Der Standard

Bis das Patriarcha­t in die Knie geht

Konsumenti­nnen aller Länder, vereinigt euch: Die emeritiert­e Oxford-Professori­n Linda Scott wirft in „Das weibliche Kapital“einen Blick auf ebendieses.

- Andrea Heinz

Jetzt, wo allerorten darüber zu lesen ist, welche massiven Einbußen es für Händler bedeutet, wenn sie das Weihnachts­geschäft nicht oder zumindest nicht zur Gänze mitnehmen können, versteht man erst, wie genial der Vorschlag ist, den die Britin Linda Scott in Das weibliche Kapital macht.

Sie hat die – durchaus ein wenig häretische – Idee, dass Frauen nicht mit Argumenten, Appellen an Gerechtigk­eitssinn oder Solidaritä­t, sprich als vernunftbe­gabte, fühlende Wesen für ihre Rechte kämpfen sollen , sondern in ihrer Funktion als Konsumenti­nnen. Das ist bitter, nur muss man natürlich den Feind mit den eigenen Waffen und so ...

Scotts Idee: Frauen, die in Westeuropa und Nordamerik­a über 75 Prozent der Verbrauche­rausgaben kontrollie­ren und deren Ausgaben weltweit einen Markt repräsenti­eren, der dreimal so groß wie Chinas

BIP ist, sollten, in einer konzertier­ten Aktion, 20 Prozent weniger für die Weihnachts­einkäufe ausgeben. Und nächstes Jahr wieder 20 Prozent von den 80 Prozent und immer so weiter, bis das Patriarcha­t in die Knie geht.

Scott, emeritiert­e Professori­n für Entreprene­urship und Innovation an der Universitä­t Oxford, gilt als Erfinderin der sogenannte­n Double X Economy, einer Methode, um die Rolle der Frauen in der globalen Wirtschaft zu untersuche­n.

Das weibliche Kapital ist das Ergebnis ihrer jahrelange­n, weltweiten Forschung zu dem Thema. Sie zeigt darin, dass es so etwas wie geschlecht­sneutrale Ökonomie nicht gibt. Oder besser: dass eine geschlecht­sblinde Wirtschaft nicht nur den einzelnen Individuen, sondern letztlich auch sich selbst schadet.

Es gibt schon lange eine feministis­che Ökonomie, die etwa den Blick auf weibliche Care-Arbeit lenkt. Die ist so etwas wie die unsichtbar­e Krücke einer jeden Volkswirts­chaft: Ohne Frauen, die Kinder großziehen und ihren Männern „den Rücken freihalten“, könnte keine davon bestehen.

Bezahlt oder auch nur als Geldwert erachtet wird diese Arbeit deshalb noch lange nicht. Scott geht weiter, wenn man so will, ist ihr gut 400 Seiten starkes Buch ein Rundumschl­ag: Sie zählt in deprimiere­nder Gründlichk­eit auf, was auf der Welt so alles schiefläuf­t – zumindest für Frauen.

Suche nach Alternativ­en

Von beinah archaisch anmutenden, aber immer noch praktizier­ten Frauentaus­ch- und Heiratsreg­eln, der faktischen Enteignung von Frauen durch (ihre Ehe-)Männer über sexuelle Belästigun­g am Arbeitspla­tz und die sexistisch-biologisti­sche Mär von den kleinen Frauengehi­rnen, die zur Mathematik gar nicht fähig sind, bis hin zur ungerecht verteilten Care-Arbeit, dem notorische­n Gender-Pay-Gap und lausigen Kinderbetr­euungsange­boten, die dazu führen, dass gerade im Westen immer weniger Kinder geboren werden (Deutsch

land und Österreich werden hier als besonders schlechte Beispiele gewürdigt).

Scott fährt aber nicht nur allerhand Datenmater­ial auf, um zu zeigen, dass Frauen nirgends (nirgends!) auf diesem Planeten vollständi­g gleichbere­chtigt sind. Ihre These ist vor allem: Es ginge der Wirtschaft, es ginge den Menschen und der Umwelt besser, gäbe es wirtschaft­liche Gleichbere­chtigung.

Ihre Argumentat­ion ist schlüssig und von allerlei Datenmater­ial und zahlreiche­n Studien belegt. In Kürze lautet sie: Nachhaltig­es Wachstum ist möglich – einfach dadurch, dass man eine derzeit sträflich vernachläs­sigte Ressource in den Arbeitsmar­kt integriert. Frauen, die zuhauf und oft überdurchs­chnittlich gut ausgebilde­t zu Hause herumsitze­n, weil sie entweder von ihren Männern dort eingesperr­t oder durch Betreuungs­pflichten daran gebunden sind.

Bisweilen nervt Scotts missionari­scher Eifer: „Der Weg liegt hell und klar vor uns, die Aufgabe drängt, und die Möglichkei­ten sind groß. Lasst uns die XX-Ökonomie gemeinsam befreien, als Schwestern und Brüder, Seite an Seite.“Und wenn sie etwas globalisie­rungskriti­sche Aktivistin­nen wie Vanda Shiva knapp und pauschal abkanzelt, merkt man, wie starr ihre Ansichten in gewissen Punkten doch sind, wie wenig sie letztlich bereit ist, das bestehende Wirtschaft­ssystem an sich infrage zu stellen.

Wenn man nun aber von der Prämisse ausgeht, es gebe zu eben diesem kapitalist­ischen, globalisie­rten System keine Alternativ­e, kann man sich ihren Argumenten kaum verwehren. Zu offensicht­lich verweigern Männer (und manchmal auch Frauen) Frauen den Zugang zum Kapital und (globaler) Wirtschaft. Schon allein deshalb sollte man Das weibliche Kapital dringend lesen – es zeichnet ein sehr deutliches Bild der Welt und des Systems,

in dem wir leben.

 ?? Foto: Rick Bern ?? Es gibt keine geschlecht­sneutrale Ökonomie: Linda Scott.
Foto: Rick Bern Es gibt keine geschlecht­sneutrale Ökonomie: Linda Scott.
 ??  ?? Linda Scott, „Das weibliche Kapital“. Aus dem Englischen von Stephanie Singh. € 26,80 / 416 Seiten. Hanser, München 2020
Linda Scott, „Das weibliche Kapital“. Aus dem Englischen von Stephanie Singh. € 26,80 / 416 Seiten. Hanser, München 2020

Newspapers in German

Newspapers from Austria