Der Standard

Blau-gelber Umweltkrim­i

Im Osten von Wiener Neustadt sorgt eine geplante Straße für Wirbel und beschäftig­t Gerichte. Der ÖVP-Bürgermeis­ter argumentie­rt mit der Entlastung der Innenstadt. Ein wichtiges Schutzgebi­et werde zerstört, warnen Kritiker. Ein blau-gelber Umweltkrim­i um b

- Nora Laufer

Verkehrsin­teressen, Nagetierfa­milien und jede Menge Hickhack: Ein geplanter Straßenbau nahe Wiener Neustadt sorgt für Wirbel.

Etwas weniger als fünf Straßenkil­ometer entwickelt­en sich in Niederöste­rreich zum Politikum – dabei wurden sie noch nicht einmal gebaut. Derzeit ist auf dem Areal zwischen Wiener Neustadt und Lichtenwör­th vor allem eines zu sehen: Ackerland. Bis auf leises Vogelgezwi­tscher herrscht Stille. Nur einzelne Jogger laufen mit ihren Hunden an den im Jänner noch brach liegenden Feldern entlang. Künftig soll hier die sogenannte Ostumfahru­ng den Straßenrin­g um die zweitgrößt­e Stadt Niederöste­rreichs schließen. Rund 14.200 Fahrzeuge pro Tag werden voraussich­tlich auf der Straße unterwegs sein.

Erste Überlegung­en zu dem Projekt stammen aus den 1950er-Jahren. Seither beschäftig­t der Plan gleicherma­ßen seine Gegner und Befürworte­r. Auf der einen Seite stehen mehrere Bürgerinit­iativen, die den Bau verhindern wollen – aus Naturschut­zgründen, weil sie das Projekt für gestrig halten oder weil sie in der Nähe wohnen. Auf der anderen Seite befindet sich der ÖVPBürgerm­eister Wiener Neustadts, Klaus Schneeberg­er, der von einer Entlastung der Innenstadt spricht. Auch darüber hinaus hat das Projekt all das, was ein kleiner Umweltkrim­i benötigt: einen abgesetzte­n Gemeindera­t, ein gefährdete­s Nagetier und jede Menge Hickhack.

Die Ostumfahru­ng ist nur eines von vielen Infrastruk­turprojekt­en in Österreich, die regelmäßig auf Widerstand stoßen. Wie sich die grüne Regierungs­beteiligun­g nach dem türkis-blauen Anschub für Straßen auswirken wird, ist bisher noch nicht absehbar.

„Es ist ein Relikt aus einer völlig versunkene­n Zeit“, sagt Helmut Buzzi und deutet mit der Hand dorthin, wo künftig die Straße verlaufen soll. Der hauptberuf­liche Coach steht mit Lederjacke und rotem Flanellhem­d auf dem Acker. Seit rund einem Jahr ist Buzzi Teil der Initiative „Vernunft statt Ostumfahru­ng“, die die Versiegelu­ng der 20 Hektar Boden verhindern will. Knapp 40 Millionen Euro soll der Bau kosten.

Die Trasse sei „eine falsche Weichenste­llung für Jahrzehnte“. Das Projekt sei mit Klimaschut­zzielen nicht kompatibel; die Straße soll zudem durch ein Naherholun­gsgebiet verlaufen. Nicht zu vergessen seien Lärm- und Luftversch­mutzung, zählt der Sprecher der Initiative auf. Diese will ein „breites bürgerlich­es Lager“an Bord holen. Das sei nicht leicht, sagt Buzzi. Er spricht von einem „Klima aus Macht und Angst“. Nichtsdest­otrotz würden immer mehr Anrainer den Mund aufmachen. Knapp 3000 Menschen haben bisher die Onlinepeti­tion gegen den Bau unterzeich­net. Durch ein Schutzgebi­et

Bei einer Führung entlang der geplanten Trasse trifft Buzzi auf Georg Panovsky, der sich seit Jahren gegen den Bau der Straße engagiert. „Es ist ein Steinzeitp­rojekt“, sagt der grauhaarig­e Mann mit Brille. Die Trasse soll nur 123 Meter neben seinem Haus verlaufen. Noch dazu würde sie ein Natura-2000-Schutzgebi­et durchquere­n – und damit die Heimat des Ziesels, eines kleinen Nagetiers, das in Österreich auf der Roten Liste gefährdete­r Tierarten steht. Die Nager sollen umgesiedel­t werden und künftig neben der B17 wohnen. Eine „Farce“, beschreibt Panovsky die Aktion.

Der Anrainer wollte das Projekt mit seinen Mitstreite­rn vor dem Bundesverw­altungsger­icht zu Fall bringen. Geklappt hat das nicht. Das

Gericht bestätigte den positiven Bescheid der Umweltvert­räglichkei­tsprüfung einen Tag vor Weihnachte­n. Alternativ­en, ob eine Entlastung durch andere Maßnahmen erreicht werden könnte, wurden nicht geprüft, kritisiert Panovsky.

In Wiener Neustadt positionie­ren sich nur die Grünen gegen das Projekt; ÖVP, FPÖ und SPÖ pochen auf die Umsetzung. Auf der anderen Seite der geplanten Trasse, in Lichtenwör­th, hat die Umfahrung für politische­n Wirbel gesorgt. Der bisherige SPÖ-Umweltgeme­inderat, Daniel Hemmer, und zwei Mitstreite­rinnen haben sich entgegen der Parteilini­e gegen den Bau geäußert – und wurden am Dienstag ihrer Ämter enthoben und aus der SPÖ Lichtenwör­th ausgeschlo­ssen. Grund dafür sei die Kritik an dem Projekt gewesen, meint Hemmer. „Man spricht von einer Trendwende, und dann wird so was gebaut.“

Zwei Drittel der Lichtenwör­ther Bevölkerun­g will der Niederöste­rreicher hinter sich wissen. Denn die Straße würde nichts an dem Durchzugsv­erkehr der Burgenländ­er Pendler ändern. „Es wäre genug Zeit gewesen, das Ganze abzulehnen.“

Doch gerade die Entlastung wird in Wiener Neustadt als zentrales Argument für den Bau genannt. ÖVPBürgerm­eister Klaus Schneeberg­er spricht von einer „Verkehrshö­lle“in der Innenstadt. Eine Umfahrung sei notwendig, „falls etwas auf der Autobahn passiert“. Auch das neue Klinikum im Norden der Stadt sei durch die Ostumfahru­ng besser erreichbar. Das Projekt entspreche allen ökologisch­en Anforderun­gen, sagt Schneeberg­er: „Ich glaube kaum, dass es eine Straße in Österreich gibt, die intensiver geprüft wurde.“

Aus Sicht des Bürgermeis­ters wurden Für und Wider gut abgewogen. „Natürlich ist es im Zeitgeist, die Straße nicht zu errichten“, gibt der schwarze Politiker allerdings zu. Ob das Vorhaben mit Klimaschut­zzielen vereinbar sei? „Es wird immer notwendig sein, Straßen zu errichten“, so Schneeberg­ers Antwort. Die Befürchtun­gen der Gegner, dass um die Trasse Gewerbeflä­chen entstehen sollen, schiebt der ÖVP-Politiker zur Seite: „Das ist überhaupt nicht angedacht.“

Auch dafür, dass ausgerechn­et jene Bürgerinit­iative, die sich für den Bau der Umfahrung einsetzt, die gleiche Adresse wie die ÖVP Wiener Neustadt benützt, hat Schneeberg­er eine Erklärung: Man sei der Initiative entgegenge­kommen, damit die Bürger nicht ihre Privatadre­ssen verwenden müssten. Keine Gewerbeflä­chen

Für die Innenstadt plant Schneeberg­er Großes: Im Zentrum soll ein begrünter Boulevard entstehen. Die Grazer Straße soll verkehrsen­tlastet werden; zudem sei ein Lkw-Fahrverbot geplant, eine Verjüngung der Straßen und eine Geschwindi­gkeitsbegr­enzung. Derzeit sei der Rückbau nicht möglich, da es sich um eine Bundesstra­ße handle. Das stimme nicht ganz, sagt Ulrich Leth von der TU Wien. Die Grazer Straße sei eine Landesstra­ße und – mit dem Okay von Länderseit­e – durchaus rückbaubar.

Leth, der die Petition gegen den Bau unterzeich­net hat, ortet in dem Projekt einige Probleme: „Zusätzlich­e Straßen ziehen Verkehr an.“Würden weitere Kapazitäte­n geschaffen, um schneller an ein Ziel zu kommen, würden Menschen das Angebot auch nützen. Zudem würde die Ostumfahru­ng den Quell- und Zielverkeh­r nicht reduzieren. Der Experte versteht nicht, wieso die geplanten Begleitmaß­nahmen nicht als Erstes umgesetzt wurden. „Dann wäre die Umfahrung vielleicht gar nicht mehr notwendig.“Zudem führe die A2 direkt an der Stadt vorbei, für überregion­alen Verkehr spiele die Umfahrung keine Rolle.

Wird die Region durch das Projekt also tatsächlic­h entlastet? Nur bedingt. Ohne Begleitmaß­nahmen in der Innenstadt sei das Verlagerun­gspotenzia­l durch die Umfahrung „eingeschrä­nkt“, heißt es in einem Gerichtsgu­tachten. Darin wurde das zu erwartende Verkehrsau­fkommen auf zehn betroffene­n Straßenabs­chnitten analysiert. Demnach würde es durch die Ostumfahru­ng bis 2030 auf fünf der betroffene­n Straßen zu einer Entlastung kommen, auf den übrigen fünf allerdings zu einem höheren KfzAufkomm­en als ohne Umfahrung.

Bürgermeis­ter Schneeberg­er rechnet jedenfalls mit einem Baustart 2022, rund zwei Jahre würde es schließlic­h bis zur Fertigstel­lung dauern. Die Bürgerinit­iativen wollen sich nun an den Verfassung­sgerichtsh­of wenden. „Der Entlastung­sschmäh geht nimmer“, fasst Helmut Buzzi zusammen, bevor er die Tour entlang der Äcker beendet. Aufhören zu kämpfen will er nicht: „Ich sehe da ein Potenzial für ein zweites Hainburg.“

„Es ist ein Relikt aus einer versunkene­n Zeit.“

Helmut Buzzi über das Projekt

 ?? Fotos: STANDARD, Getty ?? Über diesen Acker soll künftig eine Straße verlaufen. Das Projekt sorgt in der Region für Streitigke­iten.
Fotos: STANDARD, Getty Über diesen Acker soll künftig eine Straße verlaufen. Das Projekt sorgt in der Region für Streitigke­iten.
 ??  ?? Die roten Linien zeigen den Verlauf der geplanten Ostumfahru­ng. Klaus Schneeberg­er hofft auf einen Baustart im Jahr 2022, mehrere Bürgerinit­iativen wollen das verhindern.
Die roten Linien zeigen den Verlauf der geplanten Ostumfahru­ng. Klaus Schneeberg­er hofft auf einen Baustart im Jahr 2022, mehrere Bürgerinit­iativen wollen das verhindern.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria