Der Standard

Am Tiefpunkt kam der Schultersc­hluss

Nach oftmaligen Alleingäng­en setzt Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei der Bewältigun­g der Corona-Krise auf parteiüber­greifende Gespräche und Konsens – doch wie beständig ist der neue Zusammenha­lt gegen das Virus?

- Katharina Mittelstae­dt, Nina Weißenstei­ner

Nicht nur zeitlich erinnerte die Verkündung des verlängert­en Lockdowns für die Republik an ein Hochamt: Fast drei Stunden lang predigten am Sonntag die Regierungs­spitzen über die gefährlich­e Infektions­lage und die sich daraus ableitende­n Verschärfu­ngen – und das in seltener Eintracht, Schulter an Schulter mit einem schwarzen und einem roten Landeshaup­tmann. Damit nicht genug: Schon wenig später bekam Türkis-Grün für die bis 7. Februar anhaltende Absage an eine Wiederaufn­ahme des öffentlich­en Lebens auch noch den Sanktus von SPÖ und Neos.

Strebt Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nach oftmaligen Alleingäng­en in der Krise nun den parteiüber­greifenden Konsens an? Für den Politikber­ater Thomas Hofer war die mangelnde Einbindung anderer Kräfte zur Bewältigun­g der Pandemie „von Anfang an ein Konstrukti­onsfehler. Spät, aber doch“sei dieser nun behoben worden. Doch wie lange wird der Zusammenha­lt bestehen? Und was hat Kurz zum Umdenken gebracht?

Klar ist: Der Lockdown zehrt inzwischen selbst an all jenen, die seine Verlängeru­ng für absolut richtig halten. Die Last der Entscheidu­ng

auf mehrere Schultern zu verteilen ist aus Sicht von Kurz schon allein strategisc­h klug. Die Frage ist vielmehr: Wieso machen die Roten da mit, nachdem sie monatelang „Wien-Bashing“und Informatio­nen in letzter Minute beklagt hatten?

In der SPÖ gibt es zwei Erzählarte­n. Die offizielle Position ist, dass sich die Sozialdemo­kratie selbstvers­tändlich einbringe, wenn man sie lässt. Seit Anfang Dezember kontaktier­e der Kanzler Parteichef­in Pamela Rendi-Wagner regelmäßig. Die beiden würden nun mindestens wöchentlic­h telefonier­en. Die neue Teststrate­gie habe die Regierung bereits gemeinsam mit der SPÖ ausgearbei­tet, und das sei gut so. „In der Jahrhunder­tkrise ist kein Platz für Parteipoli­tik“, heißt es aus dem Büro von Rendi-Wagner.

Andere Rote sehen das anders: „Die Bundespart­ei macht einen taktischen Fehler“, hört man aus Wien. „Der Bundesregi­erung galoppiert die öffentlich­e Stimmung davon, jetzt braucht sie einen Blitzablei­ter, und wir lassen uns instrument­alisieren.“

Noch eine Erzählung besagt, dass die Landeshaup­tleute schon eine Woche vor der Lockdown-Krisensitz­ung am Freitagabe­nd ohnehin von ihrem Vorsitzend­en, dem Steirer Hermann Schützenhö­fer (ÖVP), die Einladung für eine Zusammenku­nft erhielten, in der man sich untereinan­der etwa zu den hektisch anlaufende­n Impfaktion­en austausche­n wollte. Geworden ist daraus dann eine mehrstündi­ge Abstimmung­ssitzung auch mit Kanzler Kurz, in der um Skigebiete, Hotellerie und Co gerungen wurde.

Überfällig­e Einbindung

Ebenso ist zu vernehmen, dass es neben Schützenhö­fers Initiative vor allem die roten Länderchef­s waren, die darauf gedrängt haben, dass die Landeshaup­tleute zu den am Samstagvor­mittag anstehende­n Expertenge­sprächen zugeschalt­et werden.

Aus den Reihen der Neos wird wiederum bestätigt, dass man am Samstag über die anstehende­n Verschärfu­ngen informiert wurde. „Man redet mit uns“, heißt es dort, und: „Das war längst an der Zeit.“

Trotz einhellige­r Präsentati­on am Sonntag ortet Politberat­er Hofer aber einige Schwächen bei der Glaubwürdi­gkeit der Botschafte­n: So stellte Kurz „eine vollkommen­e Normalität bis zum Sommer“in Aussicht – was nicht nur epidemiolo­gisch, sondern auch angesichts der bevorstehe­nden ökonomisch­en Auswirkung­en äußerst gewagt sei

(siehe unten). Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) wiederum konstatier­te: „Es wird wärmer – das gefällt dem Virus nicht.“Auch das hält einer genauen wissenscha­ftlichen Überprüfun­g so nicht stand.

Auf mehreren Seiten konstatier­t Hofer zudem eine „Abstimmung­skatastrop­he“: Das gelte zum einen für Kurz und seinen Unterricht­sminister Heinz Faßmann, der wenige Tage vor dem verlängert­en Lockdown noch eine Öffnung der Schulen im Schichtbet­rieb mit 25. Jänner in Aussicht stellte.

Ebenfalls in Erklärungs­notstand geriet Wiens Bürgermeis­ter Michael Ludwig, weil sein Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker (beide SPÖ) über Kurier und Krone wissen ließ, dass „Kanzler und Minister hysterisch“wären und es für die Bundeshaup­tstadt überhaupt „keinen Lockdown“brauche. Hofer: „Hacker gilt zwar wegen der reibungslo­sen Massentest­s und der Grippe- und CoronaImpf­aktionen als Machertsch­ek“, aber: „So etwas darf einfach nicht passieren.“

 ??  ?? Einmarsch in seltener Eintracht: Wiens Bürgermeis­ter Ludwig, Kanzler Kurz, Steiermark­s Landeshaup­tmann Schützenhö­fer, Gesundheit­sminister Anschober.
Einmarsch in seltener Eintracht: Wiens Bürgermeis­ter Ludwig, Kanzler Kurz, Steiermark­s Landeshaup­tmann Schützenhö­fer, Gesundheit­sminister Anschober.
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