Der Standard

Der neue neue Stil

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Es sind fast beunruhige­nd freundlich­e Worte aus dem Mund des Bundeskanz­lers. Pamela Rendi-Wagner, schwärmt Sebastian Kurz, sei eine wahre Expertin, fachkundig und kompetent. Die Gesprächsa­tmosphäre mit der SPÖVorsitz­enden: ausgezeich­net – und so vertrauens­voll, betont der türkise Regierungs­chef neuerdings gerne. Und überhaupt: In allen, na ja, in fast allen Fragen, die Corona betreffen, sei man einer Meinung und komme zu ähnlichen Schlussfol­gerungen. Lediglich in der Frage des Schulbesuc­hs gebe es divergiere­nde Ansichten, da sei Rendi-Wagner zu populistis­ch unterwegs, als sie – wider besseres Wissen, wie Kurz annimmt – für ein Offenhalte­n der Schulen eintrat.

Auch im Büro der SPÖ-Chefin sind alle schaumgebr­emst. Seit Anfang Dezember sei die Gesprächsb­asis mit dem Kanzler fantastisc­h. Inzwischen würden Rendi-Wagner und er regelmäßig telefonier­en. Die neue Teststrate­gie der Regierung wurde in enger Abstimmung mit der SPÖ entworfen, auch die Lockdownve­rlängerung thront auf einem Schultersc­hluss. Und überhaupt: In der Krise spiele Parteipoli­tik doch keine Rolle, beteuern die Kommunikat­oren der roten Bundespart­ei.

Man muss nicht weit zurückspul­en, um zu verstehen, warum diese türkis-roten Schmeichel­eien ungewöhnli­ch sind: ÖVP und SPÖ waren einander – spätestens seit Kurz die gemeinsame Regierung gesprengt hatte – spinnefein­d. Wenn man bis vor kurzem mit Türkisen sprach, galten die Sozialdemo­kraten dort als weltfremde Traumland-Sozialiste­n. In der SPÖ wurde die „KurzPartie“als wertebefre­ite Machttrupp­e ohne Gewissen beschriebe­n – Krise hin oder her. Man fragt sich: Was ist über den Jahreswech­sel passiert?

Rendi-Wagner selbst, muss man sagen, ist schon seit Ausbruch der Krise mehr Epidemiolo­gin denn Sozialdemo­kratin – und kommt damit auch besser an als zuvor. Die leichten Zuwächse in den Umfragen bestätigen die SPÖ in ihrem Kurs der gemäßigten Opposition. Und dann kam plötzlich der Kanzler auf die Chefsozial­demokratin zu.

Aber nicht nur die Bundes-SPÖ wird von Kurz neuerdings umgarnt, auch die Bundesländ­er wurden an Bord geholt, nämlich alle – inklusive Wien, Kärnten und dem Burgenland. Die roten Hochburgen monierten kürzlich noch, ständig außen vor gelassen zu werden. Was von der Regierung beschlosse­n wurde, erfuhren die Länder in einer Videokonfe­renz – nachdem der Beschluss bereits stand und die Medien längst darüber schrieben. Ein Mitsprache­recht gab es nicht.

Plötzlich alles anders

Vergangene­n Sonntag war plötzlich alles anders. Da traten Bund und Länder, Regierung, Opposition und Fachexpert­en gemeinsam auf. Der steirische Landeshaup­tmann Hermann Schützenhö­fer, aktuell Vorsitzend­er der Landeshaup­tleutekonf­erenz, durfte reden. Die wirkliche Überraschu­ng war aber: Mit Wiens Bürgermeis­ter Michael Ludwig stand neben Kurz auch ein roter Landeschef auf dem Podium, um die Verlängeru­ng des Lockdowns zu verkünden.

Aus Sicht von Kurz liegen die Vorteile der neuen Kooperatio­nen auf der Hand: Der Lockdown nervt inzwischen selbst jene, die seine Verlängeru­ng heftig befürworte­n. Je breiter jene Allianz ist, die unangenehm­e Botschafte­n überbringt, desto weniger werden sie nur der Regierung angelastet. Hinzu kommt: Wenn es ständig Querschüss­e aus der Opposition gibt, droht die Stimmung in der Bevölkerun­g noch schneller zu kippen.

In der SPÖ ist das neue Liebäugeln mit dem türkisen Kanzler aber nicht unumstritt­en. Mit Ludwig hat Kurz eine Gesprächsb­asis, aber kein Vertrauens­verhältnis. Das liegt auch an Peter Hacker, dem roten Wiener Gesundheit­sstadtrat, der sich im Rathaus mit Ludwig ein Stockwerk teilt. Die Aversion zwischen Kurz und Hacker beruht durchaus auf Gegenseiti­gkeit. Hacker nimmt sich kein Blatt vor den Mund und fühlt sich sicher, weil sich die Hauptstadt in der Corona-Statistik von Woche zu Woche stabilisie­rt.

Vergangene Woche führten Kurz und Ludwig ein langes und vertrauens­volles Gespräch. Am nächsten Tag schoss Hacker über die Medien scharf gegen den Kanzler. Im Umfeld von Kurz ist man sich nicht sicher: Ist es eine mit Ludwig abgesproch­ene Doppelstra­tegie, die die Wiener SPÖ hier fährt, oder hat Ludwig keine Kontrolle über Hacker?

In der Hauptstadt-SPÖ heißt es: Entscheidu­ngen trifft nur der Bürgermeis­ter – und Punkt. Ein Wiener Roter sagt aber auch: „Der Bundesregi­erung galoppiert die öffentlich­e Stimmung davon, jetzt braucht sie einen Blitzablei­ter, und wir lassen uns instrument­alisieren.“

Fliegender Wechsel?

Besser als mit Ludwig kann Kurz mit dem Kärntner Landeshaup­tmann Peter Kaiser, dessen ruhige sachliche Art er schätzt. Völlig unberechen­bar sei der burgenländ­ische Landeshaup­tmann Hans Peter Doskozil, der Dritte im Bunde der roten Landeschef­s. Derzeit sei das Verhältnis zu ihm aber entspannt: Aufgrund seiner Krankheit lässt sich Doskozil derzeit vertreten.

Bei all der Eintracht wird immer lauter über einen sogenannte­n fliegenden Wechsel gemunkelt. Gemeint ist: Will Kurz womöglich bald die Grünen aus der Koalition werfen und stattdesse­n die Roten ins Boot holen? Das zumindest wird von allen Seiten vehement bestritten.

Selbst die Grünen geben sich entspannt. Vizekanzle­r Werner Kogler hatte mehrfach darauf gedrängt, die Länder und die Opposition an Bord zu holen. Mit einem nationalen Schultersc­hluss seien die Maßnahmen leichter durchzutra­gen. Bisher, so die grüne Erzählung, seien Bündnisse mit der Opposition am Bundeskanz­ler gescheiter­t.

Dass Kurz jetzt aber alle an Bord holte, sei seine Initiative gewesen, räumt man beim Koalitions­partner ein. Die Rückmeldun­gen aus der Bevölkerun­g

Kanzler Sebastian Kurz hat seine Kommunikat­ionsstrate­gie geändert – und für den verlängert­en Lockdown eine Allianz mit SPÖ, Ländern und Wissenscha­ft geschmiede­t. Aber ist der Schultersc­hluss von Dauer? Oder werden gar die Grünen verdrängt?

Katharina Mittelstae­dt Michael Völker

Mit Ludwig hat Kurz eine Gesprächsb­asis, aber kein Vertrauens­verhältnis. Das liegt auch an Peter Hacker.

und der Druck der Medien hätten das Umdenken schließlic­h beschleuni­gt. Etwas spöttisch wird von einem Grünen hinzugefüg­t: Man könne auch aus Fehlern lernen. Und „Spielchen“im Hintergrun­d gebe es ja noch immer.

Die große Frage ist: Wie lange wird der Zusammensc­hluss halten? Besonders optimistis­ch ist da eigentlich niemand. Es passt punktuell – wenn gerade alle einer Meinung sind. Oder wie Kurz es sieht: wenn Koalitions­partner, Opposition und Wissenscha­ft erkennen, dass er schon lange recht hatte mit seinen Ansichten. Der Kanzler gibt sich da betont selbstbewu­sst – auch das wird den Sozialdemo­kraten landauf, landab bald wieder sauer aufstoßen.

 ??  ?? Sebastian Kurz hat in der Krise lange Zeit vor allem auf sich selbst vertraut – zuletzt aber sogar Wiens roten Bürgermeis­ter Michael Ludwig an Bord geholt.
Sebastian Kurz hat in der Krise lange Zeit vor allem auf sich selbst vertraut – zuletzt aber sogar Wiens roten Bürgermeis­ter Michael Ludwig an Bord geholt.

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