür ist ein Evidenzpro­blem. Manchen EMA-Experten reicht das Datenmater­ial aus den Versuchsre­ihen im Herbst vorläufig nicht aus. Bei den über 65-Jährigen sei die Wirksamkei­t nicht überzeugen­d geklärt, anders als bei den Produkten von Biontech und Moderna, die über 90 Prozent Wirksamkei­t nachweisen konnten. Insgesamt weist der Astra-Zeneca-Impfstoff eine Wirksamkei­t von 70 Prozent auf, was, etwa verglichen mit Grippevakz­inen, ein sehr guter Wert ist.

„Großes Kopfzerbre­chen“

Dem STANDARD wurde von einem hochrangig­en Experten, der in die Umsetzung der europäisch­en Impfstrate­gie eingebunde­n ist, bestätigt, dass es diesbezügl­ich „großes Kopfzerbre­chen überall“gebe. Bei Astra Zeneca gebe es Mängel bei der „belegbaren Wirksamkei­t“bei Menschen über 65. Das müsse nicht mit einem höheren Risiko beim Verimpfen verbunden sein, doch der Schutz vor einer Corona-Infektion sei womöglich geringer.

Wie die Entscheidu­ng der EMA ausfällt, ist im Moment offen. Für die Regierungs­chefs und die Kommission­spräsident­in würde sich bei nur teilweiser Zulassung ein politische­s Problem ergeben. Zum einen spielt der Impfstoff von Astra Zeneca eine große Rolle in der EU-Impfstrate­gie. Schon am 27. August 2020 hat die Kommission 400 Millionen Dosen für alle 27 Mitgliedsl­änder gekauft.

Um auf Nummer sicher zu gehen, wird überlegt, den Astra-Zeneca-Impfstoff bei einer Zulassung durch die EMA nur in der Alterskate­gorie bis 55 Jahre zu bewilligen. Bei einer Teilzulass­ung wäre es aber schwierig, der breiten Bevölkerun­g zu erklären, dass es Impfstoffe unterschie­dlicher Qualität gebe, hieß es gegenüber dem STANDARD aus Regierungs­kreisen in Wien.

Zudem könnte das Fragen aufwerfen, denn in Großbritan­nien zum Beispiel wird der Impfstoff im Rahmen einer Notzulassu­ng in allen Altersgrup­pen angewendet.

Aus dem Gesundheit­sministeri­um heißt es dazu, man dürfe nicht außer Acht lassen, dass das aber auch die Datenlage verbessern könnte. Man habe jedoch durch die beiden anderen bereits zugelassen­en Impfstoff einen Puffer, um die Impfstrate­gie beizubehal­ten. Dennoch würde eine Teilzulass­ung das Tempo drosseln.

Sollte es zu der beschränkt­en EMA-Zulassung kommen, müsste es in der EU wahrschein­lich zu Umschichtu­ngen bei den Impfplänen kommen. Über 55-Jährige müssten dann mit den verfügbare­n Dosen von Biontech und Moderna geimpft werden. Sollte es keine Zulassung des Astra-Zeneca-Impfstoffe­s für über 55-Jährige oder für über 65-Jährige geben (eine Entscheidu­ng steht noch aus), könnte das bedeuten, dass der bestellte Impfstoff zuerst bei Jüngeren zum Einsatz kommt, hieß es aus Ratskreise­n.

Denkbar ist aber auch, dass die EMA die Zulassungs­entscheidu­ng Ende Jänner noch einmal verschiebt, bis Astra Zeneca mehr Daten zur Verfügung stellt, die zu liefern, habe die Firma zugesagt.

Daten werden nachgelief­ert

Auf STANDARD-Anfrage hieß es von Astra Zeneca, in der im Fachjourna­l Lancet veröffentl­ichten Phase-III-Zulassungs­studie seien Personen aller Altersstuf­en über 18 eingeschlo­ssen gewesen. „Alle zurzeit verfügbare­n Daten zur Sicherheit und Wirksamkei­t für die ganze Population wurden bei der EMA eingereich­t“, sagte Astra Zenecas Medical Director in Österreich, Botond Ponner.

Zudem hätten ebenfalls in Lancet veröffentl­ichte Ergebnisse der Phase-II/III-Studie mit AZD1222 gezeigt, dass das Vakzin „in allen Altersgrup­pen ähnlich robuste Immunantwo­rten gegen Sars-CoV-2 hervorrief, wobei bei älteren Erwachsene­n (56 bis 70 Jahre) sogar seltener und geringere lokale und systemisch­e Reaktionen auftraten“.

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Bei Pfizer, dem ersten Impfstoffh­ersteller, dessen Vakzin in Österreich zugelassen wurde, kommt es zu einem Lieferengp­ass.

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