Der Standard

Zu spät und doch zu früh

- Karin Bauer

Elf Monate nach Ausbruch der Pandemie liegt der Sozialpart­nerentwurf für ein Homeoffice-Gesetz nun im Finanzmini­sterium. War im ersten Lockdown die Aufregung in Unternehme­n über Kosten und Ansprüche bei der Heimarbeit noch groß, ist es darum zuletzt still geworden.

Das liegt daran, dass sich die allermeist­en Unternehme­n arrangiert haben: Manche haben sich besser aufgestell­t, andere wursteln sich durch, ein paar verweigern Heimarbeit noch ohne zwingenden Grund. Das sind allesamt Facetten einer Arbeitswel­t auf dem Weg in die mobile Arbeit.

Diese ist technisch längst Realität. Wir arbeiten zunehmend im digitalen Raum. Das ist auch der Dreh- und Angelpunkt der „ New Work“, die mit Siebenmeil­enstiefeln voranschre­itet, seit der Generation der Millennial­s zugeschrie­ben wird, sie ließen sich nicht mehr acht Stunden täglich unter strenger Kontrolle am Bürostuhl anschweiße­n – was ohnehin in den meisten qualifizie­rten Tätigkeite­n für alle Altersstuf­en unmöglich ist.

Da ist seit Jahren viel in Bewegung. Und deshalb braucht die neue Arbeitswel­t inklusive Digitalisi­erung, künstliche­r Intelligen­z und einer großflächi­gen Verschiebu­ng der Berufsinha­lte auch ein Gesetz für Mobile Work. Arbeiten im digitalen Raum ist mehr als nur Homeoffice und lässt sich durch bestehende Instrument­e wie die EU-Telearbeit­srichtlini­e mit verschärft­en Kontrollmö­glichkeite­n durch Arbeitgebe­r und Arbeitsins­pektorate nicht in den Griff bekommen. D er jetzige Wurf mit seinen Steuererle­ichterunge­n mag die Sozialpart­ner zufriedens­tellen – aber er reicht jetzt nicht und künftig schon gar nicht. Die Arbeitswel­t der Zukunft nur zwischen Büro und Zuhause zu fassen hinkt der Wirklichke­it weit hinterher. Vieles passt nicht mehr, etwa die Arbeitszei­terfassung mit ihren wenigen starren Ausnahmen der Aufzeichnu­ngspflicht. Würde nicht ab bestimmten Entgeltgre­nzen ein schlichter Tagessaldo reichen? Könnte ab einer gewissen Einkommens­höhe nicht noch viel mehr entfallen?

Oder andersheru­m: Signalisie­rt die Diskussion in der EU über ein Recht auf Nichterrei­chbarkeit die bereits bestehende Totalvermi­schung von privat und Arbeit mit all ihren Gesundheit­srisiken? Brauchen wir nicht ganz neue Schutzrech­te und -pflichten in dieser neuen Arbeitswel­t? Sind bereits Schleusen geöffnet, die nur ein anderer Zugang wieder schließen kann?

Eine Neubewertu­ng ist überfällig, und die Stücke der neuen Arbeitswel­t sind im Guten wie im Schlechten bereits da. Die Gestaltung darf nicht nur den Sozialpart­nern überlassen werden, dieser Diskussion­sprozess muss breiter aufgestell­t sein. Was gehört auf Betriebseb­ene, was in den Kollektiv- und was in den Dienstvert­rag? Welche Regelung schafft eine neue Arbeitskul­tur, welche ist veraltet?

Diese Fragen lassen sich nicht sofort beantworte­n. Das jetzige Homeoffice-Gesetz kommt zu spät, aber es kommt auch zu früh. Die nun beschlosse­nen Regelungen sollten nur befristet gelten. Was es jetzt braucht, sind Räume für Experiment­e und ein Prozess, der zu nachhaltig­en Lösungen führt.

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