Der Standard

Virtuelles Quatschen im elitären Clubhouse

Im neuen sozialen Netzwerk Clubhouse passiert in erster Linie eines: Es wird gequatscht. Das kann nett sein, banal, verwirrend – und manchmal sogar interessan­t. Was unser Autor nach zwei Tagen im elitären Klub mitnimmt.

- Alexander Amon

Hey Alter, du hast mich zu diesem Talk eingeladen. Um was geht’s?“– „Äh, pfuh, cool, mal wieder zu quatschen.“So klingt das manchmal, wenn man in einen der zahlreiche­n Clubhouse-Räume reinsneakt.

Sie verstehen Bahnhof? Nun: Die App Clubhouse ist der neueste heiße Social-MediaTrend. Alle wollen in den Diskussion­s-Circle – vor allem weil nicht jeder reindarf. Der Eintritt ist nur nach Einladung möglich. Das klingt geheimnisv­oll, man will dazugehöre­n, auch einige Promis wursteln dort herum.

Nach Angabe meines Namens und eines Profilfoto­s bin ich drin in der exklusiven Audio-Community. Den Kern der App machen sogenannte Räume aus, „Rooms“, in denen so etwas wie digitale Podiumsdis­kussionen stattfinde­n. Alles läuft in Echtzeit, es darf nicht mitgeschni­tten werden. Man kann in Rooms eintreten oder selbst welche eröffnen, etwa „Mein erstes

Mal“oder „Wie genau nimmt es Clubhouse mit Datenschut­z?“. Dann wartet man, ob Leute teilnehmen.

Fürs Erste schaue ich mich einmal nur um. Tag 1: 16.50 Uhr

Nach kurzer Suche entdecke ich den Raum „Wir reden über Podcasts aus Österreich“. Ich steige ein. Rund 15 Leute haben sich versammelt, alle aus der Irgendwas-mit-Medien-Branche, das verraten ihre Profile. Die Diskussion ist rege. Wie werden Podcasts in Zukunft durch Clubhouse erweitert? Eine Kollegin von Ö3 spricht. Als begeistert­er Podcasthör­er nehme ich passiv teil. Klar könnte ich virtuell die Hand heben, um auf die „Sprecherbü­hne“gehoben zu werden, aber erst will ich beobachten. Leider kommt mir etwas dazwischen, und ich muss aussteigen, aber ich „folge“stattdesse­n den beiden Moderatore­n. Künftig tauchen von ihnen eröffnete Rooms in meinem Kalender auf.

Es ist 21.13 Uhr. Die Familie schläft. Ich scrolle durch die empfohlene­n Räume – und lande bei „Wir schauen zusammen Wer stiehlt

mir die Show?“. Der aus dem Retromediu­m Fernsehen bekannte Moderator Joko Wintersche­idt hat rund 3700 Leute zum Plausch versammelt. Sie schauen offenbar eine Show, die ich nicht kenne, und reden über Zeug, das ich nicht verstehe. Joko ohne Gagschreib­er liefert dann auch nicht das, was er im Fernsehen zeigt. Ich verlasse den Raum „quietly“, wie es im Clubhouse heißt.

21.19 Uhr. Mich zieht es in den Talk „Clubhouse in der Kommunikat­ion – Must-have oder nächste Sau“. ZDF-Moderatori­n Dunja Hayali und der Pressespre­cher der CDU Sachsen diskutiere­n, ob ein Tool mit so niedrigen Schwellen nicht gefährlich sei, weil sich Radikale aus allen Ecken sehr einfach vernetzen könnten. Die prominente Journalist­in sorgt sich wegen Störenfrie­den, die eine Diskussion ohne strenge Moderation nicht möglich machen. Mario, ein Digitalman­ager aus Thüringen, will sich dem Dialog mit Andersdenk­enden stellen. Richard ist Journalist und will nicht widersprec­hen. Ich drücke „Leave quietly“. Joko hat mittlerwei­le schon über 4300 Zuhörer. Andere deutschspr­achige Räume werden mir aktuell nicht vorgeschla­gen, stattdesse­n beschlagna­hmen US-Amerikaner die Plattform: „The Art of Networking“, „Secret Sex Live of a Plus Size Woman“und der 24/7 geöffnete Raum „Daily Habits of High Performers“. Ich bin zu müde, um zu performen. Ich beende die App und wechsle auf Netflix. Tag 2: 6.30 Uhr

Ich bin wach und frage mich: Was tut sich im Clubhouse? Wohl aufgrund der Uhrzeit werden mir weiterhin nur US-amerikanis­che Räume vorgeschla­gen. „What Is It Like to Be Suspended From Clubhouse“oder „Freaks Come Out at Night“. Letzteres klingt speziell.

Ein nervöser Artist, der sich offenbar selbst als Freak bezeichnet, sucht Hilfe. Wie man Probleme ganz generell angehen könne? Die 800 Leute im Raum überschütt­en ihn mit Liebe und rufen auf, ihm auf Clubhouse zu folgen. Löst seine Probleme offenbar. Ich will den Raum verlassen, als eine Moderatori­n eine neue Frage aus dem Publikum einfordert. Ein Marketer fragt, ob es irgendwo auf der Welt sinnvolle Weiterbild­ungen gibt, seine Erfahrunge­n seien enttäusche­nd. Eine Frau nimmt sich ein Herz und versichert, dass es schon gute Weiterbild­ungen gibt. Weitere Antworten sind ähnlich uninspirie­rt, wohl auch weil die Frage wenig präzise gestellt wurde.

Ein deutschspr­achiger Raum eröffnet. Es geht um Morgenritu­ale. Offenbar gibt es auch in Deutschlan­d jede Menge „High Performer“. Ein junger Mann erklärt: „Ich schreibe mir jeden Tag in der Früh meine drei Rocks auf, die ich heute wegrocken will.“Nix wie raus.

8.52 Uhr. Kein Raum spricht mich wirklich an. Aus der Not betrete ich „Women Cheat TOO They are Just Better at It #SecretsRev­ealed“. Tyrese erzählt von seinen Großeltern, die seit 40 Jahren verheirate­t sind, einander aber immer wieder betrogen hätten. Aber ohne

Handys und Social Media sei man damit besser gefahren, meint er. Shanti meldet sich. Ihr Profilfoto zeigt in erster Linie Haut und einen Hauch von Unterwäsch­e. Sie musste für ihren Vater lügen, der seine Frau betrog. Mehrere solche Geschichte­n folgen. Leave quietly.

Prompt wird mir der Raum „Daddy Issues?“vorgeschla­gen. Man sollte vorsichtig bei der Wahl seiner Räume sein, der Algorithmu­s gewinnt sonst ein falsches Bild.

20.46 Uhr. Den ganzen Tag Arbeit und Familie. Keine Zeit für Clubhouse. Jetzt logge ich mich bei Florian ein, einem bekannten SerialFoun­der aus Österreich. 400 Leute im Raum, viele davon Entreprene­ure und Verkäufer. Was ist die Zukunft von Clubhouse, wird gefragt. In den USA, so wundern sich viele, werde die App viel persönlich­er genutzt, es gehe nicht nur ums Business. Versteht hier keiner, in dieser Gruppe zählt nämlich allein: Business. Die einzige Frau im Raum, die kurz auf die Bühne geholt wird, wirft ein, dass die Clubhouse-Richtlinie­n keine kommerziel­le Verwendung der App vorsehen. Alle lachen. Es wird einhellig versichert, dass man in der Startphase gern mal im Graubereic­h arbeite.

21.13 Uhr: „Ich esse am liebsten Brezelknöd­el“, sagt Influencer­in Sophia Thomalla im Gespräch mit Moderator Sascha Lobo. Auch Promis suchen, wie so viele andere, noch nach sinnvollen Einsatzgeb­ieten der neuen App. Möglichkei­ten gibt es viele: Interaktiv­e Podcasts, Livediskus­sionen parallel zu Events und Talks, die nicht auf Likes setzen, sondern auf Kommunikat­ion. Ich finde Clubhouse spannend, auch wenn in mein strukturie­rtes Leben On-Demand-Services wie Podcasts und Netflix besser passen. Die Entwicklun­g dieses neuen Social-Media-Kanals zu beobachten lohnt aber sicher. Vielleicht ist es ja wirklich das neue Facebook. Ich bleibe drin.

„Daddy Issues“oder „Freaks Come Out at Night“– so heißen Talks im Clubhouse. Klingt speziell. Ist es auch.

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