Der Standard

Engtanz für ein gespaltene­s Land

Das kulturelle Rahmenprog­ramm der Inaugurati­onsfeiern spiegelt die gesellscha­ftliche Position des neuen US-Präsidente­n wider. Biden schlägt da seinen Vorgänger um Längen.

- Karl Fluch

Die Schultern waren kalt wie der Jänner. Als die Organisato­ren der Inaugurati­on Donald Trumps vor vier Jahren versuchten, große Namen aus dem Popund Entertainm­ent-Business zu akquiriere­n, wurden sie seriell abserviert. Am Ende konnte Trumps Hofstaat mit viel Mühe ein paar Emporkömml­inge aus Talentshow­s aufbieten, dazu die Band 3 Doors Down, den Countrysän­ger Toby Keith und einen schlecht beratenen Soul-Veteranen: Sam Moore. Die überlebend­e Hälfte des Duos Sam and Dave (Hold On, I’m Comin’ ...) musste sich aus der schwarzen Community einiges anhören, weil er seine Eitelkeit über die Haltung gestellt hatte.

Bei der heute stattfinde­nden Inaugurati­on Joe Bidens zum 46. Präsidente­n der USA ist vieles anders. Lady Gaga wird die Hymne singen, Bruce Springstee­n ist dabei, die Foo Fighters, John Legend, Bon Jovi, Justin Timberlake, Jennifer Lopez und, und, und. Niemand ließ sich lange bitten, die Frage lautete bloß: Wie organisier­t man eine nationale Feier in Zeiten von Corona? Es wird ein TV-Special geben, das der Schauspiel­er Tom Hanks moderiert. Selbst wenn die musikalisc­hen Beiträge bloß aus der Distanz zugespielt werden, besitzt die Festlichke­it Symbolkraf­t.

Denn spätestens ab der Amtseinfüh­rung von John F. Kennedy 1961 gilt die Zeremonie mit Ansprachen, Paraden, dem Eid und dem abendliche­n Inaugurati­onsball als Indiz für die gesellscha­ftliche Positionie­rung des neuen Staatsober­haupts. JFK nutzte die Popularitä­t von Stars aus der Unterhaltu­ngsindustr­ie für sich und seine politische Agenda – und gilt rückwirken­d als so etwas wie der erste Popstar unter den US-Präsidente­n.

Prominenz in der Pflicht

Zur Zeit einer erstarkend­en Bürgerrech­tsbewegung war es ein wichtiges Signal, dass mit Ella Fitzgerald, dem Schauspiel­er Sidney Poitier und Harry Belafonte gleich drei der größten schwarzen Mainstream-Stars ihrer Zeit eingeladen waren und auftraten. Belafonte war einer der Ersten, die die Prominenz von Hollywood für die Anliegen der Bewegung in die Pflicht nahmen, sie finanziert­en und die Kennedys von ihrer Wichtigkei­t überzeugte­n. Dass mit Frank Sinatra auch jemand zugegen war, dem Kontakte zur Mafia nachgesagt wurden, sollte nach Kennedys Ermordung 1963 Spekulatio­nen bezüglich der Hintermänn­er des Attentats in diese Richtung befeuern.

Mit Kennedy begann so etwas wie eine Tradition, die vor allem die Republikan­er mit ihrem Insistiere­n auf Darbietung­en aus der klassische­n Musik etwas altbacken dastehen ließ. Dabei war es die Frau eines Republikan­ers, die diese Veranstalt­ung als Erste als einen gesellscha­ftlichen Event inszeniert­e: Dolley Madison organisier­te 1809 den ersten Inaugurati­onsball in Washington, ihr Mann James Madison war der vierte US-Präsident.

Das änderte sich erst mit dem Republikan­er Ronald Reagan. Als Zeremonien­meister agierte bei dessen Amtseinfüh­rung 1981 der Showmaster Johnny Carson, Witze erzählte Bob Hope, wieder war Frankie Sinatra dabei, Ray Charles sang America the Beautiful.

Nach zwölf Jahren republikan­ischer Herrschaft und der Dezimierun­g der US-amerikanis­chen Mittelschi­cht war es Bill Clinton, der sich 1992 anschickte, die Bruchlinie­n innerhalb der USA zu kitten. Unter der Leitung von Quincy Jones wurde die Feierlichk­eit im Jänner 1993 ein Spektakel. Von Aretha Franklin und Michael Bolton über Michael Jackson bis zu Bob Dylan, von Kenny Rogers bis Diana Ross reichte die Prominenz. Etta James war da, Luther Vandross, Linda Ronstadt, Michelle Shocked. Und Bob Weir von den Grateful Dead sang einen Song, den er extra für Clintons Vorgänger geschriebe­n hatte, für George Bush:

I Won’t Cry Much When You Go.

Clinton am Saxofon

Clinton selbst griff zum Saxofon und schunkelte im Reigen der Stars, als diese We Are the World sangen. Clinton sorgte in der Folge dafür, dass während seiner Präsidents­chaft immer wieder Konzerte vom und im Weißen Haus veranstalt­et wurden. Das behielt sogar George W. Bush bei. Doch der erst seit Donald Trump als Intellektu­eller geltende Texaner genoss, wie so viele Republikan­er vor ihm, nicht das höchste Ansehen in der Unterhaltu­ngswelt.

Diese kam in Massen wieder, als Barack Obama der erste afroamerik­anische Präsident wurde. Ihm zu Ehren sang Beyoncé 2008 die von Etta James definierte Ballade At Last. Ein Lied als Erfüllung einer Hoffnung.

Obama und seine Frau Michelle polierten dazu im Engtanz das Parkett. Stevie Wonder saß im Saal, Bruce Springstee­n, Mary J. Blige, Aretha Franklin, Jay-Z und der später sich selbst als Präsident ins Spiel bringende Rapper Kanye West. Magic Johnson, Muhammad Ali, Oprah Winfrey, Steven Spielberg – die Villen von Beverly Hill standen an dem Abend weitgehend verwaist. Heute werden die meisten Stars das Ritual am Schirm verfolgen.

Die Straßen vor dem Kapitol sind abgeriegel­t, in den Hotels, die sonst von Besuchern ausverkauf­t sind, wohnen zurzeit Angehörige der Nationalga­rde. Nach dem Sturm auf das Kapitol scheint im Land der unbegrenzt­en Möglichkei­ten alles möglich zu sein. Das soll mit allen Mitteln verhindert werden.

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Inaugurati­on 2009: Barack Obama poliert mit seiner Frau Michelle das Parkett, Beyoncé singt „At Last“. Die Pandemie macht Tuchfühlun­g heute aber weitgehend unmöglich.

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