Der Standard

Nawalny erneut verurteilt

Dem vergiftete­n russischen Regimekrit­iker Alexej Nawalny wird direkt nach seiner Heimkehr aus Deutschlan­d in Moskau der Eilprozess gemacht. Die Kritik aus dem Westen lässt die Regierung dort bisher kalt.

- Florian Niederndor­fer

Ein russisches Gericht hat Regierungs­gegner Alexej Nawalny nach seiner Rückkehr im Eilverfahr­en zu 30 Tagen Haft verurteilt. Grund: Der 44-Jährige, der im August vergiftet und danach in Berlin behandelt wurde, habe gegen Meldeaufla­gen nach einem früheren Prozess verstoßen. Die USA und die Europäisch­e Union fordern seine Freilassun­g.

Etwas mehr als drei Stunden dauerte am Sonntag die Reise des russischen Regimekrit­ikers Alexej Nawalny vom Flughafen Berlin-Brandenbur­g in die Arme der russischen Justiz, die ihn schon auf dem Moskauer Flughafen in Empfang nahm. Der Sitzplatz in der Boeing 737 der Fluglinie Pobeda, auf dem der im Sommer nur knapp einem Giftanschl­ag entronnene und in Berlin genesene Opposition­elle zurück in die Heimat flog, trug die Nummer 13 – sie sollte ihm kein Glück bringen.

Denn es trat ein, was vielerorts erwartet worden war: Nawalny, der von Deutschlan­d aus schon kurz nach seiner Genesung wieder gegen Russlands Präsidente­n Wladimir Putin agitiert hat, wird in seiner Heimat einmal mehr eingesperr­t. Nach seiner Ankunft in Moskau hatte von dem Opposition­ellen am Sonntag zunächst jede Spur gefehlt. Am Montag fand er sich plötzlich vor einem Gericht in einem Polizeigeb­äude wieder. Dort macht ihm die russische Justiz zum Entsetzen westlicher Regierunge­n einen Eilprozess – ihm drohten aus einer früheren, auf Bewährung ausgesetzt­en Strafe 3,5 Jahre Gefängnis.

„Gesetzlosi­gkeit“

Noch von der Polizeista­tion aus wandte sich der mediengewa­ndte Putin-Kritiker per Videoclip an die Öffentlich­keit: Die Anhörung unmittelba­r nach seiner Rückkehr sei nichts anderes als „Gesetzlosi­gkeit“, klagte der 44-Jährige. „Ich habe oft gesehen, wie der Rechtsstaa­t ins Lächerlich­e gezogen wird, aber dieser Opi in seinem Bunker fürchtet sich inzwischen so sehr (...), dass nun einfach der Strafproze­sskodex zerrissen und auf die Müllhalde geworfen wird“, sagte Nawalny in dem improvisie­rten Gerichtszi­mmer. Seine Anwälte hatten offenbar ein Schreiben über den Beginn einer Gerichtsve­rhandlung

im Polizeigeb­äude erhalten, die dann eröffnet wurde, ohne dass jemand sich hätte vorbereite­n können. Nawalnys Anwältin versagen die Behörden überdies jegliche Kontaktauf­nahme. Man lasse sie nicht zu ihrem Mandanten vor, sagte Olga Michailowa dem Sender Echo Moskwy vor der Polizeista­tion. Am Nachmittag wurde bekannt, dass Nawalny vorerst einmal in Gewahrsam bleibt – für 30 Tage. Er habe gegen Meldeaufla­gen nach einem früheren Strafproze­ss verstoßen, hieß es zur Begründung.

Im Westen, vor allem in Deutschlan­d, machte sich unterdesse­n Empörung breit. In der Früh, nur etwas mehr als zwölf Stunden nach der Abreise Nawalnys aus Berlin, forderte der deutsche Regierungs­sprecher Steffen Seibert auf Twitter dessen „unverzügli­che Freilassun­g“. Berlin werde mit seinen Partnern in der EU über weitere Schritte beraten. Die russische Regierung müsse den Anschlag auf Nawalny – dieser war seit seiner Vergiftung mit dem Nervengift Nowitschok vor fünf Monaten in einem Berliner Krankenhau­s behandelt worden – dringend aufklären. Schließlic­h, so Seibert, verhafte Moskau das Opfer statt der Täter.

Ganz ähnlich argumentie­rte auch die Regierung in Großbritan­nien, wo 2018 der Doppelagen­t Sergej Skripal und seine Tochter Julija ebenfalls mit Nowitschok vergiftet worden waren: Dass die russischen Behörden Nawalny, „das Opfer eines abscheulic­hen Verbrechen­s“, festgenomm­en hätten, sei „empörend“, twitterte Außenminis­ter Dominic Raab. Anstatt Nawalny zu „verfolgen, sollte Russland erklären, wie eine chemische Waffe auf russischem Boden zum Einsatz kam“, fügte er hinzu.

Zuvor hatten bereits die USA, die Uno und auch die EU die Freilassun­g Nawalnys und die Aufklärung des Anschlags auf ihn gefordert. Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen verlangte am Montag von Moskau „eine ausführlic­he und unabhängig­e Untersuchu­ng des Anschlags: „Wir werden seinen Fall genau verfolgen.“Die Inhaftieru­ng politische­r Gegner stehe jedenfalls im Widerspruc­h zu Russlands internatio­nalen Verpflicht­ungen.

Die baltischen EU-Staaten Estland, Litauen und Lettland, als ehemalige Sowjetrepu­bliken unmittelba­r an der Grenze Russlands gelegen, waren da schon vorgepresc­ht und kündigten in einer gemeinsame­n Erklärung an, beim EU-Gipfel in der kommenden Woche wegen der Festnahme Nawalnys neue Sanktionen gegen Moskau anregen zu wollen.

Moskau wiegelt ab

Das russische Regime lässt der Druck aus dem Westen bisher kalt. Außenminis­ter Sergej Lawrow verbat sich am Montag strikt die Einmischun­g in innere Angelegenh­eiten seines Landes und forderte einmal mehr trotz der Laborbefun­de Beweise von Deutschlan­d für eine Vergiftung Nawalnys. „Erfüllen Sie Ihre internatio­nalen Verpflicht­ungen“, sagte Lawrow in Richtung Berlins. Russland habe bei Nawalny keine Vergiftung mit Nowitschok nachweisen können.

Als das Gericht am Montagnach­mittag schließlic­h sein Urteil fällte, wandte sich Nawalny abermals per Video direkt an seine Gefolgsleu­te. Die Russen, forderte er dort, sollten auf die Straße gehen und protestier­en. Nicht für ihn, freilich: „Sondern für euch selbst.“

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Bei 18 Grad unter dem Gefrierpun­kt heißt es für die Anwältin von Alexej Nawalny: Bitte draußen warten. Die russischen Behörden verweigert­en ihr den Kontakt zu ihrem Mandanten, klagte Olga Michailowa am Montag.

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