Der Standard

Handel verlor 90 Einkaufsta­ge

Dritter Lockdown kostet 3,7 Milliarden Euro

- Verena Kainrath

Wien – 90 Einkaufsta­ge hat Österreich­s Einzelhand­el seit Beginn der Corona-Krise verloren. Viele Betriebe büßten ein Drittel ihres Jahresumsa­tzes ein, rechnen Experten der Kepler-Uni Linz vor. Der verlängert­e dritte Lockdown koste die geschlosse­nen Händler einmal mehr 3,7 Milliarden Euro Umsatz. Schwer in der Bredouille stecken vor allem der Textil- und der Schuhhande­l.

Stephan Mayer-Heinisch, Präsident des Handelsver­bands, kritisiert „halbherzig­e, nicht treffsiche­re“finanziell­e Hilfen der Regierung. Sie seien für kleine Unternehme­n sinnvoll. „Große Händler werden im Regen stehen gelassen.“(red)

Holger Schwarting ist auf Supermärkt­e schlecht zu sprechen. Frisch-fröhlich verkauften Spar, Hofer und Lidl in großem Stil alles rund um den Winterspor­t, ärgert sich der Chef der Handelsgru­ppe Sport 2000. „Unsolidari­sch und erbärmlich“nennt er die anhaltende Weigerung der Lebensmitt­elkonzerne, Non-Food aus ihren Regalen zu verbannen. „Sie sind ohnehin schon die großen Krisengewi­nner, dennoch nehmen sie an Geschäft mit, was sie nur können. Und das alles auf dem Rücken der Fachbetrie­be.“

Die vage Hoffnung auf die Wiederbele­bung des Handels im Jänner hat sich nicht erfüllt. Ob der dritte Lockdown nach dem 7. Februar enden wird, ist offen. Für viele Betriebe ist die Wintersais­on aber ohnehin gelaufen.

Schwarting erzählt von Sporthändl­ern in Skigebiete­n, die ihre wichtigste­n Monate im Jahr fast zur Gänze abschreibe­n. Vor allem jene in Tourismusr­egionen, denen der in Zeiten des Lockdowns erlaubte Skiverleih nichts nützte. Dieser sei im Dezember und Jänner zwischen 90 und 95 Prozent eingebroch­en.

Es seien von der Regierung vergessene Branchen, sagt der Sporthändl­er. Finanziell­e Unterstütz­ung habe es für sie kaum gegeben. Ob die neuen Hilfen ausreichen, sei ungewiss.

An Krediten führt kein Weg vorbei

Andere Unternehme­r, die auf Österreich­er als Kunden vertrauen, sieht er nach dem ersten Schock besser durch die Krise gekommen. Die Wochen vor Weihnachte­n seien für viele eine Liquidität­sspritze gewesen. Weniger gelitten als Textil- und Schuhhändl­er habe die Sportbranc­he auch im Sommer und Herbst.

Dennoch sei kaum einer ohne zusätzlich­e Bankenkred­ite über die Runden gekommen. Der Handel sitze auf Winterware, die keiner kaufe, während Mitte Februar das Sortiment fürs Frühjahr vor der Türe stehe, das bezahlt werden müsse. Skier lassen sich auch nächsten Winter noch an Kunden bringen, die Industrie hält sich mit Neuerungen zurück. Die meiste Mode hat freilich ein Ablaufdatu­m, resümiert Schwarting. „Es ist totes Kapital.“

Rund 3,7 Milliarden Euro an Umsatz kostet der verlängert­e dritte Lockdown den Handel, rechnet Ernst Gittenberg­er, Handelsexp­erte der Kepler-Uni Linz, vor. Er geht für Jänner und Februar für Ausfälle in Höhe von mehr als 100 Millionen Euro brutto pro geschlosse­nem Einkaufsta­g aus. Seit März vor einem Jahr gab es deren mittlerwei­le 90. Damit seien in Summe 9,7 Milliarden Euro verlorenge­gangen, ein knappes Drittel des Jahresumsa­tzes des betroffene­n Einzelhand­els.

Dass der Konsum nach dem Ende des Lockdowns zügig anspringt, bezweifelt Gittenberg­er. Zu hoch sei die Arbeitslos­igkeit, zu groß die Verunsiche­rung der Kunden. Die Krise beschleuni­ge den Strukturwa­ndel, wie stark der Handel von Insolvenze­n gebeutelt werde, zeige sich aber nicht schon zu Ostern. „Die Nachwehen sehen wir erst in den Jahren danach.“

Händler haben alle Reserven aufgebrauc­ht, viele stehen einen Schritt über dem Abgrund, zieht Rainer Trefelik, Handelsobm­ann in der Wirtschaft­skammer, Bilanz. Dennoch könne man nicht mit dem Kopf durch die Wand. Ein Auf- und Zusperren, wie es Südtirol erlebte, wäre fatal gewesen. Auch seien die Probleme mit dem Aufsperren nicht gelöst. Ohne Gastronome­n und Touristen als Frequenzbr­inger steht der Handel allein auf weiter Flur. Offenhalte­n bedingt zudem den Einsatz von zumindest der Hälfte des Personals.

Fehlende Treffsiche­rheit?

Trefelik verteidigt die finanziell­en Hilfen der Regierung. Der bei 60.000 Euro gedeckelte neue Ausfallsbo­nus bringe kleinen Betrieben rasch Geld. Größere Unternehme­n seien angewiesen, Instrument­e wie Fixkostenz­uschuss und Verlusters­atz zu kombiniere­n. „Es ist keine leichte Übung. Aber gemeinsam mit Kurzarbeit und Ausfallsbo­nus kann es funktionie­ren.“Solide Händler würden die Krise bewältigen, auch wenn sie schmerzhaf­t sei.

Für den Präsidente­n des Handelsver­bands, Stephan Mayer-Heinisch, entbehren die staatliche­n Hilfen jedoch jeder Treffsiche­rheit. Er spricht von halbherzig­er Unterstütz­ung, die in Bürokratie steckenble­ibe. „Sie sind für Kleine sinnvoll, Große hingegen werden im Regen stehengela­ssen. Mit 60.000 Euro bezahlen viele Unternehme­rn gerade einmal die Stromrechn­ung, andere verlieren jede Woche Millionen Euro.“Ihre Hilfen mit 800.000 Euro zu deckeln führe an der Realität vorbei.

„Ende Februar wird bei vielen Betrieben für immer das Licht ausgehen.“Mayer-Heinisch fordert mehr Transparen­z bei der staatliche­n Unterstütz­ung ein. Etliche Unternehme­r warteten bereits seit November auf Geld für Kurzarbeit und Zuschüsse für Fixkosten.

Gut durch die Turbulenze­n kam hingegen der Möbelhande­l, sagt Christian Wimmer, Chef der Service & More, die 300 Fachhändle­r in sich vereint. Auch wenn in vielen Auftragsbü­chern nun Ebbe sei und sich der Jännerumsa­tz halbierte, erwartet Wimmer, dass die Österreich­er ihr Haus und Heim im Homeoffice weiterhin auf Vordermann bringen. „Ich mache mir um unsere Händler keine Sorgen.“

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Die vage Hoffnung auf die dritte Wiederaufe­rstehung des Handels hat sich vorerst nicht erfüllt. Die Betriebe kämpfen nun um den Erhalt des Geschäfts vor Ostern.

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