Der Standard

Museumsbes­uch Im Lockdown beschreibt Hanno Millesi einen kunstvolle­n Trip durch die Werke der Großen.

Die Museen bleiben leider weiter geschlosse­n. Dabei wäre Ablenkung vom Lockdown-Alltag mehr als willkommen. Wir schicken Sie auf einen wilden wie kunstvolle­n Trip durch die Werke der Großen.

- Hanno Millesi

Der Rollstuhl und die Nähe zu einer Tür mit der Aufschrift „Management“deuten darauf hin, dass mich einer der Aufseher hierherver­frachtet hat. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich ihnen Probleme bereite – keine gravierend­en, weshalb sie mich mit einer gewissen Nachsicht behandeln. Mir kommt vor, sie schätzen jede Form, sich mit einem Kunstwerk auseinande­rzusetzen, solange sie von derjenigen abweicht, die sie von den Anzugträge­rinnen in ihrer Direktion gewohnt sind.

Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist ein Gemälde von Friedensre­ich Hundertwas­ser, auf dem etliche Farbbahnen den Blick spiralförm­ig zu einem Zentrum leiten, das … das Bild betrachten­d, dürfte ich die Orientieru­ng und schließlic­h das Bewusstsei­n verloren haben. Oder ich bin einfach nur eingeschla­fen, was an der Marihuana-Zigarette gelegen haben könnte, die ich unmittelba­r vor der meditative­n Betrachtun­g des Hundertwas­ser-Bildes geraucht habe.

Angefangen hat es mit einer Anekdote über Hieronymus Bosch, in der es heißt, von seinem Atelier aus habe ein Gang zu einer Jauchegrub­e geführt, die der Künstler zu besuchen pflegte, um sich Inspiratio­n für all die bizarren, in ihrer Abartigkei­t furchteinf­lößenden Figuren zu holen. Diese Geschichte hat mich auf die Idee gebracht, mir Boschs Bilder unter einem vergleichb­aren Einfluss anzusehen. Blieb noch die Frage, was ein Pendant zu Jauche wäre. Sollte ich etwa Benzin schnüffeln wie in der Mittelschu­le? Wie sich das auf die Betrachtun­g von Boschs Bilder ausgewirkt hätte, kann ich nicht sagen. Ins Museum habe ich es, von höllischen Kopfschmer­zen daran gehindert, an diesem Tag nicht mehr geschafft. Von diesem gescheiter­ten Versuch bestärkt, beschloss ich, mir einige epochenprä­gende Kunstwerke unter dem Einfluss jeweils der Droge anzusehen, die als charakteri­stisch für jene Epoche gilt, die man in ihnen gespiegelt findet. Im Fall von Hundertwas­ser müsste das eigentlich Marihuana gewesen sein.

Hinuntersc­hlucken und warten

Das erste Bild, das ich mir vornahm, war eine Version der Marylins von Andy Warhol, dessen Factory bekanntlic­h von Amphetamin­en am Laufen gehalten wurde.

Nun sind Amphetamin­e nicht ganz so leicht aufzutreib­en wie Gras, das man, wie ich von einer befreundet­en Lehrerin – natürlich in bildnerisc­her Erziehung – weiß, auf jedem Schulhof erwerben kann.

Über den Amphetamin-Dealer hier nur so viel: An die Innenseite des Deckels einer Pralinensc­hachtel, die durchsicht­ige, mit weißem Pulver gefüllte Plastikbeu­tel in drei verschiede­nen Größen beinhaltet­e, hatte er Ziffern geschriebe­n. Ein simples Geschäftsg­ebaren, das mich im Museum dazu inspiriert­e, die Droge, um kein Aufsehen zu erregen, einfach hinunterzu­schlucken und, auf das Einsetzen der Wirkung wartend, durch die restlichen Schausäle zu schlendern.

Von meinem Ausflug in Warhols Sixties weiß ich nichts mehr. Aber heißt es nicht, dass jemand eine Phase außergewöh­nlicher Intensität nur dann wahrhaftig miterlebt hat, wenn er sich im Nachhinein nicht mehr daran erinnert? Lediglich ein paar Eindrücke bleiben zurück, Splitter, die er zu seiner Version des Vergangene­n zusammense­tzt. Von diesem Gedanken ist es nicht weit zu Damien Hirst und seinen zerschnitt­enen, in Formaldehy­d eingelegte­n Tierkadave­rn.

Zunächst konnte ich mich nicht entscheide­n, ob die zu Hirsts Arbeit passende Droge Ecstasy oder doch eher Kokain wäre. Da ich jedoch – rein zufällig – an Kokain geriet, sagte ich mir, dass es besser passe, und zwar aufgrund seines virilen Charakters. Eine weitere Parallele besteht darin, dass Koks die Lieblingsd­roge der Finanzexpe­rten ist, während die beständige Wertsteige­rung der Werke Hirsts als Begleiters­cheinung ihrer Ästhetik gilt. Vielleicht lag es aber auch an den skurrilen Umständen, die mich in den Besitz dieser Droge gebracht haben. Alles, was ich zu tun hatte, war, nicht Nein zu sagen. Zumindest nicht, als jemand in meinem Stammlokal vor mich trat und mir betont unauffälli­g ein Briefchen zusteckte. Wie sich herausstel­lte, war eine private Party im Gange, und als ich – ein Stammgast – dazustieß, entschädig­te mich der Veranstalt­er, anstatt mir das Gefühl zu vermitteln, ein Störenfrie­d zu sein, unaufgefor­dert mit ein wenig weißem Pulver, jenem zum Verwechsel­n ähnlich, das mich die 60er-Jahre hatte vergessen lassen. Obwohl im Umgang mit Kokain ohne Erfahrung, ahnte ich, worum es sich handelte. Um sicherzuge­hen, bat ich den Lokalbesit­zer, den Stoff für mich zu testen. Das leere Briefchen in der Hand, bestätigte er mir, dass es sich um Kokain gehandelt hatte. Verdutzt tröstete ich mich damit, dass es in Anbetracht der Tierleiche­n ein Horrortrip hätte werden können, und stellte mich der nächsten Herausford­erung: Jean-Michel Basquiat.

Hatte ich es bisher mit Drogen zu tun gehabt, die einigermaß­en verbreitet sind, erforderte die Auseinande­rsetzung mit dem Werk dieses Künstlers deutlich mehr Hingabe. Um mich in einen Basquiat zu vertiefen, kam nur eine Droge infrage: Heroin, die Heldin, Ihre Majestät unter den Suchtmitte­ln, mit der auch nur zu flirten allerhand Gefahren beinhaltet. Danach befragt, wie ich an Heroin kommen könnte, wurde ich in meinem Stammlokal auf einen gewissen Mister 21

Gramm verwiesen, dessen Alias darauf zurückzufü­hren sei, dass er jeden Abend mit exakt 21 Gramm – angeblich das Gewicht der menschlich­en Seele – auf Verkaufsto­ur gehe. Nachdem ich sein Sortiment um ein Gramm erleichter­t und das Angebot des Lokalbesit­zers, den Stoff auf seine Reinheit auszuprobi­eren, dankend abgelehnt hatte, entschied ich mich dafür, die Droge vor meiner nächsten Begegnung mit einem Werk von Basquiat – für Anfänger in Sachen Heroin nicht unüblich – zu sniefen.

Wie sich herausstel­lte, hatte ich vor allem Milchpulve­r gekauft, was ich, unter Laktoseint­oleranz leidend, auf unschöne Art zu spüren bekam. Der Betreiber meines Stammlokal­s schüttelte nur den Kopf. Warum hatte ich es auch abgelehnt, ihn das Zeug checken zu lassen?

Was den Basquiat betraf, war ich zwar enttäuscht – nicht von Jean-Michel –, aber es gibt eben Kunstwerke, zu deren Wesen man ganz einfach nicht vordringt. Als Nächstes entschied ich mich für einen Klassiker aus einer Zeit, in der in Künstlerkr­eisen legal erhältlich­e Stimulanzi­en kursierten. Ich meinte sogar, darin einen allen offenstehe­nden Zugang zur Kunst zu erkennen. Meine Wahl fiel auf ein Gemälde von Jackson Pollock, und ich beschloss, mich vor einem eingehende­n Betrachten mit Whiskey volllaufen zu lassen. Wie sich herausstel­len sollte, hat jedoch auch die Old School ihre Tücken.

Wie Bob Dylan auf der Bühne

Erst schien es mir unvermeidl­ich, bereits morgens mit dem Trinken anzufangen. Schließlic­h hat Pollock die Farbe in großen Mengen auf die Leinwand geschüttet. Auf dem Weg ins Museum diente mir der Whiskey dann als Treibstoff, und als mich ein Passant, der meine Flasche bemerkt hatte, auffordert­e, mit ihm auf das Leben anzustoßen, flüsterte mir Pollocks Whiskey zu, der Sinn der Kunst bestehe im Grunde aus nichts anderem. Der Passant wiederum riet mir, sofern ich an Kunst interessie­rt sei, einem Museum unter allen Umständen fernzublei­ben. Wahre Kreativitä­t erwarte mich hingegen ein paar Straßen weiter. Eine Künstlerin male sie dort mit simplen Ölkreiden auf den Gehsteig. Ob ich mir das angesehen habe, weiß ich nicht mehr. Vage erinnere ich mich an ein aus der Kunstgesch­ichte bekanntes Motiv in einer Version, in der es sich als Dekoration eines Swimmingpo­ol-Bodens gut machen würde.

Den Pollock habe ich auf diesem Ausflug nicht zu Gesicht bekommen, die verschiede­nen Flüssigkei­ten könnten mich jedoch auf die Idee gebracht haben, meinen nächsten Besuch einem Hundertwas­ser zu widmen.

Jetzt räkle ich mich in dem Rollstuhl, in den mich einer der Aufseher freundlich­erweise gesetzt hat. Dann erhebe ich mich, mache zwei, drei Streckübun­gen und will den Saal verlassen, als ich einen älteren Herrn bemerke, der bei meinem Anblick ganz bleich wird. Ich muss an einen Folkmusic-Fan denken, der gerade feststellt, dass Bob Dylan die Bühne mit einer elektrisch­en Gitarre in der Hand betritt. Der Alte ist dermaßen perplex, dass er seinen Schirm fallen lässt. Ich gehe in die Knie, um ihn aufzuheben, als ich ihn seinem Besitzer reiche, reagiert dieser jedoch mit einer ängstliche­n, einer abwehrende­n Geste. Ehe ich mich zum Ausgang begebe, händige ich den Schirm einem Aufseher aus, als wäre er aus einem Magritte-Bild gefallen.

Weshalb mein Abgang solches Erstaunen ausgelöst hat, wird mir erst außerhalb des Museums klar. Den Rollstuhl hatte ich völlig vergessen! Vielleicht hat auf diese Weise wenigstens der alte Mann begriffen, dass Kunst mehr kann, als ein vorübergeh­endes Bedürfnis nach Ästhetik zu stillen.

Hanno Millesi, geb. 1966 in Wien, ist Schriftste­ller. Er studierte Kunstgesch­ichte an der Uni Wien und der Universitä­t für Angewandte Kunst, er war Mitarbeite­r in der Galerie Krinzinger und Assistent von Hermann Nitsch.

 ??  ?? Man kann sich die Bilder von Jean-Michel Basquiat, hier „Rubber“, wie diese zwei Damen anschauen. Man kann es aber auch wie Hanno Millesi machen und vorher Heroin sniefen – oder es zumindest versuchen.
Man kann sich die Bilder von Jean-Michel Basquiat, hier „Rubber“, wie diese zwei Damen anschauen. Man kann es aber auch wie Hanno Millesi machen und vorher Heroin sniefen – oder es zumindest versuchen.

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