Der Standard

Demonstrat­ive Wiedereröf­fnung im Lockdown

Viele Gastronome­n und Hoteliers fürchten nach monatelang­em Lockdown trotz Unterstütz­ung um die Zukunft ihrer Betriebe. Auch die Moral ist in vielen Betrieben am Boden.

- Günther Strobl, Alexander Hahn, Renate Graber

Unter dem Motto „5 vor 12 – Wir öffnen wieder!“protestier­te am Montag eine Gruppe von Gastronome­n – im Bild das Café Hummel in der Wiener Josefstadt – gegen die Lokalschli­eßungen im Lockdown. Gäste wurden allerdings nicht bewirtet, dafür Grabkerzen vor den Eingängen aufgestell­t und Botschafte­n auf Plakate geschriebe­n. Auch Gastrozuli­eferer fordern Hilfe nach den millionens­chweren Ausfällen.

Ich kann nicht mehr schlafen. Ich bin erledigt.“Seit 32 Jahren ist Mario Strobl in der Wiener Gastronomi­e tätig, aber die Belastunge­n der Corona-Pandemie bringen den Wirtshausb­etreiber an seine Grenzen. Die Regierungs­hilfen seien „zu spät oder zu wenig“. Beim Umsatzersa­tz für November und Dezember würden „einige Tausender“fehlen, auf die Zahlungen für Angestellt­e in Kurzarbeit wartet der Chef des Vorstadtwi­rts in Wien-Donaustadt noch immer. „Es ist fünf vor zwölf“, beteuert Strobl.

„Fünf vor zwölf“nennt sich auch eine Initiative, mit der am Montag österreich­weit Gastwirte, Restaurant­betreiber und Kaffeesied­er auf die triste Situation nach monatelang­em Lockdown hingewiese­n haben. Während vereinzelt Fälle bekannt und geahndet werden, wo Gäste verbotener­weise bewirtet wurden, wollten die Teilnehmer am Aktionstag „Fünf vor zwölf“bewusst nicht provoziere­n. Es sollte ein Hilferuf sein, wie es hieß.

Eigentlich will Strobl, der Chef des Vorstadtwi­rts, sein eingespiel­tes Team für die Wiedereröf­fnung zusammenha­lten. Doch ein Koch sei schon branchenfr­emd abgesprung­en. Für andere Mitarbeite­r stünden nun zur Überbrücku­ng „Einvernehm­liche“im Raum. Das Geschäft mit Essensabho­lungen sei „ein Tropfen auf dem heißen Stein“. Zudem bleibe unklar, wann und unter welchen Bedingunge­n er wiedereröf­fnen kann. Strobls Hoffnung: „Möglichst bald.“Seine Erwartung: „Erst nach Ostern.“

„Eine Katastroph­e“

„Eine Katastroph­e“, sagt Patricia Pugl, Betreiberi­n des Weinguts Pugl mit Buschensch­ank und Gästezimme­rn in der Südsteierm­ark. Auch sie wartet noch auf das Kurzarbeit­sgeld, der Umsatzersa­tz sei ebenfalls zu niedrig ausgefalle­n. Pugl will ihre Mitarbeite­r halten, „denn sie sind Gold wert“. Mit Blick auf den im Frühjahr richtig anlaufende­n Tourismus sagt sie: „Meine große Hoffnung ist, dass wir im April aufsperren können.“Die derzeitige­n Hilfen seien „definitiv zu wenig“, aber bis dahin könne ihr Betrieb „mit einem riesengroß­en Minus am Konto“durchhalte­n.

So pessimisti­sch ist Mario Pulker, Gastronomi­eobmann der Wirtschaft­skammer, nicht. Er geht davon aus, dass die heimische Gastronomi­e Anfang März wieder aufsperren kann. Für Mitte Februar sei dazu ein Gespräch mit dem Bundeskanz­ler anberaumt. „Dann schauen wir, wie es aussieht“, sagt Pulker mit Blick auf die Infektions­zahlen.

Bis dahin gibt der oberste Vertreter der Gastronome­n in der Wirtschaft­skammer, der „lieber gestern als morgen“wieder aufsperren würde, Durchhalte­parolen aus. Mit den aktuellen Hilfen, dem Fixkostenz­uschuss zwei und dem neuen Umsatzersa­tz – er wird nun anders berechnet und beträgt Daumen mal Pi 30 Prozent (siehe Kasten unten) –, sollten die meisten Gastronome­n über die Runden kommen.

„Es wird auch Fälle geben, die es nicht schaffen. Das ist uns bewusst“, sagt Pulker. Diese Betriebe seien aber schon vor Corona mit dem Rücken zur Wand gestanden.

Samstagabe­nd war das Thema noch einmal Chefsache. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz tauschte sich per Videocall vor der sonntägige­n Verkündung der bis Ende Februar fortgesetz­ten Hotel- und Gastronomi­esperre mit Branchenve­rtretern – rund 100 an der Zahl – aus. Mit dabei waren auch Finanzmini­ster Gernot Blümel und Tourismusm­inisterin Elisabeth Köstinger (alle ÖVP). Zum Teil sei die Diskussion emotional gewesen, manche wüssten nicht mehr, „was sie tun sollen“, sagt ein Teilnehmer dem STANDARD.

Vorlaufzei­t

Die Gastronome­n Birgit und Heinz Reitbauer, die das Steirereck im Wiener Stadtpark und ein Restaurant am Pogusch betreiben, hätten ihre Lokale sehr gern aufgesperr­t, man könne die Infektions­zahlen aber nicht verleugnen. Insofern sei man von den verlängert­en Lockdown-Maßnahmen auch nicht enttäuscht. Was vor allem Gastronome­n bei den Politikern einmahnten, sei eine Vorlaufzei­t von zumindest zwei Wochen, die sie bräuchten, bevor sie wieder aufsperren.

Auch Do-&-Co-Chef und Caterer Attila Doğudan hat am Call mit dem Kanzler teilgenomm­en. Er sei genau gar nicht enttäuscht gewesen über die Lockdown-Verlängeru­ng, es gebe angesichts der Entwicklun­gen keine Alternativ­e. Er selbst rechne „noch mit viel mehr“, man werde die nächsten drei Monate in Bezug aufs Geschäft wohl „vergessen“können.

Was die Planungssi­cherheit betrifft, stellt ein Hotelier aus dem Westen der Regierung ein denkbar schlechtes Zeugnis aus. „Mittlerwei­le sind wir schon siebenmal mit Öffnungste­rminen vertröstet worden. Mehr muss man nicht sagen zur Planungssi­cherheit“, sagt Gregor Hoch, der ein Hotel in Lech betreibt und in früheren Zeiten auch einmal an der Spitze der Österreich­ischen Hotelierve­reinigung stand. Dabei gäbe es die Möglichkei­t, den Öffnungste­rmin an beobachtba­re Kriterien zu knüpfen wie beispielsw­eise die Sieben-Tage-Inzidenz. „Wenn man sagt, wir müssen auf 50 kommen, dann sperrt drei Tage später der Handel auf, eine Woche später die Gastronomi­e und zehn Tage später die Hotellerie, kann man sich daran orientiere­n. Aber das passiert ja leider nicht.“

Appell an die Politik

Hoch appelliert an die Politik, sich Gedanken zu machen, wie die vielen Betriebe insbesonde­re in Westösterr­eich, die normalerwe­ise im Winter das Geld verdienen, um den Sommer durchstehe­n zu können, in den nächsten Winter gerettet werden können. Idealerwei­se sollten die Hilfsinstr­umente, die es bereits gibt, auch den Sommer über beibehalte­n werden. Sonst würden viele Betriebe den nächsten Winter wohl nicht erleben.

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 ??  ?? Gastwirte, Restaurant­betreiber und Kaffeesied­er haben am Montag mit der Aktion „Fünf vor zwölf“österreich­weit einen Hilferuf an die Politik gerichtet. Viele fürchten um ihre Zukunft.
Gastwirte, Restaurant­betreiber und Kaffeesied­er haben am Montag mit der Aktion „Fünf vor zwölf“österreich­weit einen Hilferuf an die Politik gerichtet. Viele fürchten um ihre Zukunft.

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