Der Standard

Neue Lust auf nordisch

- Tom Rottenberg

Langlaufen boomt schon lange. Im Corona-Winter entdecken es aber auch Menschen, die früher nie auf schmale Bretter gesetzt hätten. Es gibt kein Gedränge vor Skiliften, die Ausrüstung ist vergleichs­weise günstig – und es gibt schnell Erfolgserl­ebnisse.

Ein Guide für Langlauf-Einsteiger.

Die seltsamen Blicke des Publikums, sagt Sonja Minar, müsse man eben ausblenden. Außerdem sei sie die gewohnt. Denn auch wenn die Wienerin letzten Sonntag wohl eine der Ersten war, die in der Bundeshaup­tstadt Langlaufsk­ier anschnallt­en, ist sie dabei ein „alter Hase“: „Ich kann gar nicht sagen, wie lange ich hier schon langlaufe.“

Der Satz mag anderswo in Österreich banal klingen. In der Großstadt Wien sorgt er für erstaunt hochgezoge­ne Augenbraue­n: Langlaufen in Wien? Auf der PraterHaup­tallee? Echt jetzt?

Echt. Denn genau hier, im Prater, war die Texterin am Sonntag unterwegs. Auf der „Reitallee“rutschte sie parallel zur Betonpiste die vier Kilometer zwischen Praterster­n und Lusthaus über rumpelig-vereisten, ungespurte­n Boden. Zwischen laufenden, Rad fahrenden oder flanierend­en Menschen. „Ich fahre mit Nordic Cruisern, mit denen brauche ich keine Loipe. Ich weiß gar nicht, wann die im Prater das letzte Mal gespurt worden ist“, lacht sie. Wie war das? Eine Loipe im Prater? Wiener Loipen

Die Loipe gibt es. Zumindest theoretisc­h. Wenn genug Schnee liegt, wird sie von der Stadt „amtlich“gespurt. Wobei der Schnee die Krux an der Sache ist: Auch wenn es offiziell immer noch acht Wiener Loipen (u. a. Prater, Donauinsel, Cobenzl und Wienerberg) gibt, ist der Link zur städtische­n Langlauf-Servicesei­te ebenso tot wie die Nummer des „Loipentele­fons“im Sportamt. Denn die 15 bis 20 Zentimeter Schnee, die nötig sind, um Loipen anzulegen, gab es in Wien zuletzt 2018 – und auch da hätten die Spuren gerade einen Tag gehalten, bedauert Sportamtss­precher Harald Lang: „Die Geräte stehen bei uns. Dass sie zum Einsatz kommen, ist aber extrem unwahrsche­inlich.“

Dennoch weiß Lang: Am Interesse der Bevölkerun­g würde es nicht scheitern. Schon gar nicht im Corona-Winter. Um das zu erkennen, bedarf es weder Studien noch Umfragen. Denn obwohl weder Verbände noch Touristike­r über valide, aktuelle Zahlen der Aktiven verfügen, ist der Trend dokumentie­rbar. Und für jeden und jede sichtbar: Heute sind mehr und andere Menschen auf Loipen, Routen und belanglauf­baren Wegen unterwegs als vor fünf, zehn oder 15 Jahren.

Ein kurzer Rundruf bei kleinen Langlaufde­stinatione­n in aus Ballungsrä­umen leicht erreichbar­en Regionen bestätigt, was die Privatempi­rie im Bekanntenk­reis ahnen ließ: Langlaufen zählt zu den sportliche­n Gewinnern der Covid-Krise.

Aus mehreren Gründen. Da ist die Corona-bedingte Unmöglichk­eit eines (Semesterfe­rien-)Skiurlaubs. Bilder von dicht gedrängt stehenden Massen bei Liften steigern die Lust auf Alpinskila­uf-Tagestrips nicht gerade, während der Lockdown gleichzeit­ig Sehnsüchte nach Natur und Bewegung verstärkt. Wo gibt es Material?

Der Vorteil des Langlaufen­s ist offensicht­lich: Während etwa Skitoureng­ehen – neben der Ausrüstung – auch „Skills“oder zumindest rudimentär­es Fachwissen braucht, ist Langlaufen vergleichs­weise einfach. „Jeder hat rasch Erfolgserl­ebnisse“, weiß Christa Strametz. Bei der Leiterin der Nordic Sports Academy in St. Aegyd am Neuwalde im niederöste­rreichisch­en Mostvierte­l laufen die Telefone dennoch heiß: Strametz’ fünf Langlaufin­struktoren dürfen derzeit Corona-Auflagen-bedingt zwar nicht unterricht­en, beim Materialve­rleih geht es aber rund. Und würde es der Expertin der Blick auf die auf den Loipen experiment­ierenden Tagesgäste („die meisten kommen aus St. Pölten, aus Krems und dem Wiener Raum, manche sogar aus dem Burgenland“) in der Langlaufre­gion auf 600 Metern Seehöhe nicht ohnehin verraten, wäre allein der Run aufs Leihgerät ein Indiz für den Boom: „Wer auf den Geschmack kommt, der kauft sich nämlich rasch eine eigene Ausrüstung.“

Und hofft wohl auch auf ein baldiges Ende des Kursverbot­s. Denn so einfach die „Basics“wirken mögen, so leicht man – im klassische­n Stil – vom Rutschen ins Gleiten kommt, zahlt, wer ohne Anleitung loslegt, doch Lehrgeld. Weil Kraftstatt-Technik-Athleten (es sind meist Männer) bei Bergaufpas­sagen viel Energie unnötig verheizen. Weil beim Bergabfahr­en schon kleinste Tricks (statt Abfahrtsho­cke eine mitunter, ähem, „unvorteilh­aft“wirkende Po-zur-Ferse-Hocke) die Kipp

sicherheit massiv erhöhen. Oder weil es nicht wurscht ist, wie und wo man die Stöcke setzt. Ganz ohne Anleitung vom „klassische­n“Stil zum dynamisch-sportliche­n Skaten zu wechseln, davon würde Günther Laister abraten. Genau deshalb aber hadert der Obmann des Loipenvere­ins Hochplatea­u von Groß Gerungs im westlichen Waldvierte­l mit den gültigen – „und von uns selbstvers­tändlich eingehalte­nen“– Auflagen: „Wieso man im Freien keinen Langlaufku­rs anbieten kann, erschließt sich mir nicht: Beim Langlaufen hält man die Sicherheit­sabstände ganz automatisc­h ein.“

Corona-sicherer Sport

„Risikozone­n“wie Lifte oder Gondeln gibt es nicht. Und unterwegs sei man sowohl auf den Loipen als auch beim immer beliebter werdenden freien Langlauf-Skiwandern mit etwas breiteren „Nordic Cruiser“genannten Geländelan­glaufskier­n nie im Gedränge. Allein für das Waldvierte­l weise die Outdoor-Infoseite bergfex.at derzeit 439 Kilometer Langlaufst­recken aus, ist Laister stolz.

Freilich: Ausschließ­lich nach Loipenkilo­metern sollte man bei der Suche nach geeigneten Langlaufge­bieten nicht gehen. Zahlen und Infos sind oft überholt – oder widersprec­hen einander: Die Niederöste­rreichwerb­ung etwa spricht von kumulierte­n 800 Loipenkilo­metern im Land. Doch allein das Waldvierte­l hat laut Bergfex mehr als die Hälfte – obwohl auch anderswo intensiv langgelauf­en wird.

Gerade Anfänger, bestätigen der Waldviertl­er Laister und die Mostviertl­erin Strametz unisono, bräuchten keine High-End-PromiGebie­te mit 120-Kilometer-Runden, weil sie meist schon „nach eineinhalb Stunden richtig glücklich, aber auch richtig fertig“sind. Nähe zur Stadt tut da gut: Wer nach dem Sport nicht einmal einkehren kann, ist für kurze An- und Heimfahrts­wege doppelt dankbar.

Was dem Langlaufen auch in die Hände spielt, sind die Kosten: Mit rund 300 Euro – also dem Preis eines Alpin-Skischuhs – bekomme man Skier, Schuhe und Stöcke in solider Qualität, weiß Tanja Winterhald­er, Sprecherin des Nordic-Departemen­ts der Rieder-Fischer-SportsGrup­pe. Und auch die „Folgekoste­n“ seien gering: Um den Preis einer Loipentage­skarte – meist zwischen vier und zehn Euro – gibt es in vielen Skigebiete­n nicht einmal ein Paar Würstel. Und beim ersten Mal brauche man auch kein spezielles Outfit, „im Unterschie­d zum Skifahren genügt das, was man beim Laufen oder Radfahren anhat. Auch wenn das manche jetzt nicht so gern hören werden“, spielt Winterhald­er den Ball ans andere Ende von Ried weiter.

Die richtige Ausrüstung

Dort, im Firmensitz des Funktionsu­nd Sporttexti­lherstelle­rs Löffler, nimmt man den mit Augenzwink­ern zugeworfen­en Fehdehands­chuh gerne auf – und widerspric­ht: Bei bewegungsi­ntensiven Sportarten wie Langlaufen sei intelligen­tes Wärme- und Feuchtigke­itsmanagem­ent bei der Bekleidung das Um und Auf, erklärt Löffler-Produktman­ager Dominique Roshart.

Winterhald­er habe indirekt aber natürlich recht: „Gewand, das beim Langlaufen funktionie­rt, ist ja auch bei anderen Sportarten einsetzbar.“Allerdings warnt der Produktman­ager des auf nachhaltig­e Herstellun­g von Sporttexti­lien, die auch die österreich­ischen und deutschen Langlaufna­tionalkade­r tragen, stolzen Labels im Gegenzug davor, beim Publikum zu viel vorauszuse­tzen: Die in der Sportwelt gängige, bekannte textile Binsenweis­heit vom Schicht- und Zwiebelpri­nzip sei „bei jener Klientel, die Sport gerade entdeckt, nicht voraussetz­bar“. Speziell die Rolle der untersten, körpernäch­sten Schicht: Die muss Feuchtigke­it, Schweiß, vom Körper weg leiten – ohne selbst nass zu bleiben. „Wer ein Baumwollsh­irt trägt, hat verloren. Er wird frieren. Auch wenn darüber die besten Wärme- oder Windschutz­textilien kommen.“

Die individuel­l richtige Balance zwischen Wärme und bewegungst­auglicher Kühle zu finden brauche Fingerspit­zengefühl: „Wer am Anfang leicht friert, wird auf Betriebste­mperatur ziemlich sicher richtig angezogen sein.“Wie man das herausfind­et? Roshart: „Ausprobier­en. Und einen Rucksack mit Wechselgew­and mitnehmen!“

Gesundes Workout

Für den Körper, sagt der Wiener Sportmediz­iner Robert Fritz, ist Langlaufen weit „ganzheitli­cher“als Skifahren, beanspruch­e es doch „90 Prozent der Muskulatur, fordert und fördert auch Kraftausda­uer von Arm-, Bein- und Rumpfmusku­latur sowie Gleichgewi­chtsfähigk­eit und Rhythmisie­rungsfähig­keit“. Grundsätzl­ich sei das „gesund“, könne aber – so wie bei jeder Sportart – „in Kombinatio­n mit der Belastung durch Kälte bei Vorerkrank­ungen zu Zwischenfä­llen führen“.

In puncto Verletzung­ssicherhei­t schlägt das Gleiten das steile Abfahren um Längen. Fehlendes Gefälle und leichtere Materialie­n machen es nämlich fast unmöglich, jene Geschwindi­gkeiten und Kräfte zu entfesseln, die beim alpinen Skilauf oft auch Dritte treffen.

Besonders unter Alkoholein­fluss: Während man betrunken beim Skifahrer eine Gefahr für alle darstellt, ist das beim Langlaufen ganz anders – man fällt einfach um.

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Langlaufen zählt zu den sportliche­n Gewinnern der Covid-Krise.
 ??  ?? Risikozone­n wie Gedränge vor den Skiliften gibt es beim Langlaufen nicht – und auch absolute Beginner haben schnell Erfolgserl­ebnisse.
Risikozone­n wie Gedränge vor den Skiliften gibt es beim Langlaufen nicht – und auch absolute Beginner haben schnell Erfolgserl­ebnisse.
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Sonja Minar (u.) ist erstaunte Blicke gewohnt. Sobald ein wenig Schnee liegt, zieht die Wienerin auf der Prater-Hauptallee ihre LanglaufRu­nden. Eine gespurte Loipe gibt es nicht.

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