Der Standard

Kein Ende der EU-Verfahren gegen Ungarn und Polen in Sicht

EU-Kommissari­n Věra Jourová, die die Einhaltung der Rechtsstaa­tlichkeit überwacht, erhöht den Druck auf Budapest und Warschau: Sie werde bei Budgetbloc­kaden nicht zögern.

- Thomas Mayer

Die für Werte und Transparen­z zuständige EU-Kommissari­n Věra Jourová ist wenig optimistis­ch, dass die Verfahren gegen Ungarn und Polen nach Artikel 7 der EU-Verträge je zu einem Abschluss kommen. Den beiden Ländern wird systematis­che Verletzung des Prinzips der Rechtsstaa­tlichkeit vorgeworfe­n. „Die Väter des Vertrages von Lissabon konnten sich nicht vorstellen, dass dieser Artikel jemals zur Anwendung kommt. Man glaubte damals wohl, dass Demokratie und Rechtsstaa­t eine Art Perpetuum mobile sind“, sagte Jourová vor einer (virtuellen) Aussprache im

Nationalra­t in Wien. Es mangle an der Umsetzbark­eit dieses Artikels.

Zur Erklärung: Das Verfahren ist komplizier­t. Zum Beschluss einer Aufhebung des Stimmrecht­s eines Mitgliedss­taates braucht es bei den EU-Regierungs­chefs zunächst Einstimmig­keit. Da Ungarn und Polen das wechselsei­tig mit Veto verhindern wollen, wurde es im Rat auf die lange Bank geschoben. „Es gibt auch kein Zeitlimit“, betont die Kommissari­n, „das ist unbefriedi­gend.“

Dennoch glaubt sie, dass die Einleitung der Verfahren sinnvoll war, indirekt auch Folgen hatte: „Manchmal muss man sagen, der Weg ist das Ziel.“Erst dieser Artikel-7-Prozess mit Ungarn und Polen habe in der breiten Öffentlich­keit in Europa die Bedeutung der Rechtsstaa­tlichkeit deutlich gemacht, „vorher hat das kaum jemanden interessie­rt, das Thema bekam nicht die Aufmerksam­keit, die es verdient“.

Das habe sich geändert. Es gab Anhörungen der Regierunge­n, was fair sei. Auch der EU-Rechtsstaa­tlichkeits­bericht als solcher sei ein Beitrag, um den Dialog zu stärken. Ungarn und Polen seien aber nicht vergleichb­ar, erklärt Jourová. Ministerpr­äsident Viktor Orbán habe das „in kleinen Schritten gemacht, eine Salamitakt­ik angewendet“. Es gebe Probleme bei der Justiz, den Medien, Minderheit­enrechten. Erst die Kumulierun­g all dieser Einzelvers­töße habe zu Artikel 7 geführt.

Bei Polen sei das anders. Die Regierung in Warschau habe Maßnahmen im gesamten Justizsyst­em ergriffen, „die systematis­che Natur im gesamten Umfang ist hier das Problem“. Bei Ungarn sei es daher für die Kommission einfacher gewesen, mit normalen Vertragsve­rletzungsv­erfahren vorzugehen, die beim Europäisch­en Gerichtsho­f entschiede­n werden. Als Kommissari­n gebe sie diesem Vorgehen den Vorzug, weil es „ein effiziente­s Instrument ist“.

Ein frustriere­ndes Problem

Artikel-7-Verfahren seien „ein frustriere­ndes Problem“, sagt sie. Der beste Weg, da herauszuko­mmen, wäre, dass der betroffene Staat selbst Maßnahmen zur Korrektur ergreift. Aber das sei nicht in Sicht. Sie hoffe, dass es einmal zu einer anderen Lösung kommt: „Es sind die Bürger, die in diesen Ländern leben, die bei Wahlen entscheide­n.“

Die Kommission werde jedenfalls alle ihr zur Verfügung stehenden

Instrument­e anwenden. Der im Dezember beschlosse­ne Mechanismu­s, wonach es bei Verstößen zu Kürzungen bei EU-Subvention­en kommen kann, sei ein solches Werkzeug. „Die Regelung ist seit 1. Jänner in Kraft“, erklärt sie, „und wir können sie anwenden. Es gibt eine klare legale Kompetenz, die die Regierungs­chefs niedergesc­hrieben haben.“

Auch wenn Ungarn durch Anrufung der Höchstrich­ter in Luxemburg Zeit gewinnen wolle, gibt sie sich entschloss­en, den Budgethebe­l anzusetzen, wenn Budapest und Warschau nicht einlenkten. „Wir können sehr viel Geld blockieren“, sagt Jourová, „man hat uns ein mächtiges Werkzeug in die Hand gegeben.“Und welche Subvention­en könnten gestrichen werden? „Zum Beispiel große staatliche Projekte in Ungarn oder Polen, wenn der Ministerra­t zustimmt.“

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Foto: APA/Jacquemart

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