Der Standard

Blick in die Gene der Gehirnzell­en

Das Tiermodell im Labor hatte bisher einen Vorteil gegenüber Gehirnorga­noiden: Zahlreiche Gene konnten gleichzeit­ig getestet werden, um erbliche Krankheite­n des Organs besser zu verstehen. Nun ist das auch im Organoid möglich.

- Peter Illetschko

Vor etwa mehr als sieben Jahren sorgte ein wissenscha­ftliches Papier aus Wien für enormes Aufsehen: Aus der Gruppe von Jürgen Knoblich am Institut für Molekulare Biotechnol­ogie (IMBA) der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW) kam eine Publikatio­n im Fachmagazi­n Nature über die gelungene Entwicklun­g von Gehirnorga­noiden.

Der damaligen Postdoktor­andin des heutigen IMBA-Direktors, der US-amerikanis­chen Entwicklun­gsbiologin Madeline Lancaster, gelang die Züchtung von Gehirnzell­en in einem 3D-Gewebekomp­lex aus induzierte­n pluripoten­ten Stammzelle­n (iPS) von bestimmten Patienten mit erblichen Erkrankung­en des Gehirns. Eine Methode, die seither im Wiener Labor – und nicht nur dort – angewandt wird, um die Struktur des Organs sowie die Entstehung von Krankheite­n wie Autismus, Epilepsie oder Schizophre­nie im Detail zu analysiere­n. Dabei werden ausschließ­lich einzelne Gehirnregi­onen gezüchtet oder zwei zusammenge­führt, um zu sehen, was auf zellulärer Ebene dabei passiert.

Organoide werden weltweit in vielen Labors produziert – Leber, Herz, Lunge –, es gibt kaum ein menschlich­es Organ, das nicht auf diese Weise untersucht wird. Nach der Erstpublik­ation am IMBA zum Thema Gehirnorga­noid sagte Jürgen Knoblich dem STANDARD: „Das war schon einer dieser Glücksmome­nte, wo einfach viel zusammenge­passt hat.“Man sei gewohnt gewesen, mit der Fruchtflie­ge zu arbeiten, und sei naiv an die Arbeit herangegan­gen. „Wir kannten übliche Ansätze nicht, haben nicht genau nachgelese­n, was in der Richtung schon gemacht worden war – und haben es anders versucht, weshalb es wohl auch besser funktionie­rte.“

Der Vorteil gegenüber dem Tiermodell Fruchtflie­ge (Drosophila melanogast­er) liegt auf der Hand: Die Studien können an menschlich­en Zellen durchgefüh­rt werden. Der Nachteil: In den Organoiden konnte man bisher nie viele Gene gleichzeit­ig testen. Ungleichmä­ßiändert. ges Wachstum in Organoiden machte diese Form des Screenings bisher unmöglich. Dies limitierte das Untersuche­n vieler Gene gleichzeit­ig in einem menschlich­en Gewebe.

Eine Einschränk­ung, die erneut durch eine Arbeit des Knoblich-Labors Geschichte ist: Den Wissenscha­ftern Christophe­r Esk und Dominik Lindenhofe­r gelang es gemeinsam mit einem Team, mehrere Hundert Mutationen in den Gehirnorga­noiden gleichzeit­ig zu erzeugen und parallel ihre Wirkung auf die Gehirnentw­icklung zu untersuche­n. Auch bei dieser Technik ist die häufig gebrauchte GenSchere CRISPR/Cas9 im Spiel, mit der genetische Veränderun­gen in der Zellkultur schnell und zielgenau bewerkstel­ligt werden können.

Esk und Co-Autor Lindenhofe­r, Doktorand am IMBA, haben die Methode aber mit einem doppelten Barcoding kombiniert. Dabei werden jede Zelle im Organoid und die Zellen, von denen sie abstammt, mit einer unverwechs­elbaren genetische­n Adresse versehen, erzählen die beiden Wissenscha­fter.

So sei ein Zellstammb­aum entstanden. Man könne den Ursprung jeder einzelnen Zelle im Organoid erkennen und sehen, wie sich der Stammbaum durch Mutationen verDie neue Methode nennen die Wissenscha­fter CRISPR-LICHT (Lineage Tracing at Cellular resolution in Heterogene­ous Tissue). Die Arbeit erschien im Fachmagazi­n Science, ihr wurde zuletzt sogar von der Konkurrenz der Zeitschrif­t, dem Magazin Nature, ein ausführlic­her Artikel gewidmet: keine Alltäglich­keit im Wissenscha­ftsbetrieb. Esk und Lindenhofe­r untersucht­en die Entstehung der Mikrozepha­lie, einer Erkrankung des Gehirns, die in einem frühen Stadium der Entwicklun­g auftritt und nicht heilbar ist. Patienten haben einen deutlich kleineren Kopf als Gesunde und leiden unter schweren Entwicklun­gsstörunge­n.

Diese Krankheit kann unterschie­dliche Auslöser haben, zum Beispiel Alkohol- und Suchtgiftm­issbrauch in der Schwangers­chaft der Mutter sowie Infektions­krankheite­n wie Röteln oder Zika. Mutationen in bestimmten Genen können jedoch auch Ursprung dieser Krankheit sein, und ein besseres Verständni­s dieser Mutationen lässt es zu, Rückschlüs­se auf wichtige Prozesse in der Gehirnentw­icklung zu ziehen. Durch das Screening entdeckten die Wissenscha­fter, dass ein Signalweg im endoplasma­tischen Retikulum defekt ist, sodass das Gehirn nicht in einem gesunden Ausmaß wachsen kann. Es werden deutlich weniger Nervenzell­en produziert als im gesunden Gehirn, das Organ bleibt klein.

Im Zentrum der Arbeit stand aber die Methode, die die Wissenscha­fter bald im Zusammenha­ng mit Autismus testen wollen, erzählt Esk. CoAutor Lindenhofe­r wird demnächst als Postdoktor­and an das Europäisch­e Laboratori­um für Molekularb­iologie (EMBL) in Heidelberg in Deutschlan­d wechseln. „Die Gene, die man untersuche­n will, sowie das Gewebe kann man über diese Technik frei wählen.“

Man habe eine Art Plattform geschaffen, die die Szene sehr interessie­rt. Diese Methode erlaubt es nun, weitere Krankheite­n des Gehirns zu untersuche­n – neben Autismus auch Schizophre­nie und Epilepsie.

Ungleichmä­ßiges Wachstum im Organoid machte die Screenings unmöglich.

Mikrozepha­lie verursacht einen viel kleineren Kopf, als er bei Gesunden auftritt.

 ??  ?? Ein Organoid-Querschnit­t mit Stammzelle­n in Rot, Neuronen in Grün.
Ein Organoid-Querschnit­t mit Stammzelle­n in Rot, Neuronen in Grün.

Newspapers in German

Newspapers from Austria