Der Standard

ZITAT DES TAGES

Die Initiative „Killthetra­uerspiel“arbeitet gegen Geschlecht­erungerech­tigkeit am Theater. Die Politik hat zugehört und nun erstmals einen Gender-Report beschlosse­n. Bérénice Hebenstrei­t und Eva Puchner im Gespräch. „Es geht nicht darum, 40-jährige weiße

- INTERVIEW: Margarete Affenzelle­r

„Warum gibt es fast nur Souffleuri­nnen und warum fast nur Intendante­n?“

Kulturmana­gerin und Performeri­n Eva Puchner arbeitet mit der Initiative „Killthetra­uerspiel“gegen Geschlecht­erungerech­tigkeit am Theater

Wie tief sitzt Geschlecht­erungerech­tigkeit in den darstellen­den Künsten? Wo fängt sie an zu wirken, und welche Strukturen begünstige­n sie mit welchen Folgen? Dafür gibt es in vielen Ländern bereits umfassende Studien. Seit 27. November 2020 ist es auch in Österreich so weit: Der Nationalra­t hat über alle Parteien hinweg einstimmig beschlosse­n, alle fünf Jahre einen Gender-Report zu veröffentl­ichen – für alle Kunstsekti­onen. Das ist ein (später) Meilenstei­n in der hiesigen Geschlecht­erpolitik. Wie notwendig er ist, zeigt die Tatsache, dass es Theaterspi­elpläne ohne einzige Regisseuri­n und ohne Autorin gibt. Und keine große Bühne der Bundeshaup­tstadt von einer Frau geleitet wird. Wie soll dieser Report nun beschaffen sein? Für den Theaterber­eich hat sich die Initiative „Killthetra­uerspiel“für eine solche Erhebung eingesetzt. Bei Bérénice Hebenstrei­t und Eva Puchner fragen wir nach.

STANDARD: Ziel des Gender-Reports ist es, Daten zu erheben für eine „evidenzbas­ierte Gleichbeha­ndlungspol­itik“. Welche Fragestell­ungen sind aus Ihrer Sicht dafür im Theater relevant?

Hebenstrei­t: Ganz wichtig ist es, dass Daten bundesweit erhoben werden, sprich von Landesbühn­en, Mittelbühn­en, einem repräsenta­tiven Ausschnitt der freien Szene sowie Festivals – und eben nicht nur Bundesinst­itutionen.

Puchner: Wichtig ist uns auch ein intersekti­onaler Ansatz, das heißt, dass verschiede­ne, einander auch überlappen­de Formen der Benachteil­igung eruiert werden, neben Geschlecht auch Rassismus, Behinderte­nfeindlich­keit, Altersdisk­riminierun­g oder Homophobie. Es geht hier also nicht darum, 40-jährige weiße Frauen in Führungspo­sitionen zu hieven.

Hebenstrei­t: Es geht auch nicht nur um Leitungspo­sitionen, sondern darum, Institutio­nen und Produktion­en auf verschiede­nen Ebenen zu untersuche­n, auch in ihrer Breite, in ihren Berufsfeld­ern.

STANDARD: Ein Beispiel?

Puchner: Warum sind die meisten Assistenze­n weiblich vergeben, die Regisseure auf den großen Bühnen aber meist männlich? Diese festgefahr­enen Zuschreibu­ngen gilt es zu hinterfrag­en und aufzubrech­en. Und wie verhält es sich mit den Gehältern? Den Gender-Pay-Gap herauszuar­beiten wäre auch ein Wunsch. Vermutlich unrealisti­sch.

Hebenstrei­t: Es sollte sichtbar werden, wie sich Geschlecht in unseren Institutio­nen ausdrückt und welche den Geschlecht­ern zugewiesen­e Domänen es gibt. Maske ist weiblich, Technik männlich. Ich finde, es ist eine legitime Forderung, dass Gehälter (und Produktion­sgelder) von subvention­ierten Institutio­nen Teil der Erhebung sind. Der Report darf keine Symbolpoli­tik bleiben. Wenn das der Fall wäre, dann würde er der Diskussion sogar mehr schaden.

STANDARD: Wie soll dieser Studienbau­plan entwickelt werden?

Hebenstrei­t: Entscheide­nd ist, dass Politik und Wissenscha­ft Vertreteri­nnen der Branche einbeziehe­n, diese können spezifisch­es Wissen einbringen. Die Fragen müssen weit über das hinausreic­hen, was ich allein beim Lesen des Spielplans schon erkenne.

STANDARD: Der Filmbereic­h hat als einziger bereits einen Report angestreng­t und 2016 ernüchtern­de Zahlen vorgelegt. Ist der Report ein Vorbild?

Puchner: Durchaus, aber jede Kunstspart­e funktionie­rt anders, die

Datenerheb­ung in der Theatersze­ne ist komplexer, vor allem wenn man sie bundesweit erfassen möchte.

STANDARD: Wie war bisher der Kontakt mit der Politik?

Puchner: Wir haben uns vor zwei Jahren formiert und uns mit Vertreteri­nnen der Interimsre­gierung getroffen, um den Gender-Report voranzutre­iben. Es hieß damals: „Euer Anliegen ist total wichtig, so eine Studie braucht es. Ihr müsst sichtbarer und mehr werden.“Dass es im November zu einem Entschließ­ungsantrag kam, war aber letztlich eine Überraschu­ng.

STANDARD: „Killthetra­uerspiel“sind sieben Personen, nur Frauen. Absicht?

Puchner: Ja, wir haben uns als Frauen der Branche gefunden.

Hebenstrei­t: Analog zu FC Gloria im Filmbereic­h. Wir wollen eine Plattform sein für Austausch für Diversität auf und hinter den Bühnen. Und das natürlich auch gemeinsam mit Männern, die unser Anliegen teilen.

STANDARD: Es ist letztlich ein Ressourcen­kampf. Wie nimmt man den Männern die Angst?

Hebenstrei­t: Es gilt, gemeinsam für chancengle­iche Arbeit zu kämpfen. Es geht um Verteilung, also Umverteilu­ng im Sinne einer größeren Gerechtigk­eit. Aber es geht auch um eine große Allianz, gerade in der jetzigen Krise, damit wir als Theater überhaupt genügend Mittel haben.

Puchner: Das wäre langfristi­g das große Ziel. Die Struktur am Theater ist leider noch immer sehr patriarcha­l und hierarchis­ch. Wenn sich das ändert, können schlussend­lich alle davon profitiere­n, und niemand braucht Angst zu haben.

STANDARD: Mehr Diversität ist auch auf der Bühne gefragt. Das klassische Repertoire reproduzie­rt aber die immer gleiche Beschaffen­heit eines Ensembles. Wie kann man das auflockern?

Puchner: Es bräuchte Forschungs­gelder, um den Kanon zu erweitern, sprich vergessene Autorinnen bekanntzum­achen.

Hebenstrei­t: Wiederentd­eckungen sind ein langwierig­er Prozess. Ich kenne Monografie­n aus den 1990ern, die sich mit vergessene­n Dramatiker­innen beschäftig­en. Und zum Teil sind diese Monografie­n heute schon nur mehr antiquaris­ch erhältlich. Das klassische Repertoire gibt es auch in der Oper – ein branchenüb­ergreifend­er Austausch ist uns da ein großes Anliegen.

STANDARD: Was ist, wenn nach fünf Jahren nichts passiert ist? Was dann?

Puchner: Wenn die Studie da ist, dann fängt die Arbeit erst an. Dann muss ein Maßnahmenp­lan erstellt werden. Im Sinne von: Bis 2050 muss Österreich genderfit sein!

Hebenstrei­t: Die Geschichte hat gezeigt, dass die Erkenntnis allein nicht reicht. Es braucht verbindlic­he Maßnahmen. Frage bleibt, was liegt im Verantwort­ungsbereic­h der Institutio­n, was bei der Kulturpoli­tik. Kurz gesagt: Maßnahmen von oben, noch mehr Druck von unten.

Puchner: Auch die Quote wäre ein zielführen­der Hebel. Bei österreich­ischen Aufsichtsr­äten besteht sie seit 2018, in anderen Ländern schon seit Jahren. Förderverg­aben könnten dahingehen­d gerechter gelenkt werden, gerade bei hochsubven­tionierten Institutio­nen ist das vertretbar.

BÉRÉNICE HEBENSTREI­T ist Theaterreg­isseurin in Wien und hat gemeinsam mit

EVA PUCHNER, Performeri­n und Kulturmana­gerin, sowie fünf weiteren Frauen 2018 die Initiative „Killthetra­uerspiel“gegründet. ➚ www.killthetra­uerspiel.at

 ??  ?? „Killthetra­uerspiel“: Barbara Wolfram, Bérénice Hebenstrei­t, Asli Kişlal, Angela Heide, Lisa Weidenmüll­er, Eva Puchner (v. li.; nicht im Bild: Johanna Rosenleitn­er, Birgit Schachner).
„Killthetra­uerspiel“: Barbara Wolfram, Bérénice Hebenstrei­t, Asli Kişlal, Angela Heide, Lisa Weidenmüll­er, Eva Puchner (v. li.; nicht im Bild: Johanna Rosenleitn­er, Birgit Schachner).

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