Von Vorstadtweibern und Cottagemännern
Die „Vorstadtweiber“hatten schon bessere Zeiten, findet die Serienschauerin und grüne Parlamentarierin Eva Blimlinger. Nach wie vor aktuell hingegen: Männer und Frauen, die es sich richten. Beispiel: Impfdrängler, Titeljäger.
Eva Blimlinger im Interview Seite 32
Nico ist im Dauerrausch, Walli am Rande des Nervenzusammenbruchs, Hadi hängt am Porsche, und insgesamt ist ihnen wieder einmal kein Mittel zu schlecht, um ihre Ziele zu erreichen, die sie schließlich – wie immer – mit Pleiten, Pech und Pannen meilenweit verfehlen. Die fünfte Staffel der Vorstadtweiber, montags auf ORF 1, ist wie die vierte und alle davor. Entsprechend gedämpft ist Eva Blimlingers Begeisterung inzwischen für die Vorstadtweiber nach dem Buch von Uli Brée, für die sie am Anfang schwärmte. Als Serienschauerin und ehemalige Uni-Rektorin hat sie Ansprüche: „Die Aneinanderreihung von Szenen der Dumpfheit, der Intrige, das ist für den Aufbau zu wenig“, sagt die grüne Nationalratsabgeordnete im Serientalk mit dem STANDARD. Ähnliche Charaktertypen kennt sie aus dem realen Politikerinnenleben.
Standard: Die Serie liefert ein überspitztes Sittenbild der sogenannten besseren Gesellschaft, die natürlich nicht besser, sondern gierig, unverfroren, gleichzeitig unfassbar dumm ist. Tatsache?
Blimlinger: Zunächst ist zu sagen, dass in Wien mit Vorstadt das kleinbürgerliche, proletarische Milieu gemeint ist. Für mich sind die Vorstadtweiber Cottageweiber, denn die echten Vorstadtweiber kommen gar nicht in so eine Situation, Egoshooterinnen zu sein. Ja, natürlich gibt es die Cottageweiber. Sittenbild ist mir aber zu umfassend, ich würde lieber von einem Teilbereich der Wiener Gesellschaft sprechen.
Standard: Wo begegnen Ihnen die Cottageweiber? Als Lebensstil definiert, sind damit Männer genauso gemeint.
Blimlinger: In meinem parlamentarischen Umfeld begegnen mir eher Cottagemänner, weil Männer – wie in der Serie – den unmittelbareren Zugang zur Politik haben und in so einer Weise agieren.
Standard: Die Serie könnte man im weitesten Sinne als Kritik an der Klassengesellschaft verstehen: Die Großkopferten, die es sich richten und sich dabei saudumm anstellen. Da jubelt der Untertan – die Neidgesellschaft.
Blimlinger: Klar könnte man die Cottageweiber als Klassenkritik auffassen,
dazu bräuchte es aber ein Setting, in dem diese Struktur deutlich wird, denn wir verharren ja hier in einem bestimmten Milieu einer Klasse, wenn man es mit einem marxistischen Klassenbegriff sieht. Die wissen ja sehr genau, wie sie es anlegen, und sind damit manchmal erfolgreich, dann wieder nicht. Aber für die Idee, es sich zu richten, braucht man die Cottageweiber nicht. Das ist eine sehr allgemeine Haltung von sehr vielen Menschen.
Standard: Anscheinend auch in der Politik, Beispiel Impfvordrängelei. Die richten sich’s.
Blimlinger: Bedienen genau dieses Klischee. Auf der anderen Seite muss man fragen: Wäre es nicht gescheit, mit den Bürgermeistern, Bürgermeisterinnen zu beginnen, die viel mit Menschen zu tun haben und als Vorbild vorangehen sollten? Dann würde es heißen: Die richten sich’s. Würde man warten, würde es heißen: Schauts her, die Politiker lassen sich auch nicht impfen. Das mit der Neidgesellschaft ist oft nicht ganz leicht zu lösen. Die Bürgermeisterinnen, Bürgermeister gehören außerdem zum größten Teil ganz sicher nicht zur Upperclass, und das bestätigt, dass das Ich-richt-mir’sauf-meine-Art nicht auf eine Klasse beschränkt ist. Standard: Den Doktortitel hätte sich ein Cottageweib womöglich wie
die gerade abgelöste Arbeitsministerin verschafft.
Blimlinger: Jeder versteht, wenn Schülerinnen, Schüler voneinander
abschreiben. Das Verständnis für eine
abgeschriebene plagiierte schlechte Dissertation gibt es nicht, denn das ist Betrug. Aber ein Cottageweib braucht keinen Doktortitel.
Standard: Politiker kommen in Serien generell schlecht weg. Ärgert Sie das Image des Berufsstands? Blimlinger: Ich bin nicht korrupt, also warum soll es mich ärgern? Eine Serie, die ausnahmslos gute Politikerinnen zeigen würde, würde wahrscheinlich eine Quote von 50.000 Zuseherinnen haben.
Standard: Frauen tun sich angeblich schwerer mit Machtfragen. Aktuelles Beispiel ist die Abberufung von Birgit Hebein. Inwiefern ist sie über diese Schwäche gestolpert, die man Frauen in Machtfragen nachsagt? Blimlinger: Wie das Ganze gelaufen ist, war sicherlich schlecht. Aber den Zusammenhang mit Macht sehe ich hier nur sehr eingeschränkt. Die Frage ist doch, welche Möglichkeiten Frauen in Bezug auf Macht und Herrschaft überhaupt haben, ohne dass sie nicht sofort in Zuschreibungen und Klischees gepresst werden. Auch mit der Frage, die ihnen immer wieder gestellt wird, ob sie ein Problem damit haben, Macht auszuüben. Das würde man einen Mann nie fragen. Abgesehen davon habe ich ein Problem damit, dass Macht negativ konnotiert ist. Politikerinnen, Politiker sind dazu da, Macht auszuüben. Das heißt ja noch lange nicht, dass man autoritär herrschen muss, das muss man selbstverständlich demokratisch machen.
„Die Idee, es sich zu richten, ist eine allgemeine Haltung von sehr vielen Menschen.“
Eva Blimlinger
Standard: Wie haben Sie Macht gelernt?
Blimlinger: Ein zentrales Element von Macht ist, dass man im Wesentlichen angstfrei ist. Das heißt, genau das zum Ausdruck zu bringen, was man will, ohne sich vorher hundertmal aus Angst überlegen zu müssen, was die Konsequenzen sind. Angstfreiheit war mir immer eine gute Begleiterin.
EVA BLIMLINGER (59) ist seit 2019 grüne Nationalratsabgeordnete und Kultursprecherin. Davor war sie Rektorin an der Akademie für bildende Künste.