Kein Ende der EU-Verfahren gegen Ungarn und Polen in Sicht
EU-Kommissarin Věra Jourová, die die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit überwacht, erhöht den Druck auf Budapest und Warschau: Sie werde bei Budgetblockaden nicht zögern.
Die für Werte und Transparenz zuständige EU-Kommissarin Věra Jourová ist wenig optimistisch, dass die Verfahren gegen Ungarn und Polen nach Artikel 7 der EU-Verträge je zu einem Abschluss kommen. Den beiden Ländern wird systematische Verletzung des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit vorgeworfen. „Die Väter des Vertrages von Lissabon konnten sich nicht vorstellen, dass dieser Artikel jemals zur Anwendung kommt. Man glaubte damals wohl, dass Demokratie und Rechtsstaat eine Art Perpetuum mobile sind“, sagte Jourová vor einer (virtuellen) Aussprache im
Nationalrat in Wien. Es mangle an der Umsetzbarkeit dieses Artikels.
Zur Erklärung: Das Verfahren ist kompliziert. Zum Beschluss einer Aufhebung des Stimmrechts eines Mitgliedsstaates braucht es bei den EU-Regierungschefs zunächst Einstimmigkeit. Da Ungarn und Polen das wechselseitig mit Veto verhindern wollen, wurde es im Rat auf die lange Bank geschoben. „Es gibt auch kein Zeitlimit“, betont die Kommissarin, „das ist unbefriedigend.“
Dennoch glaubt sie, dass die Einleitung der Verfahren sinnvoll war, indirekt auch Folgen hatte: „Manchmal muss man sagen, der Weg ist das Ziel.“Erst dieser Artikel-7-Prozess mit Ungarn und Polen habe in der breiten Öffentlichkeit in Europa die Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit deutlich gemacht, „vorher hat das kaum jemanden interessiert, das Thema bekam nicht die Aufmerksamkeit, die es verdient“.
Das habe sich geändert. Es gab Anhörungen der Regierungen, was fair sei. Auch der EU-Rechtsstaatlichkeitsbericht als solcher sei ein Beitrag, um den Dialog zu stärken. Ungarn und Polen seien aber nicht vergleichbar, erklärt Jourová. Ministerpräsident Viktor Orbán habe das „in kleinen Schritten gemacht, eine Salamitaktik angewendet“. Es gebe Probleme bei der Justiz, den Medien, Minderheitenrechten. Erst die Kumulierung all dieser Einzelverstöße habe zu Artikel 7 geführt.
Bei Polen sei das anders. Die Regierung in Warschau habe Maßnahmen im gesamten Justizsystem ergriffen, „die systematische Natur im gesamten Umfang ist hier das Problem“. Bei Ungarn sei es daher für die Kommission einfacher gewesen, mit normalen Vertragsverletzungsverfahren vorzugehen, die beim Europäischen Gerichtshof entschieden werden. Als Kommissarin gebe sie diesem Vorgehen den Vorzug, weil es „ein effizientes Instrument ist“.
Ein frustrierendes Problem
Artikel-7-Verfahren seien „ein frustrierendes Problem“, sagt sie. Der beste Weg, da herauszukommen, wäre, dass der betroffene Staat selbst Maßnahmen zur Korrektur ergreift. Aber das sei nicht in Sicht. Sie hoffe, dass es einmal zu einer anderen Lösung kommt: „Es sind die Bürger, die in diesen Ländern leben, die bei Wahlen entscheiden.“
Die Kommission werde jedenfalls alle ihr zur Verfügung stehenden
Instrumente anwenden. Der im Dezember beschlossene Mechanismus, wonach es bei Verstößen zu Kürzungen bei EU-Subventionen kommen kann, sei ein solches Werkzeug. „Die Regelung ist seit 1. Jänner in Kraft“, erklärt sie, „und wir können sie anwenden. Es gibt eine klare legale Kompetenz, die die Regierungschefs niedergeschrieben haben.“
Auch wenn Ungarn durch Anrufung der Höchstrichter in Luxemburg Zeit gewinnen wolle, gibt sie sich entschlossen, den Budgethebel anzusetzen, wenn Budapest und Warschau nicht einlenkten. „Wir können sehr viel Geld blockieren“, sagt Jourová, „man hat uns ein mächtiges Werkzeug in die Hand gegeben.“Und welche Subventionen könnten gestrichen werden? „Zum Beispiel große staatliche Projekte in Ungarn oder Polen, wenn der Ministerrat zustimmt.“