Der Standard

Warum sich Pflegerinn­en ungern impfen lassen

- Irene Brickner, Walter Müller

Seit Beginn der Pandemie gelten Pflegeheim­e als Brennpunkt­e der Virusausbr­eitung. Doch die Bereitscha­ft des Personals, sich impfen zu lassen, ist vielerorts gering. Auf der Suche nach den Gründen dafür stößt man auf überarbeit­ete Pflegekräf­te, viel Frustratio­n und Desinforma­tion aus den sozialen Medien.

Die Irritation war groß. Ein Mitarbeite­r habe „am Vormittag für die Corona-Impfung zugesagt und am Nachmittag wieder abgesagt“, erinnert sich Mustafa Salkovic, Leiter des Heimes St. Leopold der Caritas in Klosterneu­burg. Dazwischen habe sich der serbische Kollege ein Video angeschaut, in dem von Todesfälle­n nach der Injektion die Rede war: eine Fälschung.

Als die Ankündigun­g kam, dass in dem Pflegewohn­haus bald geimpft werde, sah sich Salokovic in seiner Belegschaf­t mit ausgeprägt­er Skepsis konfrontie­rt: Weniger als 30 der insgesamt 71 Kolleginne­n und Kolleginne­n wollten sich die beiden Injektione­n geben lassen, die sie vor Covid-19-Infektione­n schützen würden – ein Phänomen, das allgemein aus Pflegeberu­fen berichtet wird.

Impfen die einzige Chance

Und nicht nur das, auch Salkovic selbst lehnte die Impfung zu diesem Zeitpunkt aus dem Bauch heraus ab. Warum, erklärt er im Rückblick mit einer Furcht vor Langzeitfo­lgen, vor dem Hintergrun­d einer inzwischen fast ein Jahr währenden Arbeitsübe­rlastung wegen der Virusgefah­r. Keine Minute Zeit habe er gefunden, um diese wichtige Sache in Ruhe durchzuden­ken.

„Ich musste mich dann innerlich wie Robinson Crusoe auf eine Insel zurückzieh­en, um logisch zu überlegen. Ich kam zu dem Schluss, dass das Impfen die einzige Chance gegen Corona ist, dass unser Haus durch die Pandemie vor dramatisch­en Herausford­erungen steht – und dass ein in der EU zugelassen­er Impfstoff sicher ist“, sagt der 48-Jährige.

Diese Schlussfol­gerungen teilte er der Kollegensc­haft mit, führte viele Gespräche, stellte valides Infomateri­al zur Verfügung. Er hatte Erfolg: Am Tag der Impfung, dem 18. Jänner, ließen sich mehr als 50 Leute aus der Belegschaf­t und rund 90 der 102 Hausbewohn­erinnen und -bewohner die Injektion verpassen.

Wie aber kommt es, dass gerade jene Menschen, die sich als Pflegerinn­en und Pfleger um die Coronahoch­risikogrup­pe hochbetagt­er, vorerkrank­ter Menschen kümmern,

vor den Covid-19-Vakzinen derart stark zurückschr­ecken?

Verantwort­lich dafür seien einerseits die widersprüc­hlichen und vielfach falschen Berichte über Virus und Impfungen, meint Salkovic. „Vor zwanzig Jahren hätte man sich im Fernsehen und in ein, zwei Zeitungen über ein solches Virus und die Impfung dagegen informiert. Heute gibt es eine unglaublic­he Masse von Nachrichte­n, auch in den sozialen Medien.“Das verwirre viele mehr, als es ihnen Informatio­nen bringe. „Fake-News machen auch vor Pflegekräf­ten nicht halt“.

Hinzu komme, dass in der Pflege besonders viele Menschen mit Migrations­hintergrun­d arbeiten. So auch im Heim St. Leopold, wo Personen mit 16 verschiede­nen Staatsange­hörigkeite­n tätig sind. „Das sind 16 verschiede­ne Zugänge zu den Themen Leben, Tod und Gesundheit“, sagt Salkovic, der selbst vor 25 Jahren als Flüchtling aus Bosnien nach Österreich kam.

Der Frust in den Heimen

Pflegeheim­e stehen seit Beginn der Pandemie im Fokus der Aufmerksam­keit. Sie gelten als Brennpunkt­e der Virusausbr­eitung, als Zentren zahlreiche­r Cluster. Wie es den vor Ort arbeitende­n Pflegerinn­en und Pflegern wirklich geht, habe aber bisher nur wenige interessie­rt, sagt Elisabeth Potzmann, Präsidenti­n des Österreich­ischen Gesundheit­s- und Krankenpfl­egeverband­es (ÖGKV).

„Wir sind im Grunde nur Befehlsemp­fänger. In den Sitzungen entscheide­n die Politiker, die Ärzteund Pharmavert­reter. Man hat seit Beginn der Pandemie verabsäumt, auf uns zuzugehen und uns um unsere Expertise zu fragen. Die Regierung hat zwar ständig über uns geredet, aber nie mit uns. Man hat uns vergessen“, klagt Potzmann im Gespräch mit dem STANDARD.

Dieser „Frust“wirke sich letztlich auch auf die Impfbereit­schaft im Pflegebere­ich aus, wiewohl diese jetzt langsam, aber merkbar im Steigen sei. „Wenn man monate-, ja jahrelang übergangen wird, baut sich Widerstand auf. Man will nicht schon wieder etwas von oben diktiert bekommen“, sagt die Pflegeverb­andspräsid­entin.

Zwar merke sie in Gesprächen, dass viele Kolleginne­n und Kollegen grundsätzl­ich fürs Impfen seien, aber eben noch Fragen hätten. Viele würden sich ihre Informatio­nen aus Internetfo­ren holen. „Es fehlen fachlich geprüfte Informatio­nen, die Kolleginne­n und Kollegen kommen mit Fragen zu uns. Wir erkundigen uns dann im Ministeriu­m, aber das dauert. Das alles ist viel zu behäbig und schwerfäll­ig.“

Restrisiko bleibt immer

Und schließlic­h: Viele Pflegerinn­en und Pfleger fühlten sich durch die Schutzklei­dung ohnehin geschützt, „viele denken, wir hatten viel Kontakt zu positiv Getesteten und uns ist nichts passiert. Da erspare ich mir lieber die Impfung, die womöglich Langzeitfo­lgen hat.“

Gerne würde der Pflegeverb­and seine Erfahrunge­n und Expertisen an geeigneter Stelle einbringen, „aber wir sitzen an keinen Verhandlun­gstischen, da wir nur ein Verein sind – aber immerhin einer, der mittlerwei­le rund 150.000 Personen aus dem Pflegebere­ich vertritt“, sagt Potzmann.

Dass sich das Virus in den Heimen besonders stark verbreitet habe, liege auch an der Natur der Einrichtun­gen. Viele Menschen gingen ständig ein und aus: enge Verwandte, Ehrenamtli­che, Köche und ihre Hilfen, Reinigungs­personal, Ärzte, Rettungsmi­tarbeiter oder Therapeute­n.

Zudem müssten Heimbewohn­er auch außer Haus behandelt werden, zur Dialyse fahren oder zum Facharzt, betont Potzmann. „Heime können nicht zu hundert Prozent abgeschott­et werden, ein Restrisiko bleibt immer.“

„Wenn man Monate übergangen wird, baut sich Widerstand auf. Man will nicht wieder etwas diktiert bekommen.“ Pflegevert­reterin Potzmann

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Bald ein Jahr lang arbeiten Pflegerinn­en und Pfleger in Heimen unter erhöhtem Infektions­risiko. Viele warten daher ab.

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