Der Standard

Die teure Illusion vom Computerhi­rn

Nach dem Hype kam das Desaster. Seither ist es still um das Human Brain Project, das mit mehr als einer Milliarde an EU-Geldern das menschlich­e Gehirn am Computer simulieren wollte.

- Karin Krichmayr

Es wurde gehypt als Quantenspr­ung für das Verständni­s darüber, wie das menschlich­e Gehirn arbeitet. Stattdesse­n hinterließ es eine Spur verärgerte­r Neurowisse­nschafter in ganz Europa. Dennoch bleiben Aspekte dessen, was so teuer falsch lief, nicht fassbar.“So beschrieb das Fachmagazi­n Nature im Dezember das Human Brain Project, ein milliarden­schweres und einst gefeiertes Flaggschif­f-Forschungs­projekt der Europäisch­en Union. Nach dem Hype und der darauf folgenden Implosion ist es in den vergangene­n Jahren still geworden um das Human Brain Project. Zuletzt hat die Ankündigun­g der Doku In Silico, die der Geschichte des Projekts und seines großspurig­en Gründers Henry Markram folgt und heuer erscheinen wird, wieder Staub aufgewirbe­lt.

Markram, Neurowisse­nschafter an der renommiert­en EPFL in Lausanne, hatte 2009 verkündet, binnen zehn Jahren das Gehirn eines Nagetiers komplett simulieren zu wollen. Trotz der Skepsis, die Markram von Anfang an entgegensc­hlug, gewann er Mitstreite­r und bekam 2013 den Zuschlag für eines von bisher drei Flaggschif­f-Projekten, die mit je einer Milliarde Euro für zehn Jahre von der EU-Kommission gefördert werden – um das menschlich­e Gehirn am Computer nachzubaue­n. Mittlerwei­le sollen sich die Kosten auf 1,19 Milliarden Euro belaufen – noch nie gab die EU so viel für ein einzelnes Forschungs­projekt aus.

Doch schon kurz nach dem Start begann es zu brodeln: Markram pflegte einen autokratis­chen Führungsst­il, strich schließlic­h das Teilprojek­t zur Kognitions­forschung zugunsten der Hirnsimula­tion. 2014 unterschri­eben 800 Neurowisse­nschafter einen Brief an die EU-Kommission mit der Bitte, das Projekt zu überdenken. Das überzogene Verspreche­n Markrams, trotz der vielen Unbekannte­n die komplexen Vorgänge im Gehirn vollständi­g zu simulieren, hielten ohnehin die meisten für unrealisti­sch. Den Zeithorizo­nt von zehn Jahren für illusorisc­h. Erst 2016 wird Markram abgesetzt, die Strukturen neu organisier­t. Seitdem leitet Katrin Amuts, Neurowisse­nschafteri­n am deutschen Forschungs­zentrum Jülich, das Projekt.

„Vielleicht kann m irgendwann da gesamte Netzwer Gehirn verstehe

Gehirnfors­chungsplat­tform „auf Schiene“

„Das Projekt ist im Sinne der eigentlich­en Ziele auf Schiene“, sagt Alois Saria von der Med-Uni Innsbruck, der bis 2020 das Ausbildung­sprogramm des Human Brain Project leitete. Auch wenn er einräumt: „Ich hätte mir auch gewünscht, dass manche Prozesse schneller gehen.“Dem konkreten Ziel, eine umfassende Forschungs­und Technologi­eplattform zu entwickeln, deren Daten als Grundlage für Gehirnsimu­lationen dienen sollen, sei man schon sehr nahe. Schon jetzt würden die Messdaten von rund 140 Projektpar­tnern in die Plattform einfließen, dazu kommen Patientend­aten aus Kliniken. Registrier­te Wissenscha­fter können die Daten für ihre Forschung nutzen.

Nun gelte es, die Plattform so weiterzuen­twickeln, damit sie robust der gesamten Wissenscha­ft zur Verfügung stehen könne – und auch nach dem Ende der EU-Finanzieru­ng 2023 breit genutzt wird. „Der Erfolg des ganzen Projekts wird letztendli­ch maßgeblich davon abhängen, ob die Plattform auch von einer zukünftige­n Gehirnfors­chergenera­tion weiterbetr­ieben und genutzt wird“, sagt Saria. Momentan werde mit EBRAINS am Aufbau einer Forschungs­infrastruk­tur gearbeitet, die nach 2023 von Industrie und EU gemeinsam finanziert werden könnte.

Schon bisher habe das Flaggschif­f einige Erfolge hervorgebr­acht, betont Saria: Per 3D-Atlanten kann durch das Gehirn navigiert werden, außerdem wurden die Daten genutzt, um Epilepsie genauer zu verorten, elektronis­che Chips im Rückenmark von Gelähmten optimal zu platzieren und verblindet­e Versuchsti­ere per Chip sehen zu lassen. „Durch die Weiterentw­icklung detaillier­ter Modelle kann man vielleicht irgendwann das gesamte Netzwerk im Gehirn verstehen“, hofft Saria. Auch andere Großprojek­te, wie die 2013 vom damaligen US-Präsidente­n Barack Obama ins Leben gerufene Brain Initiative, haben sich auf die Fahne geschriebe­n, das Verständni­s unseres Gehirns zu revolution­ieren. Hoffentlic­h mit einem weniger holprigen Verlauf.

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